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Foto: Hellmann Worldwide Logistics

Interview: Der Produktionsstandort Ukraine wird für Europa künftig eine große Rolle spielen

Wie läuft der Wiederaufbau der Ukraine ab? Wir haben mit Piotr Zaleski von Hellmann Worldwide Logistics über die Investitions-und Geschäftsmöglichkeiten in der Ukraine gesprochen.

Lesezeit 8 Min.

Natalia Jakubowska, Trans.iNFO: Nach der ersten Wiederaufbaumesse ReBuild Ukraine im Februar in Warschau ist ein wenig der Eindruck entstanden, dass es viele Versprechen gab, aber wenig konkrete Zusagen. Wie war es diesmal? Wie ist Ihr Fazit zur Veranstaltung?

Piotr Zaleski, Regional CEO, East Europe, Hellmann Worldwide Logistics: Dieses Mal gab es zahlreiche konkretere Gespräche und auch die Foren waren aus meiner Sicht qualitativ noch hochwertiger. Wir haben auch gemerkt, dass die Politik durch die Teilnahme verschiedener ukrainischer Ministerien sehr prominent vertreten war und die Initiative ReBuild Ukraine dadurch sehr unterstützt wurde. Auch von Seiten der EU waren Vertreter anwesend, wie beispielsweise die Energy Community. Vor allem in der Energiebranche ist das Engagement sehr konkret.

Wie viele Standorte haben Sie aktuell in der Ukraine?

Mit Kiew und Odessa zwei.

Und wie viele waren es vor dem Krieg?

Genauso viele. Wir haben am Anfang des Krieges aufgrund der militärischen Geschehnisse eine operative Pause von zwei Monaten einlegen müssen. Danach konnten unsere 40 Mitarbeiter in Kiew und Odessa erfreulicherweise wieder aktiv werden und das ist bis heute der Fall.

Also sind Sie wieder voll operativ tätig?

Richtig. Allerdings ist das Geschäft dadurch beschränkt, dass es keine Flug- und Hafenaktivitäten gibt. In Odessa, Chernomorsk, Mykolaiv und Pivdennyi gibt es im Moment lediglich die Dry Bulk Schiffe für Schüttgut, mit denen aktuell beispielsweise Getreideexporte in andere Staaten befördert werden. Aber diese Transporte finden auch nur unter bestimmten Voraussetzungen statt, da die Häfen nach wie vor nicht sicher sind. Alle anderen Güter werden über andere europäische Staaten transportiert, vor allem durch Polen und Rumänien.

Warum sollte man denn jetzt schon in der Ukraine investieren, wo der Krieg doch noch andauert?

Wir als Hellmann tun das – vor allem auch aus einer sozialen Verantwortung heraus. Unsere Mitarbeiter*innen an den zwei Standorten in Kiew und Odessa haben uns von Anfang in allem unterstützt. Wir merken auch, dass sie uns etwas zurückgeben und sich einbinden möchten, indem sie sich an dem Wiederaufbau der Ukraine aktiv beteiligen. Wir glauben daran, dass in der Ukraine die richtigen Entscheidungen getroffen und wichtige Reformen angestoßen werden.

Wie würden Sie das aktuelle Investitions- und Wirtschaftsklima in der Ukraine beschreiben?

Bedingt durch die Garantien und Bürgschaften, werden vor allem der Energie- und der Infrastruktursektor sowie der Wiederaufbau von Wohneinheiten für die Bevölkerung gefördert. In anderen Bereichen herrscht noch große Zurückhaltung, auch weil beispielsweise die Produktion in der Ukraine mit einem hohen Risiko verbunden ist.

Gibt es irgendwelche Möglichkeiten für Investoren, sich in einem Kriegsgebiet rechtlich abzusichern?

Wie oben erwähnt, stellen viele Länder sowie die EU-Investitionsgarantien und Exportkreditgarantien (Hermes Bürgschaft) zur Verfügung. Jedoch ist das Thema Versicherung nach wie vor lückenhaft. Hier arbeiten wir gemeinsam mit dem Ost-Ausschuss an Lösungsansätzen und Empfehlungen, um territoriale Transportversicherungen abbilden zu können.

Wie würden Sie das Investorenprofil in der Ukraine beschreiben? Welche Länder und welche Firmen haben bisher in der Ukraine investiert? Für welche Branchen bieten sich die meisten Potenziale?

Aktuell wird besonders der Energiesektor von der ukrainischen Regierung gefördert, da hier der Bedarf am größten ist. Investitionen in den Infrastruktursektor haben aktuell aufgrund der andauernden militärischen Aktivitäten vor Ort eher einen mittelfristigen Zeithorizont. Dennoch ist der Energiesektor ein Thema, an dem wir die nächsten Monate und sicherlich auch Jahre stark arbeiten werden. So findet in der Ukraine eine Dezentralisierung der Energieversorgung statt, da die aus der Sowjetzeit stammende Infrastruktur an wenigen Standorten zentralisiert war. Für die Umsetzung dieser Maßnahmen benötigt das Land neue technische Lösungen, die es dort aktuell auf dem Markt nicht gibt.

Bei der Neuaufstellung geht die Ukraine sehr weitsichtig vor: Infrastruktur, die während des Krieges zerstört wurde, wird mittel- und langfristig durch nachhaltige Energieversorgung ersetzt.Die Zielsetzung der Dezentralisierung ist eine stabilere Stromversorgung des Landes.

Und wie geht man als Unternehmen mit solchen Stromausfällen vor Ort um?

