Digitale Zwillinge oder auch Digital Twins sind virtuelle Darstellungen von Objekten, Prozessen oder Umgebungen. Sie entstehen, indem Daten, die sich auf wichtige Funktionsbereiche der untersuchten physischen Entität beziehen, gescannt werden ,von Algorithmen analysiert und anschließend auf die digitale Kopie übertragen werden.
Das Konzept soll 2002 von Michael Grieves (damals Dozent an der University of Michigan) erstmals auf die Fertigung angewendet worden sein .Der Begriff des digitalen Zwillings wurde jedoch erst rund acht Jahre später von John Vickers von der NASA eingeführt.
4 von 10 Industrieunternehmen setzen bereits auf digitale Zwillinge
Die Industrie hat hohe Erwartungen in diese Technologie. Laut einer Umfrage des Digitalverbands Bitkom sind 63 Prozent der Industrieunternehmen überzeugt, dass digitale Zwillinge unverzichtbar sind, um im internationalen Wettbewerb bestehen zu können.Bereits 44 Prozent setzen digitale Zwillinge ein, 8 Prozent planen dies und weitere 14 Prozent können sich dies grundsätzlich vorstellen. Nur 10 Prozent können sich den Einsatz auch in Zukunft nicht vorstellen, jedes fünfte Industrieunternehmen (20 Prozent) hat sich noch gar nicht mit der Technologie beschäftigt.
59 Prozent der deutschen Industrieunternehmen gehen davon aus, dass digitale Zwillinge zu einer nachhaltigen Produktion beitragen. Knapp die Hälfte (49 Prozent) meint, digitale Zwillinge ermöglichen völlig neue Geschäftsmodelle. Lediglich 17 Prozent der Industrieunternehmen in Deutschland sind der Meinung, digitale Zwillinge seien ein Hype, der bald vorüber ginge.
Weitaus mehr als eine einfache Simulation
Digitale Zwillinge verfügen über eine Reihe von Schlüsseleigenschaften, die sie definieren.
Repräsentative Grundwahrheit – Eine einzige Quelle der Wahrheit für virtuelle Datensätze. Physikalische Genauigkeit – Hält sich an die Gesetze der Physik. Perfekt synchronisiert – Zeitgenau abgestimmt und perfekt mit der realen Welt synchronisiert. KI-befähigt – Optimiert durch KI und ermöglicht das Training von KI, zählt Timo Kistner, EMEA Industry Lead, AI for Manufacturing and Industrial vom KI-Computing Hersteller NVIDIA auf.
Diese Eigenschaften machen die Technologie der digitalen Zwillinge einer einfachen Simulation bei weitem überlegen, da beliebig viele Prozesse gleichzeitig analysiert werden können und damit genauere Zukunftsszenarien durchgespielt werden können.
Wenn Teams mögliche zukünftige Szenarien simulieren, müssen sie sich auf die Genauigkeit ihrer Simulationen verlassen können. Um dies zu erreichen, sollten ihre Simulationen der Realität so nahe wie möglich kommen. Deshalb sollten die digitalen Zwillinge, die sie für ihre Simulationen verwenden, die Grundwahrheit ihrer Operationen darstellen und den physikalischen Gesetzen entsprechen, erläutert Kistner.
Kostenintensive Fehler können vermieden werden
Die Technologie bringt viele Vorteile mit sich, so dass jedes Unternehmen in jeder Branche profitieren kann.
Mithilfe digitaler Zwillinge können Unternehmen beispielsweise ihr Geschäft transformieren, wie z. B. Kosten und Ausschuss reduzieren, Qualität und Leistung steigern oder auch Markteinführungen beschleunigen.
Digitale Zwillinge steigern auch die Produktivität, da sie die Zusammenarbeit von Teams in Echtzeit ermöglichen, um die Entscheidungsfindung zu beschleunigen und zu verbessern, sagt der Experte.
Unternehmen können aber auch neue Produkte vollständig als digitale Zwillinge in Echtzeit entwerfen, testen und betreiben.
