Gut und richtig ist, dass intensiv über Maßnahmen diskutiert wird, die die weitere Erderwärmung abmildern helfen. Richtig ist allerdings auch, dass die teils dystopischen Zukunftsszenarien, die vor wenigen Jahren noch in die vermeintlich ferne Zukunft projiziert wurden, bereits jetzt Realität sind. Deshalb bedarf es neben Maßnahmen zur Reduktion des Treibhausgasausstoßes, für die nahe Zukunft Anstrengungen, um unsere Logistik für den Klimawandel fit zu machen. Wie wir diesen Pfad einschlagen und welche Lösungsansätze bereits heute existieren, behandelt der folgende Beitrag.
Am Anfang allen Verstehens steht die Einsicht – was ist, und was nicht sein kann
Der Weg hin zu einer klima(wandel)gerechten Logistik beginnt mit der Anerkennung des Klimawandels und seiner heute sichtbaren Auswirkungen. Die Vorstellung, dass uns Extremwetterlagen erst in ein oder zwei Generationen erheblich beeinträchtigen werden, war lange Zeit in vielen Bereichen von Politik, Gesellschaft und Wirtschaft weit verbreitet. Doch die Realität zeigt, dass wir schon heute davon betroffen sind. Wir sind sehr lange mit bloßen Lippenbekenntnissen davongekommen. Doch nun stehen wir vor dem Ergebnis unserer Untätigkeit. Angesichts dieser Erkenntnis ist es von entscheidender Bedeutung, die notwendige Transparenz zu schaffen, um Schwachstellen in der Lieferkette rechtzeitig zu erkennen. Digitale Zwillinge von Lieferketten sind eine neuartige Methode, bei der die tatsächliche Lieferkette digital simuliert wird und mit der sich Szenarien testen lassen. Für eine zukunftssichere Überwachung der Lieferkette ist zusätzlich eine Echtzeitüberwachung erforderlich. Externe Informationen, wie z. B. Wetterbedingungen, werden ebenfalls Teil solcher Systeme sein. Auf dieser Grundlage können zum Beispiel automatisch KI-gestützte Risikobewertungen erstellt werden.
Eine Kette ist nur so stark, wie ihr schwächstes Glied
Schwachstellen können erst identifiziert werden, sobald die nötige Transparenz innerhalb der Lieferketten besteht. Hierbei geht es vor allem um neuralgische Punkte, bei deren Ausfall die gesamte Kette zum Stillstand kommt. Diese müssen widerstandsfähiger gestaltet werden, etwa durch Redundanzen oder schnell ersetzbare Alternativen. Die Kehrseite davon sind zusätzliche Kapazitäten, die eingepreist werden müssen. Das effiziente Vorhalten von Pufferkapazitäten erfordert eine intelligente Bedarfsplanung.
Aktuell sehen wir das Gegenteil: Ein durch Pandemie und Lieferkettenprobleme langgezogener Peitschenschlageffekt hat sich eingestellt. Seit Beginn der Lieferkettenkrise haben sich Engpässe gebildet, die Akteure zum Aufbau zusätzlicher Kapazitäten in der gesamten Lieferkette geführt haben. In einigen Branchen, z. B. im IKT-Sektor, ist nun ein Auftragsrückgang zu beobachten: So könnte die lang anhaltende Chip-Knappheit jetzt zu einem Überangebot an Chips führen. In den betroffenen Bereichen der Halbleiter-Lieferkette, von den Herstellern bis zu den Logistikpartnern, wird eilig versucht, die Kosten schnell zu senken. Aus wirtschaftlicher Sicht mag dies unmittelbar notwendig sein, um beispielsweise Investor:innen zu beruhigen. Unternehmen, die ihre Lieferketten lediglich zyklisch gestalten, werden jedoch wahrscheinlich nicht die notwendige Flexibilität erreichen, um auf klimabedingte Szenarien reagieren zu können.