Wir haben unsere Mitarbeiter mit Power Banks versorgt. Durch unseren gemeinnützigen Verein Hellmann helps haben wir auch die Büros mit Generatoren ausgestattet. Den Verein haben wir mit Ausbruch des Krieges auf Initiative unserer Mitarbeiter*innen weltweit gegründet, um gemeinsam schnell und effektiv Hilfe zu leisten, wo diese dringend benötigt wird.

Die Ukraine hat ja ein relativ schlechtes Image, wenn es um Korruption geht. Schreckt das Unternehmen nicht ab?

Als Unternehmen sind wir seit 2008 in der Ukraine vertreten und wir sehen Fortschritte und Reformwillen: Die Regierung versucht, der Korruption durch ein besseres Monitoring entschieden entgegenzutreten. Und auch der Krieg hat zu einem Umdenken geführt, weil er die Gesellschaft sensibilisiert hat.

Wenn ein Unternehmen in der Ukraine investieren möchte, welche Schritte sollte es gehen?

Investments sind zur Zeit sehr projektbezogen, wobei die meisten Aktivitäten in den Bereichen Infrastruktur und Stromversorgung stattfinden.

Und wie würden Sie den Zugang zu den Ausschreibungen bewerten? Im Fall der neuen Seidenstraßen mussten Investoren beispielsweise öffentlich-private Partnerschaften eingehen, um an den Projekten teilnehmen zu können. Wie ist es hier? Sind die Verfahren aus Sicht von Investoren transparent genug?

Der Zugang für die private Wirtschaft ist einfacher gegeben. Die meisten Unternehmen, die an den Projekten teilnehmen, sind westlicher Herkunft und legen Wert auf Transparenz.

Haben Sie den Eindruck, dass bestimmte Firmen oder Länder bei den Verfahren bevorzugt werden?

Diesen Eindruck haben wir nicht. Bei der Wiederaufbaumesse haben wir gesehen, dass sich zahlreiche Vertreter europäischer Unternehmen für die Ukraine engagieren.

Was müsste sich Ihrer Meinung nach im Hinblick auf Infrastruktur und Formalitäten kurzfristig ändern, damit die Zahl der Investitionen in der Ukraine steigt?

Sicherlich müssten zum Beispiel die Zollformalitäten optimiert werden. Das würde den Warenfluss und damit auch Investitionen erheblich erleichtern.

Auch die logistische Infrastruktur muss weiterentwickelt werden. Durch den Krieg hat sich die Situation aber natürlich nochmal verschärft, weil militärische Zwecke aktuell Priorität haben. Dadurch ist die Kapazität in den umliegenden europäischen Häfen und Flughäfen beeinträchtigt worden.

Und was ist mit der Breitspurbahn? Ist eine Umstellung auf den europäischen Standard in Sicht?

Es laufen bereits Gespräche darüber, den europäischen Standard in der Ukraine einzuführen. Aber das ist keine Investition, die in den nächsten zwei-drei Jahren stattfinden wird, sondern ein langfristiges Projekt. Aber damit hätten wir eine effiziente Anbindung an das europäische Netzwerk.

Aktuell wird bis in die Westukraine per Bahn transportiert, dort muss auf andere Wagons und Züge umgeladen oder per LKW weiter transportiert werden. Die Schiene muss zwingend ausgebaut werden, denn das Netz entspricht nicht den neuesten Standards. Die Eisenbahnentwicklung wird der Ukraine helfen, sich schneller in den EU-Markt zu integrieren und den Wiederaufbau nach dem Krieg zu beschleunigen.

Hat die Ukraine mittelfristig das Potenzial dazu, Polen als Nearshoring-Land abzulösen?

Tatsächlich haben wir uns in letzter Zeit mit dieser Frage beschäftigt. Und ich glaube, dass der Produktionsstandort Ukraine für Europa künftig auf jeden Fall eine große Rolle spielen wird.

Grundsätzlich beobachten wir schon seit einiger Zeit eine Tendenz zum Nearshoring – begünstigt durch die Pandemie, so dass sich westliche Unternehmen stärker für Osteuropa interessieren. Wir sehen aber auch ein verstärktes Interesse an Länder im Balkan und an der Türkei.

Momentan liegt der Fokus in der Ukraine natürlich darauf, humanitäre Hilfe zu leisten und den Wiederaufbau zu unterstützen. Aber langfristig hat die Ukraine sicherlich das Potential, zu einem wichtigen Produktionsstandort aufzusteigen.

Und konnten sich deutsche Unternehmen ihre Russlandgeschäfte nach Einführung der Sanktionen über die Geschäftstätigkeit in der Ukraine kompensieren?

Wir haben das strikt getrennt. Ein Land hat nichts mit dem anderen zu tun. Wir haben uns auf den Wiederaufbau fokussiert und auf unser Team vor Ort.

Wie wird sich in Zukunft das Geschäftsmodell der Transportlogistik in der Ukraine entwickeln? Welche Perspektiven gibt ?

Das hängt natürlich ganz wesentlich von der Entwicklung in der Ukraine ab, und davon, wann endlich Frieden dort einkehrt. Fest steht aber, dass die Ukraine auch aus wirtschaftlicher Sicht ein sehr interessantes Land ist. Der Wiederaufbau der Ukraine und der damit verbundenen Infrastruktur bieten für das Land neue Chancen, das Straßen- und Schienennetz zu modernisieren und die Ukraine besser und auch schneller an die EU anzubinden.

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