Im Zentrum dieser Entwicklung steht die Abkehr von monolithischen, einheitlichen Plattformen hin zu Architekturen, die auf Mikrodiensten basieren. Unternehmen kombinieren heute erstklassige Komponenten – darunter Cloud-Analytik, Data Lakes, Echtzeit-Transparenz-Tools und KI-gesteuerte Robotik – zu maßgeschneiderten Lösungen, die darauf ausgelegt sind, Lieferketten mit bislang unerreichter Agilität zu steuern. Nicht die Komplexität der Modelle bestimmt den Wert der KI, sondern deren nahtlose Integration in bestehende Geschäftssysteme. Wenn allerdings die Grenzen der Altsysteme nicht überwunden werden und keine Integration in Lieferantennetzwerke und Workflows erfolgt, bleibt selbst die fortschrittlichste KI theoretisch statt transformativ.
Überwindung der Grenzen von Alt-Infrastrukturen
Es wird immer deutlicher, dass die bestehende Infrastruktur grundlegende Beschränkungen aufweist, die sie daran hindern, den Anforderungen moderner KI-Lösungen gerecht zu werden. Mandantenfähiges Cloud Computing ist aus mehreren Gründen zur unverzichtbaren Basis kosteneffizienter KI-Systeme geworden. Erstens benötigen KI-Algorithmen – insbesondere große Sprachmodelle (LLMs) – enorme Rechenressourcen, die am effizientesten in der Cloud bereitgestellt werden. Zweitens sind LLMs meist in der Cloud gehostet, sodass eine zuverlässige und latenzarme Integration idealerweise auf cloudbasierten Datenlayern aufbaut. Drittens ist es essenziell, Analysen direkt in Arbeitsabläufe einzubetten, da viele operative Entscheidungen Antwortzeiten im Millisekundenbereich erfordern.
Althergebrachte On-Premise- oder Private-Cloud-Dienste stehen einer Reihe von Einschränkungen gegenüber, die ihre Effektivität für KI-basierte Prozesse begrenzen. Sie erreichen weder die Skalierbarkeit moderner Cloud-Lösungen, noch bieten sie die latenzarme Anbindung, die für KI- Lösungen notwendig ist. Zudem verzögern sich Integrationen oft erheblich. Der Abruf von Daten aus On-Prem-Systemen dauert mitunter 10 Minuten oder mehr; Zeitverzögerungen, die für zeitkritische Aufgaben wie die Ladeplanung mehr als ungeeignet sind. Schließlich leidet die Nutzerakzeptanz, wenn KI-Empfehlungen über externe, cloudbasierte Plattformen und nicht direkt in Kernsysteme wie Transportmanagementsysteme (TMS) integriert werden, was häufig dazu führt, dass die Empfehlungen wenig bis gar nicht befolgt werden.
Der Markt signalisiert klar eine verstärkte Nachfrage nach einem „AI-native Stack“: einer integrierten Technologiearchitektur, die von Grund auf für effiziente und effektive KI-Prozesse konzipiert ist. Dieser Wandel markiert einen grundlegenden Übergang, weg von der Nachrüstung bestehender Systeme hin zu spezialisierten Infrastrukturen, die das volle Potenzial der KI ausschöpfen können. In gewisser Weise gilt dies auch für traditionelle, nicht digitalisierte Prozesse. Entgegen der bisherigen Logik ist es heute die KI, die eine tiefere Digitalisierung vorantreibt. Das Aufkommen des AI-native-
Ansatzes ist somit nicht nur technologische Notwendigkeit, sondern auch eine markgetriebene Entwicklung hin zu reaktionsfähigeren, skalierbareren und integrierten Betriebsframeworks.

Abbildung: BeyondTrucks
Kollaboration und Eco-Systeme: Der neue KI-Vorteil
Erfolg in dieser neuen Ära beruht zu einem großen Teil auf Zusammenarbeit und Systemdenken. Führende Organisationen bilden Partnerschaften mit globalen Systemintegratoren, Beratungsunternehmen und spezialisierten KI-Entwicklern, um Fachwissen mit technischer Expertise zu kombinieren. Zentrale Systemlandschaften werden oft als offene Systemarchitekturen konzipiert, bei denen APIs standardisierte Verbindungspunkte zwischen den Komponenten des Eco-Systems schaffen. Dieser kollektive Ansatz ermöglicht es, komplexe Herausforderungen wie die Vermeidung von Leerfahrten, die Optimierung von Logistikkapazitäten oder den Einsatz von „distributed ledger technologies“ für nachvollziehbare Echtzeit Transaktionen zu adressieren. Solche Kollaborations- Eco-Systeme beschleunigen Pilotprojekte hin zu skalierbaren KI-Lösungen mit direktem Einfluss auf die Wertschöpfung entlang der Transportketten.
Integration beschränkt sich nicht nur auf Software, sondern umfasst auch Cloud-Infrastruktur, Cybersicherheit und Daten-Governance. Fortschrittliche Unternehmen betrachten KI als strategischen Enabler für resiliente Wertschöpfungsnetzwerke, die Risiken antizipieren und schnell reagieren können, nicht nur als Effizienz-Tool. In den letzten 24 Monaten ist KI von der IT-Abteilung in die Vorstandsetage aufgestiegen und wird zum Thema der höchsten Ebene, selbst in den traditionellsten Transportunternehmen. Nearshoring-Initiativen und die „Glass Pipeline“ – ein Zustand maximaler Transparenz über die gesamte Lieferkette – spiegeln diesen Wandel wider. Sie ermöglichen es den Beteiligten, Waren und Risiken in Echtzeit zu verfolgen und agil datenbasierte Entscheidungen zu treffen.
