rwi-Essen 15 November 2017 Foto: Sven Lorenz, Essen

Interview: “Kern des Problems scheint mir nach wie vor die Automobilindustrie zu sein.”

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“Wir haben noch bis ins Jahr 2019 hinein eine relativ starke Automobilkonjunktur gesehen.Die hat sich abgeschwächt. Dazu kommen offensichtlich strukturelle Probleme: Man hat den Umstieg zur E-Mobilität ein bisschen verschlafen. Das rächt sich jetzt gerade. Und dann kam noch Corona oben drauf. Das wird alles zusammen sicher noch fortwirken”, erklärt Prof. Dr. Torsten Schmidt vom RWI Essen die schlechte Lage in der Autoindustrie.

Natalia Jakubowska, Trans.INFO: Der ifo Geschäftsklimaindex steigt seit einiger Zeit wieder. Bundeswirtschaftsminister Altmaier hat jüngst die Konjunkturprognose nach oben – auf ein Minus von 5,8 Prozent korrigiert und spricht von einer beispielhaften V-förmigen Entwicklung. Ist Deutschland wirklich bereits über den Berg? Teilen Sie den Optimismus von Peter Altmaier?

Prof. Dr. Torsten Schmidt, Leiter des Kompetenzbereichs „Wachstum, Konjunktur, Öffentliche Finanzen“ beim RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung und apl. Professor für empirische Makroökonomik an der Ruhr-Universität Bochum: Ja, die Prognose teile ich. Wir hatten auch im Juni in unserer Prognose für dieses Jahr ein Minus von 5,8 Prozent prognostiziert, von daher würde ich mich nicht gegen ihn aussprechen. Wir sind jetzt gerade dabei eine neue Prognose zu erstellen, die wir nächste Woche Dienstag veröffentlichen. Da werden werden wir noch zu einer positiveren Einschätzung für dieses Jahr kommen. Das heißt aber nicht, dass wir wirklich komplett über den Berg sind. Auch wenn wir jetzt etwas unter – 5,8 Prozent bleiben, ist es immer noch die schwerste Rezession der Nachkriegszeit. Und wenn man sich die Daten genau anguckt, stellt man fest, dass es jetzt zwar eine kräftige Aufwärtsbewegung gibt seit Mai, dass es aber kein Nachholen gibt. Man kommt jetzt mit einigen Monaten Verspätung – aber auch nicht in allen Bereichen- doch wieder auf das Vorkrisenniveau, aber es gibt überhaupt keinen Nachholeffekt.Das heißt, die Umsätze und die Gewinne der letzten Monate sind einfach weg.Und das müssen die Unternehmen verkraften. Das werdens sie bis zum Ende des Jahres wahrscheinlich nicht mehr nachholen.Das belastet natürlich.

Wie reell ist also die Gefahr einer Insolvenzwelle im Herbst?

Die halte ich für sehr realistisch, weil, wie gesagt, die Unternehmen unter den ausgefallenen, entgangenen Umsätzen der letzten Monate leiden. In vielen Bereichen gibt es immer noch Beschränkungen.Das Verarbeitende Gewerbe ist insgesamt noch nicht über den Berg,da ist man noch deutlich unter der dem Vorkrisenniveau. Im Gaststättenbereich,im Hotelleriebereich gibt es nach wie vor Beschränkungen. Das wird eine Reihe von Unternehmen nicht durchstehen.

Welche Szenarien halten Sie für das nächste Jahr für möglich?

Wir gehen jetzt erstmal davon aus, dass unser Infektionsgeschehen auf dem derzeitigen Niveau bestehen bleibt. Und das heißt auch, dass die Beschränkungen, die wir jetzt haben, auch weiterhin bestehen bleiben.Vielleicht wird an der einen oder anderen Stelle im Winterhalbjahr noch mal verschärft, wenn es lokal zu etwas stärkeren Infektionsausbrüchen kommt. Wir erwarten da nichts Dramatisches, aber es wird keine weitere Entlastung für die Unternehmen geben. Erst im nächsten Jahr, wenn man die Dinge noch besser in den Griff bekommt, wenn man die Infektionszahlen runter bekommt durch einen Impfstoff oder verbesserte Tests oder Medikamente – da ist ja einiges in Bewegung – dann würden wir erwarten, dass es zu einer nachhaltigen Erholung kommt. Aber in diesem Jahr werden wird das Vorkrisenniveau in Deutschland nicht erreichen.

Die deutsche Wirtschaftsleistung war ja eigentlich schon vor Corona ein wenig enttäuschend.Welche Schwächen hat die Krise nochmals verdeutlicht?

Kern des Problems scheint mir nach wie vor die Automobilindustrie zu sein. Die Schwäche war ja ausgemacht im Verarbeitenden Gewerbe und da ist es im Kern der Automobilsektor mit den ganzen Zulieferungsbetrieben, die mit dranhängen. Das hat aus unserer Sicht einmal eine konjunkturelle Komponente:Wir haben noch bis ins Jahr 2019 hinein eine relativ starke Automobilkonjunktur gesehen.Die hat sich abgeschwächt. Dazu kommen offensichtlich strukturelle Probleme:Man hat den Umstieg zur E-Mobilität ein bisschen verschlafen. Das rächt sich jetzt gerade. Und dann kam noch Corona oben drauf. Das wird alles zusammen sicher noch fortwirken.

