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Interview: Über den mittleren Korridor der Neuen Seidenstraße könnten mittelfristig in 10 -12 Jahren 1 Mio. TEU transportiert werden

Wie steht es um Chinas Seidenstraße? Vor welchen Herausforderungen steht der mittlere Korridor? Welche Rolle kommt Zentralasien zu? Trans.iNFO hat mit Heinrich Kerstgens von Rhenus über die aktuellen Herausforderungen und Risiken des Projekts gesprochen.

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Natalia Jakubowska, Trans.iNFO:Das Transportvolumen auf Chinas Seidenstraße ist rückläufig, Länder können ihre Kredite, die sie im Rahmen der One Belt One Road Initiative erhalten haben, nicht zurückzahlen. Zudem steckt Chinas Wirtschaft in der Krise. Gibt es ihrer Meinung nach noch eine Zukunft für die Seidenstraße?

Heinrich Kerstgens,Corporate Representative, Director Board Projects, Rhenus Logistics:Die chinesische Initiative ist seit 2013 aktiv, allerdings gibt es seit einiger Zeit tatsächlich große Probleme. Dennoch sind die Chinesen in den asiatischen Ländern weiterhin sehr aktiv, auch wenn die großen Infrastrukturprojekte immer schwieriger vorankommen. Hat das Projekt noch eine Zukunft? Ich denke schon.

Wie sehr belastet der Krieg von Russland gegen die Ukraine die Seidenstraße?

Die Seidenstraße besteht im Wesentlichen aus drei Korridoren. Derzeit ist es nicht möglich, Dual-Use-Güter durch Russland und durch Belarus zu transportieren, dadurch verzeichnen wir starke Mengenrückgänge. Das macht sich auch in Duisburg bemerkbar, wo die Neue Seidenstraße endet oder beginnt. Laut Hafenstatistik haben sich innerhalb dieses Jahres die Mengen noch mal halbiert und das obwohl sie schon im Vorjahr sehr stark zurückgegangen sind.

Wenn man den mittleren Korridor betrachtet, gibt es jetzt dort natürlich zunehmend Bedarf, allerdings sind die notwendigen Kapazitäten in keinster Weise vorhanden. Mit viel Kraft schafft man es aktuell auf dem mittleren Korridor maximal 100.000 TEU zu transportieren.

Ein Ausbau ist zwar vorgesehen, aber mehr ist heute nicht möglich. Die Transitzeiten sind nicht konkurrenzfähig, weil es an den Knotenpunkten zu wenig Kapazitäten, Lokomotiven und Tragwagen gibt. Das verlangsamt den ganzen Prozess, macht ihn kompliziert und fehleranfällig. Teilweise sind wir sogar gezwungen, Güter auf LKW umzuladen. Ein anderer Weg, Waren nach Zentralasien aus der Europäischen Union zu liefern, wäre über die See und dann nach Hongkong oder Shanghai. Das sind aber weitere 10.000 bis 12.000 Kilometer zurückzulegen, was nicht unbedingt schneller und besser ist.

Der Seeweg ist in bestimmten Konstellationen für Transporte zwischen Westchina und Osteuropa auch relativ teuer im Vergleich zum Bahntransport.

Über Geld brauchen wir an dieser Stelle gar nicht reden. Man ist froh, dass man überhaupt liefern kann…

Und könnte der mittlere Korridor mit viel Aufwand mittelfristig oder langfristig den nördlichen Korridor ablösen?

Ich gehe fest davon aus, dass über den mittleren Korridor mittelfristig in 10 -12 Jahren bis 2035 durchaus 1 Mio. TEU transportiert werden können. Gerade für Unternehmen, die sich in Westchina befinden, ist der mittlere Korridor eine gute Option.

Trotzdem ist der mittlere Korridor nur eine Ergänzung zum nördlichen Korridor, wobei der nördliche Korridor als Ergänzung zum Seeweg zu sehen ist. Im Jahr 2021 wurden über den nördlichen Korridor 1.5 Mio. TEU bei gleichzeitig etwas über 20 bis 21 Mio. TEU über den Seeweg transportiert.