Im operativen Kern der Liefernetzwerke stehen digitale Control Towers: Echtzeit-Kommandostellen, die Daten aus Einkauf, Produktion, Transport, Lager und Distribution mittels fortschrittlicher Analytik und automatisiertem Exception Management vernetzen. Sie ersetzen isolierte Einzellösungen durch intelligente Eco-Systeme, die laufend lernen und sich selbst optimieren – zum Beispiel bei Prognosepreisen, Retourenmanagement, Routenplanung oder Lieferantenkooperationen.
KI-getriebene Transformation entlang der Wertschöpfungskette
Die KI-getriebene Transformation erstreckt sich entlang der gesamten Wertschöpfungskette: von der Fabrikhalle mit digitalen Zwillingen, IoT-Sensoren und Robotik für antizipierte Wartung bis hin zum After-Sales, bei dem automatisierte Abrechnung, Diagnostik und KI-gestützte Garantieabwicklung Prozesse, Produkte und Kundenerlebnisse durch kontinuierliche Feedback-Loops stetig verbessern.
Nachhaltigkeit ist jetzt fester Bestandteil dieses technologischen Gefüges. KI hilft, Umweltauflagen nachzuhalten, Transparenz in Lieferketten über blockchain-basierte Produktpässe zu schaffen und Prozesse der Kreislaufwirtschaft wie Wiederverwendung und Recycling zu unterstützen. Angesichts steigender regulatorischer und gesellschaftlicher Anforderungen müssen Lieferketten nun effizient und verantwortungsvoll agieren.
Der Weg zur erfolgreichen KI-Implementierung ist jedoch anspruchsvoll und ein fortlaufender Prozess. Er setzt kontinuierliche Investitionen in Wartung, Compliance, Schulung und Infrastruktur-Upgrades voraus; etwa durch Migration von TMS-Systemen auf cloud-native, mandantenfähige Plattformen oder den Ausbau von unternehmensweiten Data Lakes und Lakehouses, die sich zu dynamischen, verteilten und KI-gesteuerten Datenplattformen entwickeln, anstatt nur als statische zentrale Datenquelle zu dienen. Die Bewältigung regulatorischer und ethischer Fragestellungen ist ebenso entscheidend, um Vertrauen und Wirksamkeit zu erhalten.
Diese neuen Möglichkeiten lassen traditionelle Grenzen verschwimmen: Softwareanbieter fungieren heute als Berater, während Beratungen eigenständige, softwareähnliche KI-Lösungen entwickeln. Gemeinsam liefern sie hybride Modelle, die auf die individuellen Gegebenheiten, wie Datenprofile, operativen Herausforderungen und strategischen Ziele einzelner Unternehmen zugeschnitten sind. In der durch Komplexität geprägten Logistik ist Konfigurierbarkeit heute keine Option mehr, sondern ein entscheidender Wettbewerbsvorteil.
KI-Integration für nachhaltige Wirkung und Wettbewerbsvorsprung
Die Botschaft ist eindeutig: Die wahre Kraft der KI liegt nicht in isolierter Technologie, sondern in Integration und Anpassungsfähigkeit. Digitale Vorreiter sind Unternehmen, die den Schritt weg von traditionellen Systemen und Prozessen wagen und konfigurierbare KI tief in Arbeitsabläufe, bestehende Systeme und Unternehmenskulturen einbetten und so komplexe Lieferketten in lebendige, intelligente Netzwerke verwandeln, die Disruptionen vorhersagen, Abläufe optimieren und Innovationen vorantreiben. In einer Welt, in der „one size never fits all“ gilt, entscheidet das
Beherrschen dieser Grundlagen und der Mut zum Wandel und Fortschritt über den Erfolg im Zeitalter der KI in Supply Chain, Logistik und Transport.
Über die Autoren
Wolfgang Lehmacher ist globaler Supply-Chain-Experte. Der ehemalige Direktor des World Economic Forum und CEO Emeritus von GeoPost Intercontinental ist Beiratsmitglied der Logistics and Supply Chain Management Society, „Botschafter“ für F&L und Berater von RISE. Er schreibt und spricht seit Jahrzenten über Innovation, Nachhaltigkeit, Expansion und Fortschritt in der Supply Chain-, Logistik- und Transportbranche bei.
Hans Galland ist Technologieunternehmer und CEO von BeyondTrucks, einem Anbieter eines AI- nativen Transportmanagementsystems für komplexe und spezialisierte Unternehmensflotten. Der Stevie Award Winner 2025 für „Best Transportation Entrepreneur“ ist Absolvent der Stanford Graduate School of Business und sitzt in mehreren Profit- und Nonprofit-Gremien. Er ist Autor und häufiger Redner zu den Auswirkungen von KI-Transformationen in der Transportbranche, deren Anwendung und Einfluss auf die Arbeit.