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Interview: Mittelständische und kleine Unternehmen beobachten die Situation in China kritisch

Man kann China nicht komplett ersetzen, denn für viele Unternehmen ist es nicht nur ein Produktionsstandort, sondern auch ein Absatzmarkt, betont in unserem Interview Thomas Heck, Partner PwC Deutschland, Head of China Business Group in Deutschland und Europa. Beispielsweise produziert Volkswagen 40 Prozent aller Autos mit dem VW-Logo in China. Die Autos werden lokal produziert und lokal verkauft. Trotzdem sollten Unternehmen ihre Lieferketten diversifizieren und zusätzlich zu Lieferanten in China auch Lieferanten in Südostasien, Südamerika oder in Osteuropa haben.

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Natalia Jakubowska, Trans.iNFO: Haben Sie erwartet, dass die Lieferkettenprobleme so lange dauern werden?

Thomas Heck, Partner PwC Deutschland, Head of China Business Group in Deutschland und Europa: Nein, eigentlich nicht. Das hat mich schon überrascht.

Womit hatten Sie denn gerechnet?

Ich hatte gedacht, dass wir viel schneller durch diese Themen durch sind und dass sich die Lieferkettenprobleme nicht so lange hinziehen werden. Wir sind jetzt alle in einer neuen Realität angekommen, aber wissen alle noch nicht wirklich, wie wir damit umgehen sollen.

Glauben Sie, dass uns jetzt ein Decoupling der Weltwirtschaft droht? Die geopolitischen Spannungen haben letztens zugenommen: Russland hat die Ukraine angegriffen. In Taiwan brodelt es auch.

Meine Hoffnung ist, dass wir nicht in einem Decoupling enden. Ich hoffe eher auf ein Re-Balancing. Unternehmen und Länder müssen jetzt schauen, welchen Risiken sie ausgesetzt sind und wie sie diese gegebenenfalls leveragen können, dadurch dass sie Lieferanten aus anderen Ländern suchen. Wir werden uns aber nicht decoupeln in der Welt in dem Sinne, dass jeder nur noch das für sich produziert, was er selber braucht. Das ist eine naive Vorstellung, die nicht umsetzbar ist und auch in keinem Interesse sein sollte.

In den letzten drei Jahren haben wir gemerkt, wie fragil Lieferketten sind und wie empfindlich sie auf externe Einflüsse reagieren. Unternehmen sollten deshalb überlegen, ob es nicht interessanter ist, zusätzlich zu Lieferanten in China auch Lieferanten in Südostasien, Südamerika oder in Osteuropa zu haben, um gegebenenfalls auf Schocks in einer Region durch eine Verlagerung in eine andere Region zu reagieren. Wir wissen als Berater, dass jetzt in vielen Unternehmen genau solche Gespräche laufen und Firmen versuchen, kritische Teile in der Supply Chain zu ermitteln, um eventuelle Risiken reduzieren zu können.

Eine Deglobalisierung halten Sie also für unwahrscheinlich?

Ja, die halte ich für unwahrscheinlich. Dazu wissen alle, dass die Globalisierung viel zu viel Wohlstand geschaffen hat. Natürlich gibt es auch Verlierer in der Globalisierung. Das ist überhaupt keine Frage. Aber der Netto-Impact auf die meisten Volkswirtschaften ist mehr als positiv.

Was wir zurzeit beobachten, ist mehr ein Wettbewerb zwischen den USA und China. Die USA nehmen immer mehr zur Kenntnis, dass sie in China einen Konkurrenten haben, der die letzten 30-40 Jahre gewachsen ist und der heute auch technologisch in vielen Bereichen ebenbürtig ist. Und sie überlegen gerade, wie sie mit dieser Situation umgehen sollen. Da kommt es auch zu Panikreaktionen. Denke man nur an den Chips Act, der es verbietet, bestimmte Technologien nach China zu bringen.