Die Seidenstraße muss ihre Kapazitäten steigern, denn man darf auch nicht die Volkswirtschaften in Zentralasien unterschätzen, die sehr stark wachsen und die für Europa in den Strategien der Diversifizierung und der Resilienz zur Versorgung mit Rohstoffen zum Beispiel, aber auch als Märkte in Zukunft eine sehr wichtige Rolle spielen werden. Der Warenaustausch wird nicht nur allein zwischen China und Zentralasien stattfinden, aber auch zwischen Europa und Zentralasien. Diesen Aspekt darf man nicht vergessen und die Länder Zentralasiens nur als Transitländer betrachten.

Für welche Branchen ist Zentralasien besonders interessant?

Landwirtschaft, Landmaschinen, Baustoffe, Maschinenbau. Chemie ist auch sehr präsent. Laut der ILO ist dort auch in letzter Zeit die Zahl der Kinder in Kinderarbeit auf nahezu Null gesunken.

Schattenwirtschaft und Korruption werden dort aber sehr hoch geschätzt.

Ich bin gerade dabei, einen Vertrag durchzulesen, den ich von meiner zentralasiatischen Partnerfirma bekommen habe. Dieser enthält mindestens zwei Seiten zu Antikorruptionsregeln. Im juristischen Umfeld hat sich sehr viel geändert – vor allem in Usbekistan und Kasachstan.

In Kasachstan existiert beispielsweise das Astana International Financial Centre (AIFC) mit einem Gericht, das englischem Recht unterliegt und dessen Richter internationale Richter sind. Das Risiko, in Zentralasien zu investieren, ist damit mittlerweile für Firmen aus Deutschland im Bereich des möglichen Überschaubaren.

Gibt es irgendwelche Begünstigungen für Unternehmen in Form von Sonderwirtschaftszonen ?

Die Anzahl der Sonderwirtschaftszonen kann man gar nicht mehr zählen. Investoren haben in Zentralasien enorme Steuervorteile. Auch die Energie ist teilweise sehr günstig.

China ist ein wichtiger Investor in Zentralasien. Andererseits zielt auch das Projekt Global Gateway auf diese Länder ab. Laufen wir dann nicht die Gefahr, dass es zu bestimmten Spannungsfeldern kommt, unter denen dann Logistikunternehmen leiden werden?

Ja, durchaus. Und zwar dann, wenn die große Politik Spannungen aufbaut und sich mit Sanktionen gegenseitig beharkt. Beispielsweise dürfen jetzt bestimmte Typen von Chips nicht mehr nach China transportiert werden. Solche Situationen bringen Industrieunternehmen in eine schwierige Lage und bringen die Logistik unter Druck.

Wenn man nur den wirtschaftlichen Wettbewerb der Volkswirtschaften betrachtet, dann ist das durchaus eine gesunde Sache, weil so um die besten Lösungen gerungen wird. Wird der chinesische Staat die Eisenbahnstrecke durch Kirgisistan bezahlen oder wird die Strecke die EU größtenteils im Normalspurformat ausbauen?

Das sind alles offene Fragen, die sehr wichtig sind und die im Wettbewerb der Systeme entschieden werden.

Nimmt die Politik ihrer Meinung nach aber zu viel Einfluss auf die Lieferketten?

Zu viel nicht. Ich finde die Sanktionspolitik gegenüber Russland gerechtfertigt, aber in Bezug auf China wären ein paar Gespräche am Tisch viel hilfreicher. Dennoch können strategische politische Ziele auch eine positive Wirkung haben. Die Europäische Union hat beispielsweise eine Liste von Rohstoffen definiert, die nicht zu mehr als 20 Prozent aus einem Land importiert werden dürfen. Das eröffnet für uns Logistiker definitiv neue Chancen.

