Wie aus der aktuellen Verkehrsunfallbilanz des Innenministeriums Sachsen-Anhalt hervorgeht, ist die Zahl der LKW-Unfälle im Jahr 2024 um fast 20 Prozent auf 11.330 gestiegen (2023: 9.513). 41 Menschen starben bei Unfällen mit LKW-Beteiligung – darunter 17 Fahrer. Zum Vergleich: 2023 waren es 36 Tote, 2022 noch 42.
Besonders betroffen ist der Bereich der leichten Nutzfahrzeuge bis 3,5 Tonnen, etwa von KEP-Diensten oder Handwerksbetrieben, die laut Innenministerium an über der Hälfte aller LKW-Unfälle beteiligt waren.
Auffällig ist auch der Anstieg bei sogenannten Stauende-Unfällen: 181 solcher Vorfälle registrierte die Landespolizei 2024 – ein Plus von mehr als 30 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Im Jahr 2023 waren es 137, 2022 sogar 244 – auch auffällig hoch.
Polizei und Politik setzen auf Abstandskontrollen – doch reicht das?
Innenministerin Tamara Zieschang (CDU) erklärte bei der Vorstellung der Bilanz, Hauptunfallursache bei diesen Unfällen sei „mangelnder Sicherheitsabstand“. Eine Einschätzung, der Dieter Schäfer, Polizeidirektor a.D. und Sprecher der Präventionsinitiative Hellwach mit 80 km/h, entschieden widerspricht.
Bei nahezu allen tödlichen Unfällen am Stauende prallt der LKW ungebremst und mit voller Wucht auf das Hindernis“, so Schäfer. „Das hat nichts mit Abstand zu tun. Die Ursache ist in aller Regel Ablenkung – etwa durch das Smartphone – oder Sekundenschlaf, ausgelöst durch Stress oder gesundheitliche Probleme.“
Experte fordert neue Präventionsstrategie
Schäfer fordert eine realistischere Ursachenanalyse und mehr gezielte Kontrollen:
Wir brauchen effizientere Verkehrsüberwachungsmethoden der Autobahnpolizeien der Länder. Es sollten wiederkehrende, konzertierte Wochenaktionen benachbarter Bundesländer entlang ausgewählter Transitrouten stattfinden. Der Kontrolldruck auf Handy-Sünder muss erhöht werden.“
Besonders kritisch bewertet Schäfer den Bereich der Kleintransporter bis 3,5 Tonnen – also Sprinter, die häufig für Paketdienste oder Subunternehmen im E-Commerce unterwegs sind:
In diesem Segment fährt ein internationales Heer von Scheinselbständigen, ständig unter Angebotsdruck. Sie fahren mit überhöhter Geschwindigkeit, oft ohne Kontrolle, manchmal unter Aufputschmitteln.“
Die Sozialvorschriften würden hier faktisch nicht kontrolliert, da manuelle Tageskontrollblätter anstelle digitaler Geräte genutzt werden dürften. „Diese Fahrtenbücher heißen unter Fachleuten nicht umsonst ‚Lügenbücher‘ “, so Schäfer.
Ursachen: Zeitdruck, Schlafmangel und mangelnde Gefahrenkenntnis
Der Verkehrsexperte sieht in Zeitdruck und Überforderung zentrale Faktoren für das Unfallgeschehen:
Der Auftragsdruck führt zu Stress und Stress führt zu Schlafstörungen, die wiederum das Risiko für Sekundenschlaf erhöhen. Studien zufolge sind bis zu 25 Prozent der schweren Auffahrunfälle darauf zurückzuführen. Der weitaus größere Teil geht auf Ablenkung zurück – insbesondere durch das Scrollen auf dem Smartphone.“
Zudem fehle vielen Fahrern die grundlegendste Einschätzung von Gefahrensituationen. „Hier braucht es bessere Schulung, mehr Aufklärung und modernes Schulungsmaterial“, so Schäfer, der seit Februar 2024 das Fachbuch „Max Achtzig – 40 Tonnen Verantwortung“ als Leitfaden zur Unfallprävention veröffentlicht hat.
Amazon als positives Beispiel – Politik soll nachziehen
Trotz der angespannten Lage sieht Schäfer auch positive Entwicklungen:
Der boomende E-Commerce trägt zwar zum steigenden Transportaufkommen bei, aber Unternehmen wie Amazon haben die Risiken erkannt und setzen verstärkt auf Fahrersicherheit – auch in Zusammenarbeit mit unserer Initiative.“
Schäfers Forderung: „Wir brauchen eine bundesweite Statistik über Stauende-Unfälle, eine deutlich konsequentere Kontrolle des Fernverkehrs und europäisch koordinierte Überwachung. Es kann nicht sein, dass osteuropäische Fahrer in Deutschland mit geringen Bußgeldern davonkommen, während hiesige Unternehmen unter dem Druck leiden.“