Leider hat es den Anschein, als hätten Lieferketten-Verantwortliche nichts aus den anhaltenden Problemen gelernt: Eine McKinsey-Umfrage von Ende 2021 ergab, dass 90 Prozent der Befragten ihre Versorgungssysteme verbessert haben. Allerdings haben sie sich häufig mit Nearshoring beschäftigt, anstatt ihre Bestände zu erweitern. Irrigerweise rät der Sachverständigenrat der Bundesregierung für Wirtschaft in seinem aktuellen Jahresbericht sogar von Friend- oder Nearshoring als Maßnahmen für reslientere Lieferketten ab. Eine Haltung, die zwar ehrenhaft eine Lanze für den Welthandel bricht, aber den bestehenden Realitäten, wie dem Klimawandel nicht gerecht wird. Wir werden um kürzere und weniger komplexe Lieferketten in Zukunft nicht umhinkommen – sei es zur Bekämpfung des Klimawandels oder um mit seinen Auswirkungen zurechtzukommen
Die Klimakrise als Katalysator
Maßnahmen zur Verringerung der CO2-Emissionen und Initiativen zur Förderung von mehr Kreislaufwirtschaft sollten Vorrang haben, wenn wir den ökologischen Fußabdruck der Logistik nachhaltig verringern wollen. Doch neben den bereits erwähnten betriebswirtschaftlich-strategischen Faktoren oder auch weniger komplizierten Lieferketten geht es dabei um ganz konkrete technologische Weiterentwicklungen. Nehmen wir zur Veranschaulichung die Binnenschifffahrt. Die heutigen Schiffe in diesem Bereich haben einen Tiefgang zwischen 1,4 und 1,5 Metern. Derzeit werden Schiffe entwickelt, die 30 bis40 Zentimeter weniger tief eintauchen. Die Rümpfe dieser Schiffe haben bessere Auftriebseigenschaften, und ihre kleineren Propeller können auch bei extrem niedrigem Wasserstand eingesetzt werden. Wie in der Binnenschifffahrt wird auch in vielen anderen Bereichen an weiteren klimafreundlichen Lösungen geforscht, etwa an energieeffizienteren Kühlketten und hitzebeständigen Straßenbelägen. Ein weiterer wichtiger Bereich ist der stetige Ausbau bewährter Infrastrukturen wie der Schiene.
Logtechs als Teil der Lösung
Wenn es darum geht, in kurzer Zeit radikal neue Lösungen zu finden, sind Start-ups ideale Innovationsvehikel. Start-ups können aufgrund ihrer Agilität wesentlich schneller Durchbrüche erzielen als ein etabliertes Unternehmen. Große Innovationssprünge können dank der Freiheit, die eine Risikofinanzierung bietet, in kürzerer Zeit vollzogen werden. Dabei schreitet die Entwicklung des Logtech-Sektors mit Siebenmeilenstiefeln voran: So wuchs die Finanzierung für Logistik-Start-ups von 2014 bis 2021 jährlich um satte 70 Prozent. Im Folgenden sollen einige spannende Beispiele vorgestellt werden.
Das norwegische Unternehmen Carbon Crusher hat eine Technik zum Ersetzen und Recyceln von Straßenbelägen entwickelt. Bei der von Carbon Crusher angewandten Methode wird bereits vorhandener Asphalt zerkleinert und mit einem Klebstoff auf Ligninbasis versehen. Lignine sind eine bestimmte Klasse von Biopolymeren, die auch in den Zellwänden von Pflanzen vorkommen.
Das Hamburger Start-up repath ist eines der spannenden Beispiele im Bereich der klima-smarten Logistik. Auf der Basis von mehr als 100 Klimamodellen schätzt die Lösung von Repath, die ein wichtiger Schritt in Richtung der von mir beschriebenen Offenheit ist, das Klimarisiko für Unternehmen an ihren einzelnen Standorten oder zum Beispiel für Transitnetzwerke ab. Die Umwelt wird dadurch weniger belastet und die Straßenbeläge sind gleichzeitig wesentlich temperaturbeständiger.
Der letzte wichtige Bereich, den ich erwähnen möchte, sind die Kühlketten. Das Fehlen zuverlässiger Kühlketten führt beispielsweise in vielen Ländern des globalen Südens zu Lebensmittelverschwendung. Das kenianische Start-up-Unternehmen Solar Freeze beispielsweise entwickelt und vermarktet mobile, solarbetriebene Kühlcontainer. Durch den Wegfall von Dieselgeneratoren ist nun eine unabhängige und dezentrale Kühllagerung möglich.
Fazit: Klimawandelgerechte Logistik als unternehmerische Maxime
In dem Maße, in dem die Logistikbranche das Problem der globalen Erwärmung anerkennt und ernst nimmt, werden wir weitere Lösungen für eine klimawandelgerechte Logistik sehen. Die Gebiete in der Nähe des Äquators, die derzeit am stärksten betroffen sind, werden sich am schnellsten entwickeln. Letztlich liegt es in der Verantwortung der Logistikdienstleister im globalen Norden, in die Verbesserung der Widerstandsfähigkeit der Lieferketten im globalen Süden zu investieren und zusammenzuarbeiten. Die Auswirkungen des Klimawandels werden sich jedoch auch zunehmend auf unsere heimische Logistik auswirken, was proaktives Handeln zu einer unternehmerischen Maxime macht.