TransInfo

Tacto Founders

Gründer-Interview: Eine Abkehr von der rein administrativen Einkaufsfunktion hin zu strategisch wertschöpfenden Prozessen im Einkauf kann nur digital unterstützt stattfinden

Das Münchener Start-up Tacto hat eine KI-basierte Softwarelösung entwickelt, die Kunden einen transparenten Überblick über ihre Beschaffungsaktivitäten verschafft, strategische Einsparpotenziale und Risiken aufzeigt und manuelle Aufgaben im Sourcing und der Lieferantenverwaltung automatisiert. In unserem heutigen Gründer-Interview gibt Co-Founder und CEO André Petry Einblicke in die Arbeit des jungen Unternehmens.

Lesezeit 11 Min.

Natalia Jakubowska, Trans.INFO: Womit genau beschäftigt sich Ihr Startup?

André Petry, Co-Founder und CEO von Tacto: Wir schaffen nachhaltige Lieferketten für den industriellen Mittelstand Europas. In anderen Worten ausgedrückt: Tacto entwickelt eine Software für den industriellen Einkauf im Mittelstand, mit der Unternehmen ihre strategischen Einkaufsprozesse in einem einzigen Tool digitalisieren und ihre Beschaffungsaktivitäten transparent auswerten können. Damit verfolgen wir das Ziel, den Einkauf im Mittelstand durch intelligente Digitalisierung zu unterstützen, um Freiraum für strategische Arbeit zu schaffen, Einsparpotenziale zu heben und Versorgungssicherheit sicherzustellen.

Was ist Ihr Hauptprodukt?

Unser Produkt ist ein Betriebssystem für den Einkauf des industriellen Mittelstands. Auf der einen Seite können mit unserer KI-gestützten Software administrative Prozesse im Lieferantenmanagement und Anfragewesen automatisiert werden. Auf der anderen Seite unterstützen Einkaufsanalysen die strategische Arbeit, indem sie einen transparenten Überblick sowie proaktive Hinweise für Einsparpotenzial und Risiken bei Warengruppen, Artikeln und Lieferanten geben. Das Team von Tacto arbeitet dafür eng mit seinen Kunden zusammen und gewinnt tiefe Einsichten in die Betriebsabläufe der betreffenden Industriezweige. So konnte die intuitive, datengetriebene und automatisierte Softwarelösung von Tacto entstehen, die ohne aufwendige IT-Ressourcen prägnante Resultate liefert.

Was für ein Problem wird durch Ihr Produkt gelöst? Welche Nachfrage wird damit gedeckt?

Der Einkauf im industriellen Mittelstand ist heute geprägt von vielen Herausforderungen. Zum einen muss – durch Lieferengpässe und Preissteigerungen – im Tagesgeschäft sofort reagiert werden. Zum anderen müssen die richtigen Weichen für die stetig steigende Komplexität durch z.B. Regularien wie das Lieferkettengesetz und LLEs gestellt werden. Und das alles muss so effizient wie möglich und unter limitierten IT-Kapazitäten sowie Personalmangel bewältigt werden. Wertschöpfende, strategische Arbeit kommt dadurch oft zu kurz, da die richtigen Werkzeuge fehlen: Der Einkauf operiert heute noch zum Großteil im ERP, in verschiedenen Excel-Dateien und über Mails. Diese bestehenden Tools sind dabei für mittelständische Unternehmen meist zu teuer, die Implementierung dauert zu lange und veraltete Technologien führen zu Unzufriedenheit bei Mitarbeitern.

Inwiefern entspricht das Produkt den aktuellen Markttrends?

Im Durchschnitt geben Industrieunternehmen rund 50-70 % ihres Umsatzes für Zukaufteile aus. Da die Produkte immer anspruchsvoller und die Lieferketten komplexer werden, muss der Einkauf die pünktliche, qualitätsgerechte, budgetkonforme und nachhaltige Lieferung tausender Teile sicherstellen. Dazu kommt ein starker, unterstützender Rückenwind für die Digitalisierung des industriellen Einkaufs im Mittelstand und die Einsicht bei 90% aller mittelständischen CPOs, dass eine Abkehr von der rein administrativen Einkaufsfunktion hin zu strategisch wertschöpfenden Prozessen im Einkauf nur digital unterstützt stattfinden kann. Zuletzt zeigen die aktuellen Lieferengpässe die Notwendigkeit, nachhaltig resiliente Lieferketten zu gestalten. Unsere Software bietet eine Lösung für diese wichtigen Markttrends (und mehr)!

Was ist einzigartig an Ihrem Produkt?

