In der Presse ist vor diesem Hintergrund sowohl von leeren Regalen im Einzelhandel als auch von Problemen für den Onlinehandel die Rede gewesen. Die Hypothese des bevh hingegen lautet:
- Reliabilität: E-Commerce als Vertriebskanal ist besser geeignet, die Versorgung auch unter den o.g. Einschränkungen sicherzustellen, da der Konsument bei lokalen Engpässen auf die überregionale Zustellung ausweichen kann.
- Prognostizierbarkeit: E-Commerce hat aus den Vorjahreswerten und der laufenden Entwicklung unter Einrechnung einer Dämpfung der Zahlen wegen der Wiederöffnung stationärer Läden Prognosen für das Weihnachtsgeschäft frühzeitig erstellt und konnte sich rechtzeitig bevorraten. Auch wenn sich kein Händler dem globalen Trend ganz entziehen kann, sollten sich die Effekte nur begrenzt auswirken.
Zu Validierung dieser Thesen haben wir im Oktober unsere Mitglieder aus dem Handel anonym nach ihrer aktuellen Situation befragt. Bis Mitte November haben wir von etwa 20 Prozent der Mitglieder Rückmeldung erhalten. Die folgenden Charts zeigen die aktuelle Situation.
So gut wie alle Onlinehändler in der Stichprobe sind von Störungen in der Lieferkette beeinträchtigt. Diese Störungen betreffen aktuell mehr als ein Drittel der Sortimente, wobei einzelne Ausreißer den Mittelwert leicht nach oben auf 37 Prozent treiben. Der Median liegt zwei Prozentpunkte unter dem Mittelwert. Auch für das kommende Frühjahr ist noch nicht mit einer deutlichen Entspannung zu rechnen. Zwar sinkt der Median hier mit 30 Prozent auf unter ein Drittel aller Sortimente; nichtsdestoweniger liegt der Mittelwert fast unverändert bei 35 Prozent.
Allerdings fällt deutlich auf, dass nicht die zu erwartenden Sortimente wie Elektronikprodukte oder Bekleidung von besonders vielen Händlern genannt werden. Und selbst die Händler solcher Produkte sehen das Weihnachtsgeschäft – mit Ausnahme von Fotoartikeln – weniger betroffen. Die größten Probleme im Nachschub bereiten Verpackungsmaterialien.
Hier ist einschränkend hinzuzufügen, dass die Zusammensetzung der Stichprobe weder Aussagen über alle Betriebe im Onlinehandel noch über alle Warengruppen innerhalb der genannten Sortimente zulässt, aber u.E. hohe indizielle Bedeutung hat.
Um so wichtiger ist die Einschätzung, ob und in welchem Maß das kommende Weihnachtsgeschäft betroffen sein wird. Ein gutes Viertel der befragten Händler fürchtet keine Beeinträchtigungen, der weit überwiegende Teil sieht nur einen geringen Teil der potenziellen Nachfrage im wichtigsten Verkaufszeitraum des Jahres gefährdet. Lediglich knapp 12 Prozent der Teilnehmer sieht einen großen Teil des Weihnachtsumsatzes gefährdet.
Die offensichtliche Resilienz resultiert daraus, dass die Händler aufgrund der im Onlinehandel gegebenen Daten-Transparenz sehr genau ihren Bedarf einschätzen und bei sich abzeichnenden Engpässen frühzeitig Warenmengen aufstocken bzw. diese in der Lieferkette auf den Weg bringen konnten. Die Beschaffung wurde entsprechend angepasst, berichtet fast jeder zweite Händler.
Acht von zehn der Befragten haben mit längeren Beschaffungszeiträumen disponiert und fast 70 Prozent ihre Lagerkapazitäten aufgestockt, um die Lieferfähigkeit aus dem Bestand zu erhöhen. Dass ein im Vergleich geringerer Anteil der Händler auf andere Frachtführer oder Verkehrsmittel ausweicht, zeigt lediglich, dass derzeit alle Transportwege – See, Luft und Schiene – ähnliche Probleme in der Abfertigung haben.
Zwar verzichtet fast jeder dritte Händler darauf, seine Werbemaßnahmen anzupassen. Allerdings weisen vier von zehn Händlern die Kunden darauf hin, dass diese mit längeren Lieferfristen rechnen müssen. Nur etwa jeder fünfte Händler verzichtet auf Marketingaktivitäten, damit Nachfrage und Verfügbarkeit nicht zu weit auseinander klaffen. Interessant ist zudem, dass Gutscheine – in den Medien oft als das Heilmittel der Wahl dargestellt – im anlaufenden Weihnachtsgeschäft noch keine große Akzeptanz bei den befragten Händlern finden.
So verhalten positiv die Grundstimmung auch ist, kann das nicht über die direkt spürbaren kaufmännischen Konsequenzen hinwegtäuschen. Nicht nur in diesem, sondern insbesondere auch im nächsten Jahr. Zwar sehen gut 35 Prozent der Befragten keine Auswirkungen bzw. haben durch das starke bisherige Geschäft Puffer aufgebaut, um Umsatz- und Ergebnisziele zu erreichen. Dennoch geht mehr als jeder fünfte Händler für 2021 von einem Umsatz- und Ergebnis-Verlust gegenüber dem Vorjahr aus.
Wo die Umsätze noch hinreichen, werden die gestiegenen Beschaffungskosten jedoch direkt im Ergebnis wirksam. Kumuliert gehen zwei von drei Händlern von sinkenden Ergebnissen aus. Und das setzt sich in den Erwartungen für das kommende Geschäftsjahr fort. Zwar gehen zwei Drittel der Onlinehändler für 2022 immer noch von einem Wachstum aus, wenn auch in geringerem Maß. Jedoch sollten die Ergebnisse fast überall schlechter ausfallen, und nur einer von zehn Befragten sieht keine negativen Auswirkungen.
In direktem Zusammenhang zu sehen – und als ein positives Zeichen für die Gesamtwirtschaft – ist dabei die Beschäftigungspolitik der Unternehmen. Gut jeder dritte Teilnehmer plant keine Anpassungen beim Personal, weitere knapp 40 Prozent wollen sogar Mitarbeiter in Logistik und Einkauf einstellen. Nur gut jeder fünfte Händler befürchtet, Mitarbeiter entlassen zu müssen – etwa genauso viele, wie mit massiven Verlusten im Weihnachtsgeschäft rechnen.
Im Ergebnis zeigt sich, dass unsere Hypothesen durch die Befragung zumindest in wesentlichen Aussagen gestützt werden. Nicht auszuschließen ist, dass Onlinehändler bei besonders gefragten Artikeln – Stichwort „Playstation 5“ – die gleichen Lieferprobleme haben wie der stationäre Handel. Bei guter Datenorganisation sollten sie aber in der Lage sein, verlässliche Auskunft über Lieferzeitpunkte zu geben.
Sicher ist indessen, dass die Probleme mit den Lieferketten unsere Branche noch weit ins Jahr 2022 hinein beschäftigen werden. Die höheren Frachtkosten und die Container-Krise werden sich vermutlich ab der Jahresmitte wieder normalisieren. Bis die Warenströme wieder normal und verlässlich laufen – von „just in time“ ganz zu schweigen – , wird es länger dauern. In dieser Zeit wird die Kapitalbindung im Handel erheblich zunehmen, weil die Händler größere Warenmengen bevorraten müssen, schlimmstenfalls durch Anmietung weiterer Lagerflächen. Das belastet das Working Capital, was für kleine Händler eine Gefahr und für den Handel potenziell ein Problem werden könnte.