Natalia Jakubowska, Trans.iNFO: Die Energiekosten gehen momentan durch die Decke. Ist der Moment jetzt gut, um mit Automatisierungsprozessen im Unternehmen anzufangen?
Achim Aberle, Körber Supply Chain Automation GmbH: Die hohen Energiekosten beflügeln die Automatisierung geradezu. Immer mehr Unternehmen denken darüber nach, wie sie Kosten sparen können und auf weniger Fläche die gleiche Leistung erbringen können. Aber auch für Bestandsanlagen bekommen wir Anfragen, ob man nicht noch mehr Energie sparen könnte. Hierfür kann man zum Beispiel effizientere Lösungen umsetzen, die Software überarbeiten oder auch Antriebe umtauschen.
Also ist paradoxerweise die Angst, dass Automatisierung die Stromkosten noch zusätzlich in die Höhe treiben könnte, nicht begründet?
Viele Unternehmen wägen momentan stark ab, ob sie weiter manuell arbeiten oder doch automatisieren sollen. Manuelle Prozesse brauchen mehr Raum, automatische können dahingegen auf kleinerer Fläche umgesetzt werden. Hinzukommt, dass die Automatisierungstechnik keine 20 Grad zum Arbeiten benötigt. Geringerer Raum und eine niedrigere Temperatur, machen sich natürlich direkt bei den Heizkosten bemerkbar. Neben den Energiekosten fördert aber auch der Fachkräftemangel diese Entwicklung. Viele Unternehmen sehen sich gezwungen zu automatisieren, weil sie nicht genügend Fachpersonal finden.
Und wie hat sich die Corona-Pandemie auf den Trend zur Automatisierung ausgewirkt?
Vor der Pandemie dominierte der Trend zur B2B-Logistik. Waren wurden für den Versand an externe Logistikdienstleister übergeben. In der Pandemie haben sich viele Hersteller dazu entschieden, eigene Webshops zu gründen und die Logistikprozesse selbst abzuwickeln. Unterm Strich hat sich die Pandemie also positiv auf die Intralogistik ausgewirkt, da viele Unternehmen die eigenen Logistikprozesse optimiert oder zumindest überdacht haben.
Müssen jetzt alle Lager zwingend automatisiert werden. Geht ohne Automatisierung gar nichts mehr?
Es führt nicht alles immer zwangsläufig zur Automatisierung. Lösungen müssen immer maßgeschneidert auf die Prozesse des Kunden sein und Automatisierung ist dabei nur eine von verschiedenen Lösungen für die Intralogistik. Es gibt aber durchaus Einflussfaktoren, die Automatisierung notwendig machen. Wichtigster Faktor ist der bereits erwähnte Fachkräftemangel. Vor allem in strukturschwachen Regionen, wo die Firmen keine Mitarbeiter für Kommissionierarbeiten mehr finden, denken sie zwangsweise über Automatisierung nach.
In welchen Branchen oder in welchen Unternehmen ist Automatisierung am wirtschaftlichsten?
Automatisierung rechnet sich vor allem dann, wenn eine hohe Anzahl an standardisierten Gütern im Rahmen des Warenflusses bewegt wird. Beispielsweise dann, wenn im Lager viele Materialien bevorratet werden und zudem eine bestimmte Umschlag-Anzahl am Tag stattfindet. Ebenfalls sinnvoll ist Automatisierung, wenn der Kunde viele Artikel auf geringer Fläche bevorratet. Dies ist zum Beispiel bei Automobilzulieferern der Fall. Automatisierte Lösungen ermöglichen eine hohe Lagerdichte, da man bis zu 40 Metern hoch bauen kann und dadurch mehr Stellfläche auf kleinem Raum bekommt. Körber hat aber auch viele Kunden im Textilbereich, die Saisonartikel anbieten. Wenn die Saisonkampagne startet und Artikel in kürzester Zeit versendet werden müssen, gewährleistet Automatisierung mehr Effizienz und Sicherheit als eine manuelle Abwicklung.
Wie wirkt sich der Trend zu verkürzten Lieferzeiten auf Automatisierungslösungen in der Intralogistik aus?
