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Interview: „Investoren sind in Polen weiterhin sehr willkommen. Die Ausweitung der Sonderwirtschaftszonen auf das ganze Land im letzten Jahr hat das nochmals deutlich gemacht.”

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Natalia Jakubowska, Trans.INFO: In der Konjunkturumfrage der Deutsch-Polnischen Industrie- und Handelskammer hat Polen in den Jahren 2016 bis 2018 den zweiten Rang im Investitionsattraktivitätsranking der Staaten der Region MOE und der Ostsee-Anrainerländer belegt, von 2013 bis 2015 sogar den Spitzenplatz, in diesem Jahr aber nur noch den dritten. Ist das Potential bereits ausgeschöpft?

Niklas Becker, Director Poland, Germany Trade & Invest: Überhaupt nicht. Polen bietet weiterhin ein großes Potenzial für deutsche Unternehmen. Dank eines Binnenmarkts mit 38 Millionen Einwohnern ist es das größte Mitgliedsland der Europäischen Union in Mittelosteuropa. Polen ist zudem für fast 40 Prozent des Bruttoinlandsproduktes in dieser Region verantwortlich.
Mit einem BIP-Wachstum von 5,1 Prozent 2018 zählt die Wirtschaft des Landes außerdem zu den am schnellsten wachsenden innerhalb der EU. Polen überzeugt Investoren unter anderem mit gut ausgebildeten und motivierten Arbeitnehmern. Auch die breite Zuliefererbasis vor Ort wird immer wieder hervorgehoben. Einen großen Einfluss hat sicherlich auch die vorteilhafte geografische Lage des Landes.

Wie würden Sie die aktuellen Rahmenbedingungen für Investoren und Unternehmertum in Polen bewerten?

Investoren sind in Polen weiterhin sehr willkommen. Die Ausweitung der Sonderwirtschaftszonen auf das ganze Land im letzten Jahr hat das nochmals deutlich gemacht. In diesen Gebieten lassen sich unter bestimmten Voraussetzungen Steuervorteile geltend machen. Das bietet natürlich einen zusätzlichen Anreiz für Investoren.
Die Regierung hat sich allerdings zum Ziel gesetzt, die Wirtschaft des Landes innovativer zu gestalten und legt deswegen auch bei ausländischen Direktinvestitionen einen stärkeren Fokus auf diesen Bereich. Ziel ist es, Polen aus der vermeintlichen mittleren Einkommensfalle („middle income trap”) zu befreien.
Nicht zuletzt durch die Übernahme des Postens des Premierministers durch Mateusz Morawiecki hat Polens Regierung den Fokus stärker auf die Wirtschaft und das Unternehmertum im Land gerichtet. So wurde beispielweise eine „Businessverfassung“ (Konstytucja Biznesu) verabschiedet. Unter anderem sollen kleine und mittelständischen Unternehmen im Land stärker gefördert werden.

Schlechte Noten haben die befragten Unternehmen mitunter für den Regulierungsbereich verliehen. Wo liegen die Schwächen? Wo gibt es Ihrer Meinung noch Nachbesserungsbedarf?

Natürlich steht Polens Wirtschaft auch vor Herausforderungen, die interessierte Investoren nicht außer Acht lassen sollten. Vor große Probleme stellt die in Polen tätigen Unternehmen die mangelnde Vorhersehbarkeit der Wirtschaftspolitik im Land. Hier gilt es, verloren gegangenes Vertrauen wiederaufzubauen.
Seit dem Regierungswechsel Ende 2015 hat das Tempo legislativer Änderungen in Polen deutlich zugenommen. Diese stellen sowohl für in- als auch ausländische Unternehmen große Herausforderungen dar. Firmenvertreter monieren, dass die schnell und teilweise ohne Konsultationen eingeführten Gesetze die langfristige Planung für die Unternehmen schwierig machen. Des Weiteren berichten die Firmen von steigender administrativer Arbeit im Zusammenhang mit den Bestrebungen der polnischen Regierung, die Mehrwertsteuerlücke zu schließen. Diese Bemühungen haben die Anzahl der Kontrollen der verschiedenen Behörden in den Betrieben massiv ansteigen lassen.