Wir legen Wert darauf, dass wir vom Mittelstand für den Mittelstand arbeiten: Tacto bietet eine dediziert ergänzende Lösung für den strategischen Einkauf im Mittelstand, die zusammen mit Mittelständlern aus dem Bundesverband Materialfluss, Einkauf und Logistik (BME) nah am Tagesgeschehen entwickelt wurde und perfekt auf die Bedürfnisse der Kunden zugeschnitten ist. Unsere Software ist ohne große IT-Ressourcen einsetzbar, intuitiv in der Nutzerführung und nimmt die Mitarbeitenden von Tag 1 an mit. Unsere Lösung kann den Status quo des Marktes verbessern, weil wir endlich diese Marktlücke füllen. Bislang gibt es nämlich schlichtweg keine vergleichbare Lösung für den Einkauf im industriellen Mittelstand.

Gerne mache ich das ganz konkret: Unsere Software kann die Einkaufsleitung befähigen, Risiken in der Lieferkette im Vorhinein zu mitigieren und Einsparpotenzial kontinuierlich zu realisieren. Wir unterstützen die reibungslose Zusammenarbeit in Lieferantennetzwerken über Unternehmensgrenzen hinweg als Basis für zukünftiges Wachstum. Dabei optimieren wir die bis zu 70% an Kosten und Emissionen eines physischen Produkts, die auf Lieferanten entfallen. So sparen wir Ressourcen entlang der Lieferkette ein und sorgen für mehr Nachhaltigkeit. Das ist alles ist nur möglich, indem wir innovative Cloud-Technologien und künstliche Intelligenz zur Datenverarbeitung im Hintergrund nutzen.

Wann und wie sind Sie auf Ihre Gründungsidee gekommen?

Unser Tacto Gründungsteam besteht aus drei Mitgliedern, die sich bereits im Studium kennenlernten. Nachdem wir schon an der Uni an einigen Projekten zusammengearbeitet hatten, wurde uns schnell bewusst, dass wir die gleichen Werte und Philosophie vertreten. Zudem passen unsere komplementären Hintergründe Tech, Produkt und Business einfach optimal zusammen! Doch nochmal einen Schritt zurück: Ich bin André Petry, einer der Geschäftsführer von Tacto. Durch meinen Hintergrund in BWL und Informatik konnte ich bereits bei meinen vorherigen Stationen bei BCG und appliedAI industriellen Unternehmen mit der Digitalisierung ihrer Geschäftsprozesse sowie der Nutzung von KI im Einkauf helfen. Unser zweiter Geschäftsführer ist Johannes Groll, der bei Tacto für die Produktentwicklung verantwortlich ist. Mit seinem Forschungshintergrund in KI an der TU München half er früher bei Palantir, die geschäftskritischen Abläufe von Industrieunternehmen datengetrieben zu optimieren. Der Dritte im Bunde ist unser CTO Nico Bentenrieder. Er ist für die Softwareentwicklung verantwortlich. Mit seinem Hintergrund in Business & Engineering war er vorher Teil des Teams für autonomes Fahren und unterstützte bei der Webentwicklung bei BMW.

Konkret begonnen haben wir mit unserer Unternehmung in einem kleinen Labor der TU München. Allerdings von Anfang an schon mit der großen Vision, gemeinsam ein Startup im B2B Bereich mit Schwerpunkt im industriellen Mittelstand zu gründen. Zudem schien uns München durch das Potential im Digitalisierungs- und Softwarebereich der perfekte Standort für ein Startup. Der Einkauf bzw. allgemein das Thema Lieferketten war dabei die größte Sorge unserer Kunden auf dem Hoch der Corona-Krise. Außerdem kannten wir die Prozesse durch unsere vorherige Tätigkeit in verschiedenen Industrieunternehmen gut. Mit unserem Hintergrund in Software und Datenverarbeitung hat uns das ungelöste Problem – „Wie schaffe ich nachhaltige Lieferketten?“ – deshalb zur Gründung von Tacto bewegt.

Welche Art von Wissen hatten Sie in diesem Bereich während der Gründung Ihres Startups? Und wie haben Sie Ihr Produkt überprüft?

Wie oben schon beschrieben kamen wir alle drei aus der KI-Forschung und haben an der TU München mit starkem Technologie-Bezug studiert. Alle drei hatten wir vor der Gründung bereits mittelständische Unternehmen in Digitalisierungsprojekten unterstützt und fundierte Digitalisierungskompetenzen aufgebaut. Während der über 400 Interviews entlang der gesamten Wertschöpfungskette und auch in den folgenden Geschäftsprojekten haben wir jeweils sehr eng mit den Mittelständlern aus dem Einkaufsbereich zusammengearbeitet. Dieser enge Austausch mit den Entscheidern und Akteuren des Tagesgeschehens in den Unternehmen und zusätzlich Co-Innovation mit Mitgliedern des BME haben uns unsere Entwicklungsschritte und die Software-Prototypen immer wieder prüfen und fortentwickeln lassen.

Woher kam das Kapital für Ihr Unternehmen?