Die Frage ist nur, was die USA damit erreichen wollen und ob sie die Chinesen tatsächlich in ihrem Bestreben nach Wohlstand und Technologieführerschaft in bestimmten Bereichen tatsächlich aufhalten können. Oder ob sie genau das Gegenteil erreichen und die Chinesen noch stärker in eigene Technologien investieren und eigene Standards für sich definieren.
Sollten die Chinesen tatsächlich anfangen nur noch für sich zu entwickeln, dann laufen wir allerdings die Gefahr, dass IT-Systeme nicht mehr miteinander kommunizieren können und viele globale Standards, die wir in den letzten 40 -50 Jahren entwickelt haben, redundant sind. Darüber müssen sich die Weltmächte schon im Klaren sein. Deshalb glaube ich, dass der politische Diskurs hier sicherlich noch lange nicht zu Ende ist.

Wie sollte sich denn Europa in diesem Konflikt positionieren?

Europa spielt derzeit bei vielen Themen wie beispielsweise IT und Technologien lediglich eine Beobachterrolle und kann damit keine richtige Position beziehen. Es gibt derzeit in Europa wenige global agierende Technologieunternehmen oder sie sind nur in bestimmten Nischenmärkten präsent. Deswegen sind die Europäer in einer schwächeren Position gegenüber den USA und China.
Europa sollte zwingend eigene Stärken ermitteln und eigene Champions fördern. Unterdessen kann Europa höchstens eine Vermittlerrolle in diesem globalen Spiel zwischen den USA und China spielen, um den beiden Mächten die gemeinsamen Errungenschaften der letzten Jahre zu verdeutlichen.

Nicht fördernd ist auch die Tatsache, dass sich die Führer beider Länder aufgrund der Corona-Pandemie über drei Jahre lang nicht physisch getroffen haben. Aber auch europäische Politiker sind weder nach China noch chinesische Politiker nach Europa gegangen. Deshalb hoffe ich sehr, dass, wenn sich das Thema Covid endlich auch in China wieder entspannt hat, dass persönliche Treffen zu einer Verständigung in diesem ideologischen Wettbewerb verhelfen und es wieder zu einem praktischen Dialog kommt.

Sie behaupten also, Europa wirkt in letzter Zeit geschwächt und steigt als politischer Player immer mehr in die Bedeutungslosigkeit ab. Sind diese Versäumnisse überhaupt noch nachholbar?

Die Frage ist, über welchen Zeitraum wir sprechen, denn über Nacht kann man nicht zum globalen Champion werden.Womit Europa aber viel stärker werben muss, ist der Binnenmarkt. Europa verfügt über einen riesigen EU-Binnenmarkt. Aber nur theoretisch, da dieser in vielen Bereichen komplett zersplittert ist. Wenn ein Importeur Fahrzeuge aus China importieren möchte und diese anschließend in Europa verkaufen will, dann muss er praktisch in jedem Land andere Spezifikationen erfüllen. Die Dänen wollen dies, die Deutschen wollen jenes. Deshalb müssen wir endlich lernen, diesen Markt zu bedienen. Aber wir müssen auch die Leute in Europa dazu zwingen, mindestens eine Fremdsprache wirklich fließend zu sprechen, um problemlos miteinander kommunizieren zu können.

Wenn Europa als Macht gesehen werden will, muss es wirtschaftlich stark sein. Das ist die Grundvoraussetzung. Europa verfügt über einen Markt von 600 bis 700 Mio. Menschen, in den 27 EU-Ländern sind es knapp 450 Mio. In fast jedem Land ist das Durchschnittsgehalt höher als in China, wo das Pro-Kopf-Einkommen bei 15 Tsd. US-Dollar liegt. Zum Vergleich: Das Pro-Kopf-Einkommen in Deutschland beträgt 60 Tsd. US-Dollar. Wir müssen uns endlich bewusst werden, dass wir einen attraktiven Markt und attraktive Unternehmen haben.

In letzter Zeit erwägen immer mehr deutsche Unternehmen eine Abwanderung aus China. Ist das Problem tatsächlich so gravierend? Wie nehmen Sie das wahr?

Wir beobachten gerade eine Zweiteilung. Große Unternehmen wollen weiterhin in China bleiben, da China für sie ein existenziell wichtiger Markt ist und sie im Zweifelsfall auch Schocks durch eine politische Krise verkraften können.