Welche Branchen sind für Investoren besonders attraktiv?

Polens Wirtschaftsstruktur ist sehr vielschichtig. Anders als in anderen Ländern der Region kommt der Automobilbranche kein so starkes Alleinstellungsmerkmal zu. Das Land ist daher für Investitionen verschiedener Branchen attraktiv. Allen voran das verarbeitende Gewerbe bietet Chancen für Investoren aus dem Ausland. Auch wenn sie in Polen keine so dominante Rolle einnimmt wie beispielsweise in der Slowakei, einzige Trompete, ist die Automobilbranche natürlich ein starker Magnet für ausländische Direktinvestitionen. In regelmäßigen Abständen kündigen Unternehmen Großinvestitionen im Land an. In der jüngsten Vergangenheit ist dabei ein starker Anstieg im Bereich der Elektromobilität zu verzeichnen. Die neuen Investitionen bieten natürlich auch ein großes Potenzial für Zulieferbetriebe.
Eine rege Investitionstätigkeit ausländischer Unternehmen konnten zudem die Nahrungsmittel- und Chemiebranche sowie der Maschinenbau verzeichnen. Polen ist außerdem ein besonders attraktiver Markt für Shared Service Center. Die guten Fremdsprachenkenntnisse in der Bevölkerung sind ein großer Pluspunkt. Mit einer breiten Basis an gut ausgebildeten Ingenieuren, Mathematikern und IT-Fachkräften bietet Polen außerdem großes Potenzial im Bereich der künstlichen Intelligenz.

Was gibt es bei Investitionen in Polen zu beachten?

In Polen nehmen die Herausforderungen im Zusammenhang mit dem Arbeitskräftemangel zu. Immer mehr Unternehmen im Land sind davon betroffen. Um dem entgegen zu wirken, werden vermehrt ausländische Arbeitnehmer angeworben. Die größte Gruppe von ihnen kommt aus der Ukraine. Verschiedenen Schätzungen zufolge sind bereits 1,5 Millionen ukrainische Mitarbeiter in Polen tätig. Besonders in der verarbeitenden Industrie werden sie dringend benötigt. Firmen im Land schalten aufgrund der zunehmenden Schwierigkeiten bei der Kandidatensuche vermehrt Personaldienstleister ein. Dies gilt vor allem bei hochqualifiziertem Personal, Spezialisten und Führungskräften.
Verglichen mit den Löhnen in Deutschland bietet Polen zwar weiterhin einen deutlichen Kostenvorteil, allerdings nimmt dieser – auch aufgrund des Fachkräftemangels – ab. Bis 2021 werden jährliche Lohnsteigerungen von mehr als 6 Prozent prognostiziert. Zudem ist beim Kontakt mit polnischen Finanzämtern mit einer deutlich strengeren Praxis zu rechnen.

Wie steht es um Digitalisierung und Innovationen in Polen?

Im EU-Ranking des Index für digitale Wirtschaft und Gesellschaft (DESI) 2018 belegt Polen den fünftletzten Platz. Den größten Nachholbedarf hat das Land bei der Integration der Digitaltechnik. Ein Grund für das schlechte Abschneiden sind die geringen Ausgaben der Unternehmen für Digitalisierung. Für viele KMU stellen digitale Ausgaben weiterhin Kosten und keine Investitionen dar. Seitens der Regierung wird die Digitalisierung allerdings stark vorangetrieben. Erfolge lassen sich beispielsweise im Bereich E-Health finden. Elektronische Rezepte und Überweisungen gibt es bereits. Auch die Krankschreibung wird digital an den Arbeitgeber übermittelt.