Wir sind stolz und glücklich, sehr renommierte Investoren aus dem Industrie- und Digitalumfeld an unserer Seite zu wissen. Jüngst haben wir in einer Seed-Finanzierungsrunde 5,3 Millionen Euro eingesammelt – insbesondere von Cherry Ventures, UVC Partners und Visionaries Club sowie den Business Angels Hanno Renner (Personio), Michael Wax (Forto), Johannes Reck (GetYourGuide) und Torsten Reil (Helsing). Dankbar sind wir zudem für die tolle Unterstützung des CDTM, also Center for Digital Technology and Management, und der TU München, ohne die wir heute nicht da wären, wo wir sind.

Was waren die größten Hindernisse oder Herausforderungen bei der Gründung Ihres Startups?

Am Anfang war die größte Schwierigkeit, die exakten Kundenbedürfnisse herauszufinden, denn schließlich sollte unser Produkt diese bestmöglich abdecken bzw. erfüllen. Doch die Vielzahl an Interviews mit Kundinnen und Kunden half uns, genau zu verstehen, wo der Schuh drückt und welches Produkt dabei unterstützen kann, diesen Bedarf zu decken.

Zudem haben wir Partnerschaften abgeschlossen, die darin bestanden, dass wir einmal pro Woche mit der Einkaufsleitung und weiteren Mitarbeitenden der Abteilung verschiedener führender Mittelständler sprachen. Unsere Prototypen sind in diesem engen Austausch mit der Wirtschaft entstanden und wurden durch den kontinuierlichen Abgleich rasch fortentwickelt bzw. optimiert. Schließlich konnten wir in unserer Software genau abbilden, was unser Kundenstamm braucht.

Was hätten Sie rückblickend in der Startphase anders gemacht? Und welche Tipps können Sie anderen Gründerinnen und Gründern geben?

Rückblickend hätten wir vielleicht noch frühzeitiger erfahrene Personen in einige entscheidende Rollen in unser Team geholt. Gerade, wenn man mit dem deutschen Mittelstand arbeitet, ist der Mix aus jungen, innovationsgetriebenen und hungrigen Talenten und markt- und wachstumserfahrenen, senioren Experten im eigenen Team ein gutes Erfolgsrezept.

Weitere Tipps wären: Immer das Team und die Teamentwicklung im Auge haben und da keine Abstriche machen! Zudem Unsicherheiten durch konstante Weiterentwicklung rasch überwinden, sich auf Aufbau und positive Arbeitsergebnisse konzentrieren, Ablenkungen vermeiden, um stets den klaren Fokus auf das Wesentliche, das Kerngeschäft und die Kundschaft, zu behalten!

Was ist die größte unmittelbare Herausforderung für Ihr Unternehmen und wo sehen Sie sich selbst in fünf Jahren?

Eine unserer größten Herausforderungen liegt sicherlich in der rasanten Geschwindigkeit, mit der wir uns entwickeln und wachsen. Wir haben so viel Fahrt aufgenommen, dass wir sehen müssen, wie wir mit dem Wachstum unseres Unternehmens Schritt halten. Das bedeutet, beispielsweise, dass wir neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ins Team aufnehmen, die unsere Philosophie, Unternehmenskultur und -werte teilen. Diese Werte gilt es, gemeinsam Tag für Tag mit Leben zu füllen und als zentrale Ankerpunkte im rasanten Tagesgeschäft nie aus den Augen zu verlieren. Wir schaffen das, weil wir neben der ernsten Arbeit den Spaß, die Neugierde und das Zwischenmenschliche nicht zu kurz kommen lassen und stets unser Team und den Teamzusammenhalt als wichtigsten Kern und Keimzelle unseres Schaffens wertschätzen.

In fünf Jahren möchten wir unsere Vision zur Realität gemacht haben, die führende Software und Plattform für den industrielle Einkauf in ganz Europa zu sein. Wir wollen es den Einkäuferinnen und Einkäufern ermöglicht haben, vollkommen weg von lästigen Verwaltungsaufgaben zu sein und viel strategischer arbeiten zu können. Die Software soll die komplette Ausführung der Prozesse übernehmen und dabei helfen, die klassischen Fragen im Einkauf zunehmend automatisiert mithilfe künstlicher Intelligenz zu beantworten. Wir wollen also – kurz gesagt – nachhaltige Lieferketten im industriellen Mittelstand schaffen.

Was würden Sie tun, wenn Sie kein Startup-Unternehmen gegründet hätten?

Für mich war immer klar, dass ich an Innovationen arbeiten möchte. Wenn ich nicht selbst gegründet hätte, würde ich wahrscheinlich in einem anderen Startup arbeiten, bei einem Investor oder anderen Unterstützer der Startup Szene wie z.B. der UnternehmerTUM in München. Mich reizt dabei besonders die Verbindung zwischen traditioneller Industrie und Digitalwirtschaft. Mittlerweile kann ich mir auch vorstellen, im Mittelstand zu arbeiten, da dort Unternehmertum genauso gelebt wird wie im Startup, nur die Produkte sind eben andere. Deshalb verstehen wir uns auch super mit unseren Kunden!

Tags