Der Mittelstand ist aber momentan eher in der abwartenden Rolle. Mittelständische und kleine Unternehmen beobachten die Situation kritisch, da für sie politische Probleme existenzbedrohend sein können. Dazu kommt, dass der chinesische Markt nicht mehr so schnell wächst wie früher. Viele Unternehmen überlegen daher, ob die nächste Investition tatsächlich nach China gehen soll oder in die USA, nach Südostasien oder vielleicht auch nach Afrika.Der Mittelständler kann es sich nicht leisten, ein halbes Jahr auf Waren aus China zu verzichten. Die Großen sagen “Business as usual” und die Mittelständler schauen sich nach Alternativen um.

Komplett ersetzen kann man China also nicht?

Komplett ersetzen kann man es nicht. Und es geht hier nicht nur um das Thema Lieferketten. Für viele Unternehmen ist China auch ein Absatzmarkt. Beispielsweise produziert Volkswagen 40 Prozent aller Autos mit dem VW-Logo in China. Da sind nur sehr wenige Teile aus Deutschland drin. Die Autos werden lokal produziert und lokal verkauft. Das ist eine dieser “local for local” -Geschichten. Der Konzern verdient damit sehr gutes Geld. Die Margen sind gut und die Dividenden, die aus China nach Wolfsburg fließen, stellen einen maßgeblichen Teil des Gewinns des Konzerns dar. Ähnlich ist es bei anderen großen Konzernen, die in China für den chinesischen Markt produzieren und damit sehr erfolgreich sind.

Anders ist es für die Mittelständler. Diese produzieren in China günstigere Teile, die sie nach Europa oder die USA bringen, um dort weiter zu produzieren und das Produkt herzustellen, um dieses dann teilweise wieder nach China zu schicken.

Sie haben bereits erwähnt, dass Unternehmen heute vor allem diversifizieren sollten. Welche Märkte bieten denn jetzt konkret gute Investitionsbedingungen?

Was wirklich sehr interessant ist, ist Südostasien. Dort wurde vor kurzem ein neuer Wirtschaftsraum und die größte Freihandelszone der Welt geschaffen – RCEP. Damit entstehen Möglichkeiten, in einem dieser Länder zu produzieren und anschließend komplett zollfrei seine Waren nach China zu bringen oder nach Malaysia oder Indonesien. Dieser neue zollfreie Binnenmarkt wird sicherlich für viele Unternehmen interessant werden. Man hat dort auch Lohngefälle gegenüber China, wo die Löhne mittlerweile sehr stark gewachsen sind. Lediglich die Infrastruktur hinkt noch etwas hinterher.

Viele Unternehmen haben bereits vor Jahren ihre Produktion aus Südchina, zum Beispiel nach Vietnam oder Bangladesch verlegt. Gerade solche Branchen wie die Textilbranche, wo alles günstig produziert werden muss. Der Prozess der Abwanderung hat ohnehin schon vor Jahren begonnen und wird durch diese neuen Wirtschaftsräume sicherlich noch zusätzlich beschleunigt.

Ich habe vor einiger Zeit einen Artikel in der WirtschaftsWoche gelesen, dass Osteuropa  für deutsche Unternehmen zum neuen China werden könnte. Wie sehen Sie das?

Das finde ich wahnsinnig interessant. Ich habe mir neuerdings die Zahlen angeschaut, wie die Handelsvolumen zwischen den großen osteuropäischen Staaten und Deutschland aussehen. Und wenn man die zwei größten Länder in Betracht zieht, Polen die Tschechische Republik kommt man auf das gleiche Handelsvolumen wie wir mit China haben, knapp 250 Milliarden Euro. Wenn man noch Ungarn, die Slowakei und Rumänien dazurechnet kommt man auf fast 400 Milliarden Euro Handelsvolumen. Das sind schon beeindruckende Zahlen, die mir bisher so nicht bewusst waren.

Was natürlich im Moment eher entgegenspricht, ist der Ukraine-Krieg. Unternehmen haben im Moment eine gewisse Abwartungshaltung eingenommen, da das Risiko besteht, dass sich der Krieg ausweitet. Vor ein paar Monaten hatten wir in Deutschland ein industrielles Problem, weil beispielsweise die Kabelhersteller aus der Ukraine nicht liefern konnten. Das ist zwar absurd, dass das unser größtes Problem war, aber für ein Unternehmen war es schon ein Thema.

