Ab 2025 gelten in der Europäischen Union erstmals CO₂-Flottengrenzwerte für schwere Nutzfahrzeuge. Diese Vorgaben betreffen insbesondere LKW mit einem Gesamtgewicht von mehr als 16 Tonnen und sehen eine schrittweise Reduktion der CO₂-Emissionen vor. Ursprünglich sollten die durchschnittlichen Emissionen neuer schwerer Nutzfahrzeuge bis 2025 um 15 Prozent und bis 2030 um 30 Prozent gegenüber 2019/2020 gesenkt werden. Im Mai 2024 wurden diese Ziele verschärft: Die Reduktion bis 2030 wurde auf 45 Prozent angehoben. Dies bedeutet erhebliche Herausforderungen für Hersteller und Logistikunternehmen gleichermaßen. Wir haben Stimmen aus der Branche eingeholt.
Daimler Truck: Hersteller unter Druck durch Infrastrukturmangel
Der LKW-Hersteller Daimler Truck betont, dass obwohl emissionsfreie Fahrzeuge in Serienproduktion sind, dennoch den Herstellern drakonische Strafzahlungen drohen – denn Wirtschaftlichkeit und Infrastruktur für die Fahrzeuge fehlen. Um die Wettbewerbsfähigkeit europäischer Hersteller zu sichern, fordert Daimler Truck eine rasche Revision der CO₂-Ziele, gekoppelt an den Infrastrukturausbau und die CO₂-Maut. Auch eine zügige Errichtung von Lade- und Wasserstofftankstellen sei essenziell. Zudem könnten neben batterieelektrischen und wasserstoffbetriebenen LKW auch CO₂-neutrale Kraftstoffe eine Rolle spielen.
Die Nutzfahrzeugindustrie investiert seit Jahren viele Milliarden in Dekarbonisierung. Alle Hersteller haben hier bereits viel erreicht”, schreibt Andreas Gorbach, Vorstandsmitglied der Daimler Truck AG, verantwortlich für Truck Technology in seinem Beitrag.
“Aber: Zu hohe Preise für grüne Energie und die sehr geringe Anzahl von öffentlichen Ladesäulen und Wasserstofftankstellen bremsen aktuell die Dekarbonisierung. Beide Faktoren können Nutzfahrzeughersteller wenig bis gar nicht beeinflussen. Hersteller haben es also nicht allein in der Hand, ob sie die vorgegebenen CO2-Ziele 2030 erreichen”, heißt es weiter.
Erreichen die Hersteller die Ziele nicht, müssen sie drakonische Strafen zahlen – pro Tonne CO2 mehr als zehnfach höhere Strafen als im PKW-Bereich. Gorbach betont, dass das Nutzfahrzeuggeschäft sich fundamental vom PKW-Geschäft unterscheidet.
Und erklärt, dass “Kunden LKW und Busse mit dem Taschenrechner kaufen. Die Gewinnmargen in ihrem Geschäft sind klein, daher entscheiden sie sich für das Fahrzeug, das am wirtschaftlichsten zu betreiben ist”.
Worauf es jetzt laut Daimler Truck ankommt:
1.Revision der CO2-Ziele auf 2025 vorziehen und dabei vor allem zwei Dinge ändern:
- CO2-Ziele für Nutzfahrzeughersteller gesetzlich an den Infrastrukturausbau und die europaweite CO2-Maut für Lkw koppeln.
- Mit CO2-neutralen Kraftstoffen (CNF = Carbon-neutral Fuels) betriebene Fahrzeuge der CO2-Zielerreichung der Nutzfahrzeugindustrie pauschal anrechnen, anstatt langwierige, bürokratische und kostenintensive Messverfahren pro Fahrzeug zu installieren
2. Lade- und Wasserstoffinfrastruktur für LKW und Busse sofort und zügig ausbauen.
- Infrastruktur ist der Flaschenhals der Dekarbonisierung.
- Der deutsche Staat nimmt rund 15 Milliarden Euro durch die LKW-Maut ein. Davon muss ein erheblicher Teil in den Infrastrukturausbau investiert werden – das passiert heute wenig bis gar nicht.
3. Gesetze fokussieren, Bürokratie reduzieren – und damit Innovationsgeschwindigkeit erhöhen.
- LKW und Busse gehören mit etwa 150 EU-Regularien und etwa 30 Verordnungen zu den am stärksten regulierten Industrien überhaupt. Über 20.000 Seiten Regelwerk müssen beachtet werden – von Batterieregularien, über Gefahrgutverordnungen und Bauteilgenehmigungen bis hin zu Lärmvorschriften.
- Das bremst die Entwicklung von Innovationen und Technologien, die Deutschland und Europa einen Wettbewerbsvorteil verschaffen, enorm.
- In dem Zeitraum, in dem in Europa und Deutschland Förderanträge zur Entwicklung von Zukunftstechnologien genehmigt werden, hat die betreffende Technologie oft bereits die nächste Innovationsstufe erreicht – und der vorherige Förderantrag ist praktisch obsolet.
Dachser: Emissionsfreie LKW sind praxisreif, aber teuer
Der Logistikdienstleister Dachser setzt bereits auf emissionsfreie LKW. Anfang 2024 wurde der 100. Elektro-LKW ins Netzwerk integriert, und es kommen verstärkt Modelle mit praxistauglichen Reichweiten von 300 bis 500 Kilometern zum Einsatz. Allerdings betont Dachser, dass die Anschaffung teuer bleibt: Ein vollelektrischer LKW kostet aktuell das Dreifache eines Diesel-LKW.