Sollte die Autoindustrie im Herbst zusätzliche finanzielle Hilfe vom Staat bekommen?

Im Konjunkturpaket ist die Autoindustrie ja schon bedacht worden. Man hat Forschungsgelder bereitgestellt, man hat die E-Mobilitätsprämie bereitgestellt, die Kfz-Steuer geändert.

Vielleicht war das aber zu wenig? Wir sprechen hier von Deutschlands Schlüsselbranche Nummer eins. 800.000 Beschäftigte in den Betrieben. Einst Konjunkturmotor.

Ich wäre da zurückhaltend. Insbesondere wäre ich sogar gegen eine Autoprämie für Verbrennungsmotoren. Man muss einfach sehen, dass die Bundesregierung hier seit einiger Zeit versucht eine Mobilitätswende anzustoßen. Und durch solche Maßnahmen würde man die alten Strukturen zementieren. Alles, was hilft diesen Strukturwandel voranzubringen, kann man machen. Da kann die Bundesregierung finanziell nochmal nachschiessen. Aber alles, was die jetzigen Strukturen zementieren würde, würde sich in einigen Jahren rächen, weil ma da nicht mehr wettbewerbsfähig wäre.

Rein hypothetisch angenommen, sollte die Autoindustrie nicht aus den Schwierigkeiten herauskommen, welche wirtschaftlichen Konsequenzen hätte das für Deutschland?

Das wäre erstmal eine gravierender Wandel. Sie haben die Zahlen selbst angesprochen:Man spricht von 800.000 Beschäftigten, die dort im weiteren Umfeld beschäftigt sind. Ich würde es aber auch nicht so schwarz sehen. Es wird ja weiterhin Auto gefahren. Wenn die Antriebstechnologien sich ändern, dann fallen halt die Zulieferfirmen hinten runter, aber das ist ja Teil des Strukturwandels.Alle wird man nicht mitnehmen können.Wir haben uns zu Klimazielen verpflichtet und da muss auch der Verkehrssektor seinen Beitrag leisten.Das kann man ja alles zeitlich strecken, durch Investitionen und vorübergehend auch durch Subventionen begleiten.Aber ich denke auch, dass da einige Unternehmen auf der Strecke bleiben.

Und gibt es eine andere Branche, die das Potential zu einem Konjunkturmotor hat?

Das sehe ich jetzt auf Anhieb nicht. Was man gesehen hat, ist, dass sich das Verarbeitende Gewerbe seit einigen Jahren schon schwach entwickelt, eigentlich seit der Finanzkrise.Der Motor, gerade der Beschäftigungsmotor war seit vielen Jahren der Dienstleistungssektor. Und gerade wenn man sich die Tendenz der Digitalisierung anguckt, dann werden es weiterhin Dienstleistungsunternehmen sein, die Beschäftigung schaffen und Beschäftigung aufbauen. Im Verarbeitenden Gewerbe wird man das schrittweise zurückfahren. Ich denke, man muss eher im Dienstleistungssektor suchen als in dem klassischen starkem Wirtschaftsbereich – dem Verarbeitenden Gewerbe.

Ich würde noch gerne auf die Schwächen der deutschen Wirtschaft zurückkommen.Was ist mit der starken Exportabhängigkeit? Hat sich das Exportmodell nicht als Sackgasse erwiesen?

Ja, genau. Da würde auch dieser Wandel zum Dienstleistungssektor helfen, weil der traditionell nicht so exportorientiert ist wie das Verarbeitende Gewerbe. Die Stärke der deutschen Wirtschaft war ja, was den Export angeht, der Investitionsgüterbereich. Wenn man es mit aufstrebenden Ökonomien wie China zu tun hat, möglicherweis ist Indien auch ein interessanter Markt, dann trägt das natürlich eine Zeit. Aber wenn die Investitionsquoten abnehmen, dann verliert man da auch wieder an Dynamik. Ich würde es nicht komplett abschreiben, aber die goldene Zeit, die gerade auch von China getrieben war, ist jetzt möglicherweise tatsächlich auch vorbei.

Bundeswirtschaftsminister Altmaier will die schwachen Exporte durch eine stärkere Inlandsnachfrage kompensieren. Das wäre doch eine großer Umschwung,was die Wirtschaftspolitik angeht. Ist diese Maßnahme überhaupt so schnell und kurzfristig umsetzbar?

Schnell ist das sicher nicht gemacht. Es muss einen Strukturwandel geben hin zu Gütern, die im Inneren produziert und auch nachgefragt werden. Dienstleistungen sind da eben das klassische Beispiel. Und in dem Maße, in dem man das Geld, was man erwirtschaftet, im Inland wieder ausgibt, dann trägt natürlich der Konsum zu einem größeren Anteil. Das haben wir in den letzten Jahren schon etwas gesehen – gerade letztes und vorletztes Jahr. Aber das kann natürlich noch mehr werden.