Webshops müssen ihre Waren in der Regel oft noch am selben Tag versenden. Eine automatisierte Lösung gewährleistet eine sehr hohe Zuverlässigkeit, ist weniger fehleranfällig und besitzt eine sehr hohe Einsatzeffizienz. Man kann besser vorhersagen, wann der Versand stattfindet. Auch lassen sich Personal-Engpässe vermeiden. Alles in allem hilft Automatisierung im Lager, das Versprechen der kürzeren Lieferzeiten besser einzuhalten.
Womit sollte man denn als Unternehmen anfangen, wenn man sein Lager automatisieren möchte?
Sinnvoll ist es dafür zunächst folgende Frage zu analysieren: Was für eine Warenbewegung habe ich? Wie ist der Wareneingangsprozess gestaltet? Wie viel Ware wird bewegt? Wie sehen die Lager-, Kommissionier- und der Versandprozesse aus? Wichtig ist, ob genug Materialbewegung stattfindet. Bewegt ein Unternehmen sehr wenig Ware oder hat einen sehr geringen Durchsatz pro Stunde, dauert es recht lang, bis die Automatisierungslösung sich amortisiert.
Um den verschiedenen Bedürfnissen gerecht zu werden haben sich skalierbare Lösungen entwickelt. Körber hat Kunden, die im Lager zunächst mit ein oder zwei autonomen Robotern starten und die Anzahl Stück für Stück erhöhen oder weitere Technologien hinzunehmen. Wir beraten und analysieren im engen Austausch mit unseren Kunden welche Menge und Art an Automatisierung Sinn macht, damit die automatisierte Lösung nicht teurer wird als der manuelle Prozess.
Gibt es sonst noch Einsatzvoraussetzungen, die man beachten sollte?
Eine Grundvoraussetzung für einen stabilen Prozess ist, dass die Güter transportfähig und standardisiert sind. Wenn jemand nicht mit Europaletten arbeitet oder ein sehr diffuses Bild an Ladungsgütern vorherrscht, dann kann er viele Probleme mit dem Betrieb der Anlage geben. Zugleich sind auch die Ladungsträger schwieriger zu händeln. Automatisierung hat immer etwas mit Standardisierung zu tun. Bei nicht standardisierten Gütern wird die Umsetzung kostspieliger.
Können Sie vielleicht exemplarisch belegen, in welcher Branche es keinen Sinn macht zu automatisieren?
Besonders schwierig, wenn auch nicht unmöglich, ist es im Bereich Food im Fall von Obst und Gemüse. Der Kunde weiß nicht immer, wie und worin die Ware angeliefert wird. Kommt sie in der grünen Kiste? Muss eine Umverpackung stattfinden? Auch hier ist eines der Probleme die fehlende Standardisierung.
Eine besondere Herausforderung sind Lager mit 24h-Betrieb? Wie setzt man in solchen Anlagen den Automatisierungsprozess um?
Wir erarbeiten zusammen mit dem Kunden ein ausführliches Konzept, wie wir die Mechanik und IT-Systeme parallel zum laufenden Betrieb aufbauen können, ohne dieses zu stark einschränken zu müssen. Das ist vergleichbar mit einer Operation am offenen Herzen. Prinzipiell sind das zwar sehr individuelle Prozesse, die an das Betriebsmodell des Kunden angepasst werden müssen, wir haben für solche Fälle jedoch bewusst ein eigenes Expertenteam aufgebaut, dass eine große Expertise für diese Umbauprozesse besitzt.
Neuerdings wird viel über voll-autonome Lager gesprochen. Gibt es diese wirklich oder ist es Utopie?
Es handelt sich dabei um sogenannte Dark Warehouses. Das ist ein Thema, das immer mehr vorangetrieben wird. Aufgrund des Fachkräftemangels ist das Interesse von Firmen an solchen Anlagen zuletzt gestiegen. Aber der Mensch ist aus Fabriken nicht wegzudenken und bleibt weiterhin für die Bedienung und Kontrolle der Abläufe verantwortlich. Automatisiert wird vor allem dort, wo der Mensch fehlt, insbesondere in der Kommissionierung, wo immer häufiger Robotik-Lösungen gefragt sind.