Zudem betont Dachser auch wie Daimler Truck, dass eine umfassende Ladeinfrastruktur fehlt. Dennoch investiert der Logistikdienstleister weiter in emissionsfreie Fahrzeuge und testet deren Praxistauglichkeit.
Die E-Mobilität auch wirtschaftlich zu gestalten ist noch ein langer Weg. Die Anschaffungskosten sind immer noch hoch. Zudem ist für LKW fast keine öffentliche Ladeinfrastruktur vorhanden. Um Elektromobilität in der Logistik weiter voranzubringen, müssen diese Themen von allen Beteiligten gemeinsam angegangen werden”.
Weiter heißt es, dass die Nachfrage zwar nach nachhaltigen Transportlösungen steige, doch seien stabile Rahmenbedingungen und weitere Förderprogramme notwendig.
In der Vergangenheit war die KSNI-Förderung ist ein wichtiger Baustein, um die Transformation hin zu Null-Emissionsfahrzeugen im Straßengüterverkehr anzuschieben. Diese Unterstützung gibt es leider nicht mehr“.
Für Dachser bleibt dennoch das Ziel bestehen, die langfristige Transformation hin zu Null-Emissionsfahrzeugen weiter voranzutreiben und an mehreren Standorten die Anzahl batterieelektrischer und wasserstoff- brennstoffzellenelektrischer LKW weiter zu erhöhen und skalierbare Lösungen für die Lade- und Tankinfrastruktur auch zusammen mit Partnern zu entwickeln.
DSLV: Ohne wirtschaftliche Anreize und Förderungen wird nix
Der Bundesverband Spedition und Logistik (DSLV) weist darauf hin, dass die Gesetzgebung primär die Hersteller betrifft, die ihre Fahrzeugpalette anpassen müssen. Doch ob die Logistikunternehmen diese Fahrzeuge einsetzen können, bleibt fraglich.
Ohne wirtschaftliche Anreize und Förderungen sei ein breiter Umstieg nicht realistisch.
Wie bei jeder Technologie muss sich deren Einsatz wirtschaftlich rechnen. Ohne öffentliche Förderung für die Anschaffung von ZEV und besonders von nicht-öffentlichen Ladeinfrastrukturen (Depotladen) werden Wirtschaftlichkeitslücken nicht geschlossen werden können. Zur Finanzierung stünden mit bis zu 8 Milliarden Euro Einnahmen aus dem CO2-Aufschlag auf die LKW-Maut („grüner Finanzkreislauf Straße“) zur Verfügung”, erklärt DSLV-Hauptgeschäftsführer Frank Huster.
Gleichzeitig sei ein stabiler und günstiger Strompreis notwendig, um die Wettbewerbsfähigkeit von ZEV (Zero Emission Vehicles) gegenüber Diesel-LKW zu sichern.
Der Logistiksektor entwickelt sich zu einer sehr energieintensiven Branche mit steigendem Strombedarf. Deshalb hängt viel von der Entwicklung des Strompreises ab. Vorauslaufend muss das Stromnetz ausgebaut und der Strompreis stabilisiert werden. Zu hohe Netzentgelten tragen heute dazu bei, dass ZEV im Vergleich zu Lkw mit Verbrennermotoren nicht wettbewerbsfähig sind”, so Huster abschließend.
ELVIS: Ambitionierte Ziele, aber unklare Umsetzung
Der Europäische Ladungs-Verbund Internationaler Spediteure (ELVIS) hält die neuen CO₂-Grenzwerte für ambitioniert, aber schwer umsetzbar.
Der Absatz emissionsfreier Antriebe kommt kaum voran, und eine substanzielle Trendwende ist nicht erkennbar”, erklärt Nikolja Grabowski Vorstand der ELVIS AG.
Der Verband fordert langfristige Planbarkeit und kalkulierbare Rahmenbedingungen.
Klare und planbare Rahmenbedingungen wären ein guter Anfang. Bisher schauen wir von Jahr zu Jahr, und die Amortisationsrechnung für teure Elektro- oder noch kostspieligere Wasserstoffantriebe über die Nutzungsdauer gleicht einem Roulettespiel. Unter diesen Bedingungen dürfte es schwerfallen, die Mehrheit der Fuhrparkverantwortlichen von einer Investition zu überzeugen”.
Trotz aller Herausforderungen sieht ELVIS Potenzial für den Wandel, sofern die Politik stabile Perspektiven schafft.
Eine zentrale Hürde bleiben die Kosten, unter anderem der Dieselpreis. Erst kürzlich warnte der ADAC vor einem drastischen Anstieg fossiler Kraftstoffpreise ab 2027, was die Kalkulation zusätzlich erschwert. Dennoch bin ich überzeugt, dass der Wandel gelingen kann, wenn die deutsche und europäische Politik verlässliche Perspektiven schafft”, so Grabowski abschließend.
Fazit: Alle ziehen an einem Strang
Die neuen Emissionsreduktionsziele stellen die Branche vor große Herausforderungen. Während Hersteller wie Daimler Truck eine Anpassung der CO₂-Ziele fordern, setzen Logistikunternehmen wie Dachser bereits verstärkt auf emissionsfreie Fahrzeuge, sehen aber hohe Kosten und fehlende Infrastruktur als Hindernisse. Die Verbände DSLV und ELVIS unterstreichen die Notwendigkeit wirtschaftlicher Anreize und stabiler Rahmenbedingungen. Ohne gezielte Förderungen und eine rasche Verbesserung der Lade- und Wasserstoffinfrastruktur bleibt die Umsetzung fraglich.