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Foto: Kevin Krükis Quelle: FourKites

Interview: Sichtbarkeit beginnt mit Daten

Der erste Schritt auf dem Weg zu echter Transparenz besteht darin, alle Datenpunkte zusammenzutragen, die innerhalb des Netzwerks zur Verfügung stehen, sagt Kevin Krükis. In unserem Interview erklärt er, worauf es alles bei einer resilienten Lieferkette ankommt.

Lesezeit 10 Min.

Natalia Jakubowska, Trans.iNFO: Wie würden Sie “Resilienz” definieren? Was verstehen Sie unter dem Begriff?

Kevin Krükis, Managing Director NIC-Place, FourKites Globale Carrier Lösung: Eine resiliente Lieferkette definiert sich durch ihre Fähigkeit zur Widerstandsfähigkeit. Das bedeutet, sie kann Störungen in der Lieferkette abfedern bzw. ihre Auswirkungen erheblich begrenzen. Wir bei FourKites bieten Visibility, zum einen um exakt zu sagen, wo sich die Ware aktuell befindet und wann diese ihren Zielort erreichen wird, zum anderen um Störungen zu prognostizieren und Handlungsempfehlungen daraus abzuleiten.

Warum ist das Thema erst in Zeiten der Corona-Pandemie zur Geltung gekommen. Diverse Störungen der Lieferkette gab es doch schon immer. Wurde das Thema von Unternehmen unterschätzt?

Das ist auf mehrere Gründe und Faktoren zurückzuführen. Zum einen ist es die Digitalisierung, die in den letzten Jahren sehr stark an Gewichtung gewonnen hat. Vor einigen Jahren war der Grad der Digitalisierung bei Weitem nicht so wie heute,dementsprechend hat auch die Macht der Daten zugenommen.

Zum anderen ist die Pandemie ein regelrechtes Paradebeispiel, wieso die Überwachung der Lieferketten ein so wichtiges Thema ist. Die Regale in den Supermärkten blieben damals leer und Waren standen nicht zur Verfügung. Aber auch die Suezkanal-Thematik hat das Thema vorangetrieben. Die Gesellschaft hat gemerkt, dass die Lieferketten durch unterschiedlichste Faktoren beeinträchtigt werden können.

Angesichts der zunehmenden Komplexität und der Unterbrechungen in unseren Lieferketten reicht es nicht mehr aus, zu wissen, wo sich die Produkte auf dem Transportweg befinden. Verlader müssen in der Lage sein, die Auswirkungen von Unterbrechungen und Verspätungen – sei es aufgrund von schlechtem Wetter, Hafenschließungen, überlasteten Vertriebszentren oder vielen anderen Faktoren – vorherzusehen und abzumildern.

Und sind Unternehmen seitdem tatsächlich resilienter geworden oder sind sie nur in der Theorie resilient?

Ich würde sagen, dass sich die Unternehmen dem Thema auf jeden Fall stärker angenommen haben. Mit Sicherheit gibt es noch in einigen Unternehmen Steigerungsfähigkeit, gerade in der Praxis. Viele Unternehmen arbeiten weiterhin in Datensilos, anstatt die Lieferkette als Ganzes zu betrachten. Beispielsweise werden oft Telematikdaten im Unternehmen integriert, ohne dass diese bereichsübergreifend verknüpft sind. Die Telematikdaten werden auf dem Transportweg beispielsweise von A nach B eingesetzt, aber die Verknüpfung zum Warehouse fehlt. Oder auch der Lagerbestand wird nicht in Betracht gezogen. Ich würde behaupten, es gibt noch Einiges zu optimieren auf dem Weg zu einer durchgängigen Lieferkette.

Einer der Hauptvorteile des system- und teamübergreifenden Austauschs von Lieferkettendaten besteht darin, dass Unternehmen Daten austauschen können, um Erkenntnisse zu gewinnen, Störungen zu erkennen, bevor sie auftreten, Abläufe zu rationalisieren und das Kundenerlebnis zu verbessern.

Und woran liegt es, dass Lieferketten nicht ganzheitlich betrachtet werden? An der Denkweise?

