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Deutsche Wirtschaft steht unter Schock. Indikatoren erreichen historische Tiefstwerte

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Neuesten Meldungen des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung an der Universität München e. V. (ifo) zufolge ist der Geschäftsklimaindex im März auf 86,1 Punkte gesunken , nach 96,0 Punkten im Vormonat. Dies ist der stärkste jemals gemessene Rückgang seit der deutschen Wiedervereinigung und der niedrigste Wert seit Juli 2009.

Mittlerweile besteht kein Zweifel, dass das Coronavirus schwerwiegende Folgen für die deutsche Wirtschaft haben wird in Form von Produktionsausfällen, Arbeitslosigkeit und hohen Belastungen für den Haushalt. In einer jüngsten Analyse hat ifo versucht die Konsequenzen zu beziffern. Diese hat ergeben, dass die Kosten unabhängig vom Szenario höher ausfallen  werden als geplant.

Die Kosten werden voraussichtlich alles übersteigen, was aus Wirtschaftskrisen oder Naturkatastrophen der letzten Jahrzehnte in Deutschland bekannt ist, sagt ifo-Präsident Clemens Fuest. Je nach Szenario schrumpft die Wirtschaft um 7,2 bis 20,6 Prozentpunkte. Das entspricht Kosten von 255 bis 729 Milliarden Euro.

Maßgebend in dem Fall ist die Dauer des Shutdowns: Nach Berechnungen des Instituts verursachts eine Woche Verlängerung der Teilschließung zusätzliche Kosten von 25 bis 57 Milliarden Euro und damit einen Rückgang des Wachstums um 0,7 bis 1,6 Prozentpunkte. Eine Verlängerung von einem auf zwei Monate erhöht die Kosten bis zu 230 Milliarden Euro oder 6,5 Prozentpunkte Wachstum.

Ifo befürwortet daher Strategien, die die Wiederaufnahme der Produktion mit einer weiteren Eindämmung der Epidemie kombinieren.

Wenn die Wirtschaft zwei Monate lang teilweise stillsteht, entstehen Kosten je nach Szenario zwischen 255 und 495 Milliarden Euro. Die Wirtschaftsleistung schrumpft dann im Jahr um 7,2 bis 11,2 Prozentpunkte. Bei drei Monaten Teilschließung erreichen die Kosten bereits 354 bis 729 Milliarden Euro, das sind 10,0 bis 20,6 Prozentpunkte Wachstumsverlust, betont Fuest.

Von schwerwiegenden Folgen für die Wirtschaft geht ebenfalls das IW Köln aus und präsentiert zwei Szenarien: in dem beschriebenen Positivszenario beläuft sich das Minus der Industrie auf rund zehn Prozent. Dauert der Lockdown allerdings bis Ende Juni,  würde das BIP um zehn Prozent gegenüber einem normalen Jahresverlauf einbrechen. Die Industrie würde es mit einem Minus von 18 Prozent erneut stärker treffen. Bis zum Jahresende könnte die Krise in diesem Fall noch andauern.

Massiver Schaden für den Arbeitsmarkt

Was den Arbeitsmarkt betrifft, könnten dem ifo zufolge bis zu 1,8 Millionen sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze (oder 1,4 Millionen Vollzeitjobs) abgebaut werden und mehr als sechs Millionen Arbeitnehmer von Kurzarbeit betroffen sein.

Auch am Arbeitsmarkt kommt es durch die Krise zu massiven Verwerfungen. Diese stellen die Zustände auf dem Höhepunkt der Finanzkrise in den Schatten, sagt Fuest.

Die düsteren Prognosen spiegeln sich auch in dem  IAB-Arbeitsmarktbarometer für März wider, der gegenüber dem Vormonat um 1,5 Punkte auf 100,4 Punkte gefallen ist.  Auch hier wurde der stärkste Rückgang in einem Monat seit Bestehen des Frühindikators des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) verzeichnet.
Damit liegt die Arbeitslosigkeitskomponente  jetzt mit 98,2 Punkten klar im negativen Bereich.

Schon vor Monatsmitte erwarteten die Arbeitsagenturen deutlich steigende Arbeitslosigkeit. Innerhalb kürzester Zeit setzte die Corona-Krise den starken Arbeitsmarkt in Deutschland massiv unter Druck, sagt Enzo Weber, Leiter des IAB-Forschungsbereichs „Prognosen und gesamtwirtschaftliche Analysen“.

Deutsche Exporte fallen

Deutschland als Exportnation ist von der Ausbremsung des Welthandels und der momentan herrschenden Krise besonders betroffen. Dies spiegelt sich in Stimmung unter den deutschen Exporteuren wider, die sich in letzter Zeit massiv verschlechtert hat. Laut ifo sind die Exporterwartungen der Industrie sind im März von minus 1,1 auf minus 19,8 Punkte gefallen. Schwierigkeiten haben alle Industriebranchen, doch besonders hart trifft es die Autoindustrie, welche mit deutlichen Rückgängen bei den Exporten rechnet.  Schlecht sind auch die Prognosen für den Maschinenbau und für Hersteller von Textilien und Bekleidung.