Wenn sich das Kriegsproblem löst und sich alles wieder beruhigt hat, dann gibt es sicherlich eine Chance für Osteuropa für Unternehmen wieder attraktiver zu werden.
Allerdings muss man auch bedenken – das war in der Vergangenheit auch ein Problem in Polen -, dass die Arbeitslosigkeit auf einem relativ niedrigen Niveau war und es nicht so einfach war, Mitarbeiter zu finden. Wenn ich morgen in Polen eine Fabrik aufmache, dann rennen die Leute einem auch nicht die Tür ein. Man muss entsprechende Löhne zahlen und für gute Arbeitsbedingungen sorgen. Das ist alles nicht mehr so einfach, wie es vor 20 Jahren war. Unternehmen müssen zudem auch bedenken, ob sie die Kostenexplosionen bei Energie in Europa überhaupt tragen können.Im Moment spricht daher eher wenig dafür, dass Osteuropa zum neuen China werden könnte.

Die Sanktionen gegen Russland wirken sich teilweise indirekt auch auf China aus. Ist die Neue Seidenstraße auf dem Landweg überhaupt noch betreibbar?

Züge fahren zwar immer noch, aber viele wurden beispielsweise über die Türkei umgeleitet. Die Chinesen müssen das Projekt auf jeden Fall umdenken, weil sie auch selber sehen, dass die neue Seidenstraße nicht nur positive Effekte hat. Es gab relativ viel politischen Gegenwind und nicht in allen Ländern sind die Projekte, die realisiert wurden, positiv bewertet worden.

Ein weiteres Thema ist, dass die großen staatlichen Banken in China, die viele von diesen Projekten finanziert haben, im Moment eher Liquidität vor Ort brauchen, statt in neue milliardenschwere Projekte in Sri Lanka oder Pakistan zu investieren. Das Investitionsvolumen wird sich deshalb beruhigen oder auf einem etwas niedrigeren Niveau sein. Das, was wir in letzter Zeit gesehen haben, wird es nicht mehr geben.

Viele von den Projekten werden außerdem überhaupt kein Geld verdienen. Kredite werden nicht mehr zurückgezahlt werden können. Deshalb wäre ich in dem Moment eher skeptisch, ob das Projekt in dem Maße weitergeführt werden kann.

Welche Rolle könnte in Zukunft Ukraine auf Chinas Seidenstraße spielen?

Die Ukraine hatte sehr gute Handelsbeziehungen zu China. Investiv ist aber recht wenig passiert. Man hat vor allem viele landwirtschaftliche Produkte ausgetauscht, aber auch Rüstungsprodukte.
Wenn sich die Lage in der Ukraine in Zukunft stabilisiert, könnte das Land eine Brückenfunktion einnehmen. Ukraine ist ein großes Land mit einer großen Bevölkerung, insofern ist es sicherlich auch ein interessanter Markt für Handelspartner.

Wie wird sich die Weltwirtschaft in Zukunft entwickeln? Welche Szenarien halten Sie für möglich?

Das realistische Szenario ist, dass wir erstmal eine gewisse Verhärtung der politischen Auseinandersetzung haben werden. Ich will das jetzt nicht als Blockbildung bezeichnen, aber die Chinesen werden sich stärker auf sich beziehen, weil aus ihrer Sichtweise der Westen ständig gegen sie arbeitet.

Wenn sich die Politiker aber wieder persönlich austauschen können, dann könnte eine Chance auf eine gewisse Renaissance der Beziehungen entstehen. Wenn ich mit den Chinesen rede, dann haben sie keine Lust auf diese Selbstbezogenheit und wollen zusammenarbeiten. Deswegen habe ich die Hoffnung, dass der Wille der Leute irgendwann doch gehört wird und dass Politiker merken, dass das kooperative Modell viel interessanter ist und viel mehr Wert produziert, als wenn man sich nur auf sein eigenes Land bezieht und seine eigenen nationalen Interessen vertritt.

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