Gute Frage. Ich denke, das hat historische Hintergründe. Ich werde das anhand eines Beispiels eines klassischen Transportwegs erklären. Wenn Waren mit einem Trailer auf der Straße oder mit einem Waggon auf der Schiene transportiert werden, beschäftigt sich damit eine konkrete Abteilung im Unternehmen. Damit hat man aber nur einen Teil der Lieferkette abgedeckt. Ein anderes Departement des Unternehmens beschäftigt sich dann wieder mit CO2- Themen oder mit dem Thema Warehouse Management Systemen. Die Systeme werden sukzessive parallel hochgefahren und zum Schluss merken die Unternehmen, dass es im ganzheitlichen System Brüche gibt.

Wie sollten also Unternehmen das Thema Resilienz richtig angehen?

Zuerst sollte man die Pain Points im Unternehmen ermitteln. Wo gibt es Verbesserungsbedarf?
Sichtbarkeit beginnt mit Daten. Es ist schwierig, fundierte Entscheidungen zu treffen, wenn Sie nicht wissen, wo sich die Dinge in Ihrem Unternehmen befinden oder welchen Status sie haben. Der erste Schritt auf dem Weg zu echter Transparenz besteht also darin, alle Datenpunkte zusammenzutragen, die Ihnen innerhalb Ihres Netzwerks zur Verfügung stehen. Dabei kann es sich um Telematik von Lastwagen und Anhängern, Temperatur- und Standortmessungen, Statusaktualisierungen von Häfen und Terminals und Dutzende anderer Quellen handeln. Die Datenquellen variieren je nach Branche und Unternehmen.
Sobald Sie über die Daten verfügen, können Sie damit beginnen, sie in verwertbare Erkenntnisse umzuwandeln. Dazu gehören beispielsweise die geschätzte Ankunftszeit (ETA), Stau- und Verspätungsraten sowie Temperaturwarnungen in Echtzeit.

Außerdem sollten Sie die Arbeitsbelastung vereinfachen, indem Sie zeitaufwändige manuelle Prozesse wie Telefon oder E-Mail reduzieren. Auf diese Weise können Sie Ressourcen und letztlich auch Geld sparen.
Außerdem sollten mögliche Digitalisierungsprozesse analysiert werden: Welche Systeme gibt es im Unternehmen? Sind diese bereits miteinander vernetzt? Schließlich sollte man sich anschauen, aus welchen Quellen die Daten stammen: aus OMS, aus TMS oder aus Lagerverwaltungssystemen. Um diese dann konsequent zu verknüpfen.

Vor welchen Herausforderungen stehen Unternehmen noch, wenn sie die Resilienz stärken wollen?

Außer der Ermittlung der Schwachstellen sollten Unternehmen einen starken Fokus auf den Project Scope legen, damit die Lösungen auch wirklich so implementiert werden, wie sie angedacht sind. Da Theorie und die Praxis oft auseinandergehen Oft stehen auch technische Schwierigkeiten im Weg, die man nicht vorhergesehen hat.. Wenn man den Project Scope nicht im Auge behält, gehen die Zielsetzung und die Realität ganz schnell auseinander. Und das ist nicht Sinn der Sache.

Sind zu 100% resiliente Lieferketten möglich? Oder ist das nur ein Ideengebäude?

Zu 100 % resiliente Lieferketten sind ein Wunschdenken. Realistisch ist ein Resilienzgrad von höchstens 90 %. Das ist ein sehr guter Wert. Die Systemlandschaften, aber auch der Logistikmarkt selbst sind sehr fragmentiert, was eine 100% Resilienz nicht möglich macht.

Wir haben bereits am Anfang des Gesprächs die Corona-Pandemie und den Vorfall im Suezkanal erwähnt. Können aus solchen Ereignissen Erkenntnisse und Daten extrapoliert werden, die eine Absicherung gegen ähnliche Ereignisse in Zukunft möglich machen?

Ja, natürlich. Naturkatastrophen oder Pandemien sind natürlich gravierende Ereignisse. Aber sie helfen uns auch, bestimmte Prozesse in der Logistik zu beschleunigen. Wenn man die Lieferketten nicht in Echtzeit überwacht und im besten Fall dann noch Prognosen darauf setzt, wann und was eintreten wird, dann steht man sehr viel schlechter da und am Schluss ist, wie bereits gesagt, das Regal im Supermarkt leer.

Wir als Unternehmen haben das auch gemerkt, weil die Nachfrage in der Corona- Pandemie nach Visibility und Transparenz gestiegen ist.