Nach welcher Zeit rechnet sich denn Automatisierung?
Das ist ganz unterschiedlich. Körber hat Anlagen umgesetzt, da rechnet sich die Automatisierung bereits nach einem halben Jahr Betrieb. Aber der ROI liegt normalerweise zwischen drei und fünf Jahren.
Automatisierung und CO2-Neutralität – geht das zusammen?
Das ist eine gewisse Herausforderung. Wir setzen uns seit 2008 damit auseinander, wie wir energieeffizientere Lösungen als unsere Wettbewerber anbieten können. Dementsprechend haben wir dafür diverse Ansätze. Per Software kann zum Beispiel die Ware den optimalen und kürzesten Weg nimmt und so Zeit und Entfernungen reduziert werden. Zahlreiche Möglichkeiten bieten sich auch im Tiefkühlbereich. Beispielsweise können Automatisierungslösungen den Platz reduzieren, der runtergekühlt werden soll. Das die nötige Energie deutlich reduziert. Automatisierung bietet schon zahlreiche Chancen, indem Sie Prozesse optimiert und den Energieaufwand an anderen Stellen reduziert..
Früher gab es eher die Tendenz zur zentralen Lagerung. Wie sieht das heute aus? Geht man mittlerweile mehr in Richtung Dezentralisierung?
Aktuell haben wir verschiedene Bewegungen. Im Bereich Food & Delivery kommt es darauf an, so schnell wie möglich am Kunden zu sein. Die Dezentralisierung hat sich hier sehr stark durchgesetzt. Gerade in den Städten entstehen immer mehr MicroWarehouses, was vor allem durch den Same-day-delivery-Standard antrieben wird. In anderen Bereichen wird wiederum zentralisiert. Einer unserer größten Kunden Jysk betreibt große zentrale Lager, die ganze Regionen bedienen. Das ist alles sehr individuell und oft abhängig von der Branche.
Start-ups mischen seit einiger Zeit die Logistikbranche auf. Sehen Sie diese als Konkurrenz?
Es ist tatsächlich zu spüren, dass immer mehr Start-ups neue Lösungen in die Intralogistik bringen – vor allem der Robotereinsatz wird vorangetrieben. Das sind erfreuliche Entwicklungen. Sinnvoll ist dabei, dass etablierte Unternehmen mit Start-ups kooperieren, statt zu konkurrieren. Oft sind junge Unternehmen nicht in der Lage, eine Komplettlösung anzubieten, sondern sie fokussieren sich lediglich auf einen Bereich. Eine Partnerschaft bietet einen entscheidenden Mehrwert für Kunden. Wir arbeiten zum Beispiel mit dem Start-up Magazino zusammen, das wahrnehmungsgesteuerte, mobile Roboter für die Intralogistik entwickelt.
AMR revolutionieren in letzter Zeit die Intralogistik. Welcher Trend, glauben Sie, kommt danach?
Autonome Roboter und KI werden sicher noch stärker in die Intralogistik einziehen. Roboter werden in Zukunft viel autonomer agieren. Vor allem werden sie viel intelligenter sein in Bezug auf die Haptik und dadurch mehr Aufgaben selbständig übernehmen können. Überdies gehe ich davon aus, dass immer mehr KI-gesteuerte Prozesse im Lager stattfinden und die Planung der Lieferketten optimieren.
Der Trend geht zur Automatisierung. Trotzdem bleibt der Mensche unverzichtbar. Wie können Mensch und Maschine erfolgreich zusammenarbeiten?
Automatisierung kann helfen, den demographischen Wandel auszugleichen. Der Anteil der älteren Bevölkerung wächst kontinuierlich. Mittlerweile gleicht die Bevölkerungspyramide einem “Dönerspieß”. Wir versuchen die Automatisierung aber so umzusetzen, dass vor allem gleichförmige oder körperlich anstrengende Jobs, die kaum noch jemand übernehmen möchte, von Maschinen übernommen werden und Mitarbeiter höher qualifizierte Aufgaben machen können. So kann der Roboter zum Beispiel in der Nacht die Waren vorkommissionieren, damit der Mitarbeiter sich dann tagsüber um die Dinge kümmert, die nicht automatisch händlelbar sind.