Die Zukunft ist ungewiß

Prognosen darüber, wie tief die Rezession ausfällt, sind derzeit mit extrem hoher Unsicherheit behaftet. Deshalb ist es sinnvoll, verschiedene Szenarien in den Blick zu nehmen. Das ifo Institut betrachtet ein sehr günstigstes Szenario mit minus 1,5 Prozent Wirtschaftsleistung für das Jahr 2020. Dabei sind aber nur kleinere Einschränkungen in der Industrie berücksichtigt. In einem zweiten Szenario, das größere Produktionseinschränkungen unterstellt, schrumpft die Wirtschaftsleistung um 6 Prozent, sagte Fuest.

Bei seiner letzten Prognose im Dezember hatte das ifo Institut 1,1 Prozent Wachstum für 2020 erwartet.

Sowohl die Unsicherheit als auch die Abwärtsrisiken sind sehr groß. Niemand weiß genau, wie sich die Absagen und Schließungen wirtschaftlich auswirken. Der weitere Verlauf hängt stark von den weiteren Maßnahmen zur Eindämmung der Epidemie und von Entscheidungen in anderen Ländern ab. Umso wichtiger ist nun ein massives und gezieltes Gegensteuern von Bundesregierung, EU und Europäischer Zentralbank (EZB). Gleichzeitig müssen dringend Konzepte entwickelt werden, um die Dauer und Intensität des Lockdown zu begrenzen ohne die Bekämpfung der Epidemie zu beeinträchtigen, sagt Fuest.

Der Krisenverlauf ist schlecht absehbar, daes keine historischen Erfahrungen gibt.

Es gibt keine historischen Erfahrungen mit vergleichbaren Ereignissen, aus denen wahrscheinliche Krisenverläufe abgeleitet werden könnten. Schließlich stehen aktuell nur sehr wenige Konjunkturindikatoren zur Verfügung, mit denen sich das gesamtwirtschaftliche Ausmaß der Folgen der Coronakrise abschätzen ließe. Die meisten aktuell verfügbaren Indikatoren spiegeln bestenfalls die Lage im Februar wider. Der historische Absturz des ifo Geschäftsklimas im März deutet allerdings darauf hin, dass der Konjunktureinbruch im zweiten Quartal alles Bisherige übertreffen wird, ergänzt ifo-Konjunkturchef Timo Wollmershäuser.

Steht der Euroraum vor einem Kollaps?

Auch die Eurozone verzeichnete im März einen beispiellosen Kollaps der Wirtschaftsaktivitäten, signalisiert der IHS Markit Flash Eurozone Composite Index Produktion, der gegenüber Februar um 20,2 Punkte auf 31,4 einbrach und damit einen Tiefstwert seit Umfragebeginn im Juli 1998 erreicht hat.

Alle westlichen Volkswirtschaften stehen vor einer beispiellosen Krise. Rezession ist nicht einmal das richtige Wort für einen fast vollständigen Stillstand ganzer Volkswirtschaften, fast über Nacht. Deutschland ist keine Ausnahme, zitiert das Portal cnbc.com Carsten Brzeski, Chefökonom bei ING Deutschland.

Drastische gesunken ist die  Nachfrage nach Gütern und Dienstleistunge. Verschlechtert hat sich die Liefersituation, dadurch dass sich die durchschnittlichen Lieferzeiten stark verlängert haben.

In der gesamten Eurozone brach die Wirtschaftsleistung im März in einem Ausmaß ein, das noch weitaus größer war als während des Höhepunkts der globalen Finanzkrise. In Frankreich, Deutschland und im Rest der Eurozone ging es rasant bergab, da die Regierungen immer schärfere Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus in Kraft setzten. Der März-PMI signalisiert einen BIP-Rückgang auf Quartalsbasis um rund 2%, wobei sich die Talfahrt weiter beschleunigen könnte, sollten in den kommenden Monaten noch drakonischere Maßnahmen zur Bekämpfung des Virus erlassen werden, kommentierte Chris Williamson, Chief Business Economist bei IHS Markit die Lage.

 

Angesichts der Lage wachsen auch die Sorgen um die Finanzmärkte und die Währungsunion. Davon, wie ernst es mittlerweile ist,  zeugen die Äußerungen von EZB- Präsidentin Christine Lagard. Sollte der Corona-Shutdown zwei Monate dauern, ist laut Lagarde ein Konjunktureinbruch von mehr als fünf Prozent möglich, berichtet das Handelsblatt.  Um eine neue Euro-Krise zu vermeiden,  fordert Fuest daher Euro-Rettungsfonds

Akute Gefahr droht den Staatsfinanzen im Euroraum. Bei hoch verschuldeten Ländern könnte es zu einem Kollaps des Vertrauens kommen. Die Staaten des Euroraums einschließlich der EZB müssen klar signalisieren, dass alle Länder konsequent gestützt werden und Ausfälle bei Staatsschulden ausgeschlossen sind, warnt der Experte.

Foto: Pixabay

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