Planungs-, Design-, Konstruktions- und Facility-Teams nutzen digitale Zwillinge z.B. um neue Produkte und Anlagen zu entwerfen und Produktionsumgebungen zu überwachen, zu simulieren und zu optimieren.Sie nutzen die Technologie, um wichtige Ereignisse oder aufgetretene Probleme zu analysieren und besser zu verstehen, bestehende Abläufe in Echtzeit zu überwachen und zukünftige Szenarien zu simulieren, sagt Kistner.
Die Anwendung von KI und Lernmodellen macht es möglich, komplexe Situationen höchst realistisch zu simulieren und die Risiken für die Endnutzer signifikant zu verringern. Fehler und Schwachstellen können frühzeitig erkannt werden.
Traditionell waren Produktentwicklung und -prüfung eine Mischung aus digitalen und physischen Schritten, die oft nacheinander durchgeführt wurden und einen großen Teil der Arbeit zwischen den einzelnen Beteiligten ausmachten. Ähnlich wie in den frühen industriellen Produktionszyklen bedeutete ein Fehler an irgendeinem Punkt des Prozesses, dass die Produktionslinien angehalten und möglicherweise ein Rückschritt gemacht werden musste, um den Fehler zu korrigieren oder sogar von vorne zu beginnen. Tests, insbesondere von sicherheitsrelevanten Produkten und Szenarien, könnten enorme Auswirkungen auf die Markteinführung eines Produkts haben oder, schlimmer noch, zu einem Rückruf führen, wenn nach der Markteinführung Probleme festgestellt werden, erläutert Kistner.
Digitale Zwillinge werden nicht wegzudenken sein
Die Anwendungen und Einsatzmöglichkeiten von digitalen Zwillingen sind sehr breit.
So baut die Digitale Schiene Deutschland (DSD), Teil der Deutschen Bahn, beispielsweise den ersten digitalen Zwilling des Umfeldes der Bahnstrecken und Stationen, um den automatischen Zugbetrieb auf dem gesamten Netz vollständig zu simulieren. Der digitale Zwilling entsteht auf Grundlage einer hochaufgelösten digitalen Karte, die sehr präzise Vermessungen der echten Strecken enthält.
Das bedeutet, dass eine fotorealistische und physikalisch genaue Nachbildung des gesamten Schienennetzes erstellt wird. Dazu gehören Gleise, die durch Städte und Landschaften verlaufen, sowie viele Details aus Quellen wie Bahnsteigbemessungen und Fahrzeugsensoren. Mithilfe des mit NVIDIA Omniverse erstellten KI-fähigen digitalen Zwillings kann die DSD hochgradig leistungsfähige Wahrnehmungs-, Vorbeugungs- und Managementsysteme entwickeln, um unregelmäßige Situationen im täglichen Bahnbetrieb optimal zu erkennen und darauf zu reagieren, sagt Kistner.
Der Autohersteller BMW hingegen erprobt schon seit einiger Zeit die Produktion mit virtuellen Modellen. Im Jahr 2021 hat das Unternehmen den Cockpits für den BMW iX mithilfe eines digitalen Zwillings erstellt. Mittels künstlicher Intelligenz wurde die Herstellung der Tragstruktur für das BMW iX Cockpit so simuliert, als ob ein echtes Bauteil im Spritzgießverfahren gefertigt würde. So konnte der komplette Herstellprozess mit allen physikalischen Eigenschaften digital simuliert werden. Mittlerweile ist die Technologie in den Fahrzeugwerken von BMW fest etabliert.
Aufgrund der vielfältigen Einsatzmöglichkeiten werden digitale Zwillinge aus der Wirtschaft und Industrie schlicht nicht mehr wegzudenken sein.
Die Ergebnisse sind wirklich transformativ, von der Reduzierung von Kosten und Verschwendung über die Steigerung der Produktivität, die Verbesserung der Qualität und der Lagerhaltung bis hin zur Beschleunigung von Produktion und Durchlaufzeiten, sagt Kistner abschließend.