Wenn wir in den letzten drei Jahren etwas gelernt haben, dann ist es, dass die Transportbranche ständig in Bewegung ist. Wetter, Kriege, politische Situationen und sich verändernde wirtschaftliche Bedingungen sind nur einige der vielen Situationen, die unsere Lieferketten beeinflussen. Es ist unmöglich vorherzusagen, was als Nächstes kommt, aber Führungskräfte können Maßnahmen ergreifen, um sicherzustellen, dass ihre Lieferketten widerstandsfähig bleiben, wenn sie mit der nächsten unbeständigen Situation konfrontiert werden.

Besteht die Nachfrage weiterhin? Oder war das nur ein vorübergehender Hype?

Nein, die Nachfrage besteht weiterhin und ist seit der Corona-Pandemie auf einem konstant hohen Niveau. Der Großteil der Unternehmen beschäftigt sich tatsächlich sehr intensiv mit dem Thema Lieferketten, Supply Chain und Prognosen.Viele gehen auch den praktischen Schritt und suchen sich einen Lösungsanbieter, wie FourKites beispielsweise, um die Lieferkette ganzheitlich abdecken zu können und die Transparenz für die Bedürfnisse des Unternehmens und für die Kundenbedürfnisse zu schaffen.

Sie haben eben das Thema Prognosen erwähnt. Was können Prognosetools und was können sie nicht? Wo liegen die Grenzen? Kann man zum Beispiel beim Eintreten einer Pandemie deren Dauer vorhersehen ?

Naturkatastrophen und Pandemien sind natürlich schwierig zu prognostizieren. .Lassen Sie mich das anhand eines Beispiels erklären.Wenn sich die Prognose auf einen Warentransport bezieht und wir alle Echtzeitdaten einfließen lassen, wie beispielsweise Wetter, Verkehrsdaten, aber auch historische Daten, können wir die Ankunftszeit sehr genau prognostizieren.

Prof. Dr. Werner Gleißner, Dipl. Wirtsch.-Ing.von der FutureValue Group AG hat in einem Beitrag von 2020 behauptet, dass die Corona-Krise nicht wirklich ein Black Swan war, sondern ein Extremrisiko war, welches durchaus vorhersehbar war.

Wie gesagt, ist eine Pandemie meiner Meinung nach schwer vorhersehbar. . Man kann eventuell gewisse Szenarien planen – basierend auf den auf existenten Daten und daraus gewisse Prognosen ableiten, aber eine Vorhersage zu treffen ist schwierig.

Gibt es verschiedene Prognosemethoden? Wie sieht so ein Prognoseprozess in der Praxis aus?

Eine Echtzeitlösung für die Transporttransparenz kann Ihnen sagen, wo sich Ihre Sendung gerade befindet, und die in diese Lösung integrierte KI kann Ihnen eine äußerst genaue Ankunftszeit mitteilen. Die besten Echtzeit-Transportlösungen müssen mit der Lagerhaltung, dem Bestand, dem Fulfillment und dem Auftragsmanagement verbunden sein.

Wie gewährleistet man, dass diese Daten hochqualitativ sind?

Es gibt mehrere Wege. Wir basieren zum einen auf unserem eigenen Netzwerk und auf unseren eigenen historischen Daten. Wenn wir immer wieder den gleichen Weg von A nach B fahren und damit 200 000 Mal dazu Daten bekommen, dann entwickelt sich natürlich der Algorithmus weiter. Zum arbeiten wir auf Basis von Echtzeitdaten und Livedaten von GPS und Telematiksystemen oder auch auf Daten von unseren Partnern, die wir bei uns integrieren. An unser System sind tausende Carrier angebunden und wir verfügen damit über Milliarden Sensorpunkte weltweit, die auch die Schifffahrt oder Luftfahrt betreffen. Und um sichergehen zu können, dass das valide Daten sind, nutzen wir strikte Validierungsprozesse.

Wie werden sich die digitalen Lieferketten in Zukunft entwickeln? Wie wird das Thema Supply Chain Forecasting und Resilienz in Zukunft evaluieren?

Ich glaube, dass insbesondere zwei Themen eine Rolle spielen werden: Vernetzung und Daten.
Es wird in Zukunft eine übergreifende Supply Chain geben. Unternehmen werden die Datensilos auflösen und abteilungsübergreifend und unternehmensweit arbeiten.
So werden Verbindungen und Schnittstellen zwischen den Systemen entstehen.
Außerdem werden sich Unternehmen stärker damit beschäftigen, Mehrwerte aus Daten zu generieren

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