Am 28. Juli 2025 hat die Europäische Kommission eine vorläufige Feststellung veröffentlicht, wonach Temu gegen zentrale Pflichten des DSA verstößt. Der Vorwurf: Die Plattform habe ihre Risiken bei der Verbreitung illegaler Produkte unzureichend bewertet und nicht ausreichend Maßnahmen zur Verbrauchersicherheit ergriffen.
Unzureichende Risikobewertung – Plattformhaftung gefordert
Temu zählt laut Kommission zu den sogenannten „sehr großen Online-Plattformen“ (VLOP), da sie über 45 Millionen aktive monatliche Nutzer in der EU aufweist. Damit unterliegt das Unternehmen den strengeren Regeln des DSA, insbesondere Artikel 34, der eine umfassende Risikobewertung verlangt.
Laut EU-Kommission basiert Temus Bewertung vom Oktober 2024 jedoch lediglich auf allgemeinen Brancheninformationen – spezifische Risiken des eigenen Marktes wurden ignoriert. Dies könnte laut Mitteilung zu mangelhaften Gegenmaßnahmen gegen die Verbreitung illegaler Produkte geführt haben.
Henna Virkkunen, Exekutiv-Vizepräsidentin der Kommission, erklärte:
Nach unserer vorläufigen Auffassung ist Temu weit davon entfernt, die Risiken für seine Nutzer nach den im Gesetz über digitale Dienste geforderten Standards zu bewerten. Die Sicherheit der Verbraucherinnen und Verbraucher im Internet ist in der EU nicht verhandelbar.
Illegale Produkte in großer Zahl – Babyspielzeug und Elektronik im Fokus
Im Rahmen einer Mystery-Shopping-Aktion stellte die Kommission fest, dass Verbraucher auf Temu sehr wahrscheinlich Produkte finden, die nicht mit EU-Vorschriften konform sind. Genannt werden unter anderem Babyspielzeug und kleine Elektronikgeräte – beides Produktgruppen mit hohem Gefährdungspotenzial.
Ein laufendes Prüfverfahren untersucht darüber hinaus, ob Temu süchtig machende Designelemente, intransparente Empfehlungssysteme und unzureichende Kontaktdaten für Verbraucher nutzt. Laut der Kommission könnte bei Bestätigung ein formaler Verstoß festgestellt und eine Geldbuße von bis zu 6 Prozent des weltweiten Jahresumsatzes verhängt werden.
Verstöße auf breiter Front – Kritik auch von Verbraucher- und Handelsverbänden
Bereits im November 2024 hatte das europäische Netzwerk für Verbraucherschutz (CPC-Netz) Temu wegen irreführender Rabattaktionen, gefälschter Bewertungen und mangelnder Transparenz bei Händlerinformationen kritisiert. Auch aktuelle Ergebnisse des Verbraucherzentrale Bundesverbands (vzbv) bestätigen diese Mängel.
In einer Untersuchung im Juni 2025 fanden die Verbraucherschützer auf keiner von 30 untersuchten Produktseiten bei Temu und anderen Marktplätzen alle gesetzlich geforderten Pflichtangaben. Insbesondere fehlten regelmäßig Name, Anschrift oder Kontaktdaten der Händler – ein klarer Verstoß gegen Artikel 30 und 31 DSA.
Ramona Pop, Vorständin des vzbv, kommentierte:
Die Umsetzung grundlegender Regeln aus dem Digital Services Act durch die Online-Marktplätze lässt auch über ein Jahr nach ihrer Einführung zu wünschen übrig.
Auch der österreichische Handelsverband bezeichnete die Feststellungen der EU-Kommission als „Paukenschlag“. Geschäftsführer Rainer Will erklärte:
Es ist absolut inakzeptabel, dass über dubiose Fernost-Plattformen Produkte auf den europäischen Markt gelangen, die hierzulande strengstens verboten wären. Die Sicherheit unserer Kinder darf niemals dem Preis geopfert werden.
Sorgfaltspflichten für Marktplätze: Rechtliche Grundlagen im DSA
Gemäß DSA müssen Online-Marktplätze in der EU die Nachverfolgbarkeit gewerblicher Nutzer sicherstellen (Artikel 30), technische Maßnahmen zur Produktsicherheit implementieren (Artikel 31) und umfassende Risikobewertungen durchführen (Artikel 34). Dazu gehört auch, dass sie aktiv gegen die Verbreitung illegaler Inhalte und Produkte vorgehen, sowie für Verbraucher erreichbare Kontaktstellen anbieten.
Ein wiederholtes Versagen dieser Pflichten kann zu Sanktionen führen – darunter Bußgelder oder verpflichtende Änderungen der Plattformstruktur.
Politischer Kontext: Wirtschaftsspannungen mit China nehmen zu
Das Verfahren gegen Temu fällt in eine Phase angespannter Handelsbeziehungen zwischen der EU und China. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen betonte zuletzt beim EU-China-Gipfel, dass die Wirtschaftsbeziehungen ausgewogener gestaltet werden müssten. Die aktuellen Untersuchungen gegen Temu reihen sich ein in ein breiteres Vorgehen der Kommission gegen große Plattformen wie Shein, Amazon oder AliExpress.
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Ausblick: Verfahren läuft – Entscheidung steht noch aus
Temu hat nun die Gelegenheit, die Vorwürfe zu entkräften und schriftlich Stellung zu nehmen. Parallel wird der Europäische Ausschuss für digitale Dienste konsultiert. Sollte die Kommission die vorläufigen Feststellungen bestätigen, drohen konkrete Sanktionen – darunter empfindliche Geldstrafen und weitreichende Auflagen für die Plattform.
Bis dahin bleibt Temu unter Beobachtung – und mit ihm ein zunehmend unter Druck geratener digitaler Handel aus Drittstaaten.