Besonders Fortschrittlich – insbesondere im Vergleich zu Deutschland – ist Polen auf dem Gebiet des mobilen Bezahlens. Zusammen mit einer großen Fintech-Szene bietet das viel Potenzial. Der hohe Anteil der Industrie an der polnischen Wertschöpfung sowie der steigende Fachkräftemangel im Land werden in den kommenden Jahren sicherlich zu einer erhöhten Nachfrage im Bereich der Industrie 4.0 sorgen.

Auch auf dem Gebiet der Innovation hat Polen weiterhin Nachholbedarf. Die Europäische Kommission zählt das Land zu den moderaten Innovatoren. Wesentlicher Grund dafür sind die niedrigen Ausgaben für Forschung und Entwicklung. Im Jahr 2017 investierte Polen nur rund 1 Prozent des BIP. Der Durchschnitt der 28 Mitgliedstaaten war mehr als doppelt so hoch.

Die polnische Regierung ist seit einiger Zeit bestrebt das Land zu einer wichtigen Logistikdrehscheibe auf Chinas Neuer Seidenstraße zu machen. Ist Ihrer Meinung nach die geografische Sonderstellung ausreichend? Wie beurteilen Sie die Infrastruktur in Polen?

Die geografische Lage allein ist nicht ausreichend. Polen ist auf der Route der Neuen Seidenstraße zwar das erste EU-Land, darf sich darauf aber nicht ausruhen. Es ist wichtig, die benötigte Infrastruktur innerhalb Polens zur Verfügung zu stellen. Der Grenzübergang in Małaszewicze an der Grenze zu Belarus ist beispielsweise ein Nadelöhr auf der Strecke zwischen China und Europa. Hier stehen die Züge der Unternehmen teilweise bis zu zwei Tage. Es sind also dringend Investitionen zum Ausbau des Terminals nötig. Zudem müssen die administrativen Prozesse am Grenzübergang deutlich vereinfacht werden.

Auch dank der europäischen Fördermittel aus Brüssel wird die Infrastruktur in Polen immer besser. Seit dem EU-Beitritt 2004 wurden mehr als 3.000 Kilometer Autobahn und Schnellstraße für den Verkehr freigegeben. Einen großen Investitionsbedarf gibt es allerdings weiterhin im Bereich des Schienennetzes. Hier laufen aktuell (endlich) verschiedene Investitionsprogramme der Regierung. Ein Ziel dabei ist, die Geschwindigkeit für den Güterverkehr zu erhöhen. Diese liegt in Polen im Durchschnitt nur bei rund 20 Kilometer pro Stunde.

Letzte Frage: Was kann Polen von Deutschland und was kann Deutschland von Polen lernen?

Wie bereits erwähnt, verfügt Polen über eine große Basis an qualifizierten Wissenschaftlern. Die Universitäten im Land genießen einen guten Ruf. Insbesondere die Technischen Universitäten werden hochgeschätzt. Am Wissenstransfer mit der Wirtschaft hapert es allerdings noch. Der Austausch zwischen Unternehmen und Universitäten beziehungsweise anderen Forschungseinrichtungen ist für das Innovationslevel eines Landes allerdings von entscheidender Bedeutung. Hier kann Deutschland beispielsweise durch die Fraunhofer-Institute sicherlich als Vorbild dienen.

Polen ist Deutschland beim Online und Mobile Banking um Jahre voraus. Als in Deutschland das kontaktlose Bezahlen eingeführt wurde, war das in Polen bereits seit Jahren Alltag. Bezahlen per Karte ist quasi überall möglich. Die aktive Fintech-Szene stellt zudem immer wieder neue Technologien vor, die das Mobile Banking für die Kunden noch attraktiver machen. Mit dem System Blik lässt sich der Einkauf im Internet oder Supermarkt beispielsweise bequem und sicher ohne Bankkarte per App bezahlen. Zudem sind kostenlose Direktüberweisungen – auch auf Konten anderer Banken – möglich. In diesem Bereich kann sich Deutschland beim Nachbarn einiges abschauen.

Foto: Pixabay

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