Würden Sie das Projekt Global Gateway als reines Anti-Projekt der Seidenstraße bezeichnen?

Natürlich ist das ein Wettbewerb. Als Land muss man sich die Frage stellen, ob man das Geld der Chinesen mit kleinen Auflagen in Richtung Gesellschaft und Nachhaltigkeit bekommen möchte und ob man dann als Staat irgendwann die Verzinsung nicht mehr zurückzahlen kann und so den Einfluss auf die kritische Infrastruktur im eigenen Land verliert.Oder ob man mit der EU zusammenarbeiten möchte unter Erfüllung von sozioökonomische Kriterien wie Gleichberechtigung oder Nachhaltigkeit beispielsweise.

Wo würden Sie Verbesserungsbedarf beim Global Gateway sehen?

Es fehlt definitiv eine sichtbar koordinierende Stelle in der Europäischen Union. Global Gateway wurde aus vielen existierenden Programmen zusammengebaut. Oftmals ist es sehr unklar, wie ein Projekt eingereicht werden kann und es ist sehr viel Recherche notwendig. Ich höre auch aus anderen Staaten wie Deutschland, den Niederlanden oder Frankreich, dass die zuständigen Wirtschaftsministerien und Verkehrsministerien nicht wissen, wie man mit dem Projekt umgehen soll.

Ist das Interesse seitens Unternehmen an diesem Projekt groß?

Der bürokratische Aufwand bei solchen Projekten ist derartig hoch, dass sich die Teilnahme erst ab einer gewissen Projektgröße lohnt und die liegt eher im staatlichen Bereich.
Wir reden hier von Summen in Höhe von etwa 10.000.000 Euro. Wenn ein Unternehmen 3.000.000 Euro braucht, ist es mit dem Global Gateway nicht optimal bedient.

Und was halten Sie von der US-amerikanischen Initiative, ein Transportnetz von USA nach Indien zu bauen?

Ich kann nicht wirklich nachvollziehen, wie die Amerikaner eine Strecke nach Indien bauen wollen. Wie soll Indien an die asiatischen Länder angebunden werden?Das ist eine große geographische Herausforderung. Da ein Bruch im Verkehrsmodus über die arabische Halbinsel entstehen wird, wird das Vorhaben viel zu teuer und zu ineffizient.

Könnte Indien in Zukunft China als Absatzmarkt und Produktionsmarkt ablösen?

Ablösen nicht. Dennoch ist Indien ein sehr interessanter Markt mit sehr großer Bevölkerung, die jedoch ähnlich wie in China vor 30 Jahren extrem arm ist. Deswegen ist die Kaufkraft gering. Aber je nach politischer Fortentwicklung in Indien,wird sich das ändern, wenn man das Land stärker in die internationalen Handelsketten einbindet.

Und wie würden die Stellenwert des türkischen Logistikmarkts bewerten? Das Land hat in letzter Zeit sehr vom Trend zum Nearshoring profitiert und sich zu einem wichtigen Logistik-Hub auf der Seidenstraße entwickelt.

Die wirtschaftlichen Verbindungen zwischen Europa und der Türkei sind sehr eng. Der Warenaustausch ist im Vergleich zum dem mit Zentralasien bedeutend intensiver. Der Markt ist aber auch als eine Brücke Richtung Zentralasien zu sehen.

Schreckt die hohe Importabhängigkeit der Industrie nicht ab? Es gibt auch gewisse geopolitische Risiken.

Deutschland ist auch importabhängig und trotzdem wird hier investiert.Herr Erdogan ist natürlich kein einfacher Politiker, in den vergangenen 20 Jahren war es aber immer so, dass am Ende auf das Land sowohl als NATO-Partner als auch als Wirtschaftspartner immer Verlass war.Man sollte die Rhetorik von dem unterscheiden, was wirklich passiert. Die junge Generation ist gut ausgebildet. Zudem hat die Türkei in letzter Zeit intensiv in die Infrastruktur investiert.

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