Ist das der Anfang des Endes der Politik der schwarzen Null?

Das will ich nicht hoffen.Wir haben jetzt gerade gesehen, wie wichtig es ist auch in guten Zeiten ist, solide zu horten. Dann kann mich sich auch so ein Konjunkturprogramm, wie wir es jetzt haben, auch leisten. Wir haben nach der Finanzkrise ja deutlich konsumiert und dann den Schuldenstand zurückgefahren Richtung Größenordnung, die in dem Maastricht-Vertrag vorgesehen ist. Das muss man jetzt wieder tun. Man muss das nicht zu früh beginnen, um den Aufschwung oder die Erholung abzuwürgen. Aber wenn die Wirtschaft wieder Tritt gefasst hat, was nach unserer Prognose in der zweiten Jahreshälfte nächsten Jahres der Fall sein dürfte, spätestens übernächstes Jahr, dann muss man auch wieder sehen, dass man die Schuldenstände wieder zurückfährt.

Ich würde jetzt gerne die Situation in Europa ansprechen. Frankreich zum Beispiel hat im zweiten Quartal einen Konjunkturabsturz von 13, 8 Prozent, Italien von 12, 8 Prozent verzeichnet. Beides sind wichtige Handelspartner für Deutschland. Wann wird sich die Situation in Europa erholen?

Die Infektionszahlen machen wenig Hoffnung. Da kommen wir in Deutschland eigentlich ganz glimpflich davon. Wenn Sie sich die Zahlen in Frankreich oder auch in Spanien angucken, da sind wir inzwischen bei Infektionszahlen von der Hochphase der Corona-Krise. Das spricht nicht dafür, dass es in Spanien und in Frankreich zu einer wirtschaftlichen Erholung kommen wird. Das europäische Umfeld dürfte eher schwach bleiben. Italien hält sich ja noch ganz gut. Aber ich fürchte, mit den Einschränkungen in Frankreich werden wir dort auch im dritten Quartal ein relativ schwaches Wachstum sehen – verglichen mit dem, was wir in Deutschland erwarten.

Das sind keine guten Nachrichten für Deutschland.

Das stimmt. Das gilt aber vor allem für den Euroraum. China scheint die Krise überwunden zu haben. Das stabilisiert natürlich den gesamten asiatischen Raum. Die USA halten sich eigentlich erstaunlich gut – da gehen die Infektionszahlen jetzt auch zurück. Das sind natürlich zwei große, weltwirtschaftlich bedeutende Volkswirtschaften, wovon wir dann auch profitieren. Aber unsere großen Partner in Europa, um die ist eher schlecht bestellt.

Wie beurteilen Sie das EU-Hilfspaket? Wann werden wir die ersten Resultate sehen?

Das ist grundsätzlich erstmal zu begrüßen, diesen europäischen Gedanken durch so ein Maßnahmenpaket mit Leben zu füllen. Ich hoffe sehr bald.Ich weiß nicht genau, wie die Prozesse sind bis die Gelder wirklich ausgezahlt werden. Das dauert in Europa ja oft länger als gut ist. Ich hoffe, dass es schnell ausgezahlt wird und dann auch schnell wirkt.

Droht eine erneute Schuldenkrise in der EU?

Das ist natürlich nicht auszuschließen. Die Konjunkturpakete, die auch in den Ländern des Euroraums aufgelegt wurden, führen die Verschuldung wieder nach oben. Im Moment nehmen die Märkte das noch relativ gelassen. Auch die EZB wirkt ja in diese Richtung, aber wie lange das gut geht, ist tatsächlich eine gute Frage.Das Risiko besteht auf jeden Fall , dass die Verschuldung in Europa ein Niveau erreicht, wo die Märkte dann sagen, dass ist nicht nachhaltig.

Sie haben vorhin China und die USA erwähnt. Ist die europäische Volkswirtschaft überhaupt noch wettbewerbsfähig gegenüber diesen beiden Märkten ?

Das denke ich schon. Man muss sich da natürlich seine Nische suchen, aber ich glaube, dass es möglich ist. Gerade Deutschland, das habe ich ganz gut im Blick, ist es immer wieder gelungen, sich auch Marktanteile zu erobern. Ich sehe eigentlich nicht, dass die beiden anderen großen Wirtschaftsräume uns so überlegen sind, dass wir da in Zukunft keinen Schritt machen werden können.

Was müsste sich auf wirtschaftspolitischer Ebene ändern, damit die EU als globaler Wirtschaftsakteur nicht weiter zurückbleibt?

Ich glaube, dass die wichtigen Politikfelder nach wie vor auf nationaler Ebene sind, das ist eine Stärke des Euroraumes. Ich würde davor warnen, zu viel auf die europäische Ebene zu überlagern. Man soll sich um die Handelsverträge kümmern, man soll hoffentlich einen vernünftigen Abschluss mit Großbritannien hinbekommen. Ich denke, das hilft dann am meisten.

Foto: RWI Essen

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