Der Trend zur Elektromobilität wird bei Personenkraftwagen und leichten Nutzfahrzeugen immer deutlicher. So nimmt die Zahl der neu zugelassenen BEV (batterieelektrische Fahrzeuge oder vollelektrische Fahrzeuge) und PHEV (“Plug-in-Hybrid-Elektrofahrzeuge” also Hybridfahrzeuge plug-in) jedes Jahr deutlich zu. Im Jahr 2020 stieg die Zahl der Zulassungen dieser Fahrzeugtypen um 39 Prozent (mit einem Verkaufsvolumen von 3,1 Millionen Fahrzeugen). Im selben Jahr begann die Elektrifizierung in der “schweren” Kategorie, d. h. in den Segmenten der mittelschweren und schweren Nutzfahrzeuge (MDV und HDV). Die Hinwendung der Verkehrsbranche zur Elektromobilität bringt jedoch eine Reihe von Herausforderungen mit sich – für die Automobilhersteller, für die Experten, die für den Ausbau der Ladeinfrastruktur zuständig sind, für die Betreiber von Ladestellen, für die Anbieter von Mobilfunkdiensten und so weiter. “Der flächendeckende Einsatz von E-Lkw erfordert eine Abstimmung über die gesamte Wertschöpfungskette” – betont Eurowag, Anbieter integrierter Lösungen für den Straßenverkehr, in einem Bericht mit dem Titel “Elektromobilität im kommerziellen Straßengüterverkehr”.
Globaler und europäischer Straßengüterverkehr
Im Jahr 2020 waren mehr als 6,2 Millionen schwere und mittelschwere Nutzfahrzeuge auf den Straßen der Europäischen Union unterwegs, 1,7 Prozent mehr als im Jahr zuvor. Fast ein Fünftel der europäischen LKW-Flotte gehört den polnischen Spediteuren (rund 1,2 Millionen Fahrzeuge). Nur 0,24 Prozent der mehr als 6 Millionen Fahrzeuge waren im Jahr 2020 emissionsfreie LKW. Das ist zwar ein fast marginaler Anteil an umweltfreundlichen Fahrzeugen auf den Straßen im Allgemeinen, aber was erwähnenswert ist, betrug der Anteil im Jahr zuvor nur 0,04 Prozent.
In seiner jüngsten Studie geht das McKinsey Center for Future Mobility davon aus, dass bis 2025 4 Prozent des gesamten MDV- und HDV-Absatzes in Europa auf emissionsfreie Fahrzeuge ausmachen werdenb. Darüber hinaus könnte dieser Anteil bis 2030 auf 37 Prozent ansteigen, was etwa 150.000 emissionsfreien Fahrzeugen entspricht.
Zahl der Elektro-Trucks in Europa steigt langsam
Im Jahr 2021 wurden in der EU 409 schwere BEV Fahrzeuge zugelassen, womit sich insgesamt 983 BEVs in europäischen Fuhrparks befinden. Interessant ist, dass fast 90 Prozent der Elektro-LKW-Zulassungen im Jahr 2021 aus China stammten. Zum Vergleich: 2017 waren es noch fast 100 Prozent.
“Die Verkaufszahlen in den USA und in Europa haben in den letzten Jahren stark zugenommen, was auf die steigende Zahl der auf diesen Märkten verfügbaren Modelle und die politische Unterstützung zurückzuführen ist”, betonen die Eurowag-Experten und fügen hinzu, dass all dies die “wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit von Elektro-LKW in bestimmten Anwendungen” verbessert habe.
Im Bereich der alternativen Kraftstoffe basiert das Segment der schweren Nutzfahrzeuge immer noch hauptsächlich auf Erdgas (LNG, CNG). Dasselbe gilt für leichte Nutzfahrzeuge (LCVs), aber dieses Segment hat einen quantitativen Vorteil in Bezug auf die Elektromobilität im Vergleich zu LKW. Der Anteil der leichten Nutzfahrzeuge an den europäischen Fahrzeugflotten nimmt seit 2012 stetig zu und wird im Jahr 2021 die Anzahl von 166.000 Einheiten erreichen.
Gesetzliche Änderungen in Kombination mit technologischen Fortschritten unterstützen die aktuelle Entwicklung zugunsten der Fahrzeugklasse BEV, und es wird erwartet, dass Elektro-LKW in Zukunft die dominierende Antrieb Alternative im Vergleich zum Diesel sein werden. Die Eurowag-Experten gehen davon aus, dass sich die Gesetzesänderungen in dieser Hinsicht ähnlich auswirken werden wie im Jahr 2015 auf das PKW-Segment.
Infrastruktur bleibt ein große Herausforderung
Die großen LKW-Hersteller sind sich jedoch einig, dass der Umstieg auf Elektro-LKW von der Bereitstellung einer entsprechenden Ladeinfrastruktur abhängen wird.
In einer von Shell und Deloitte durchgeführten Umfrage unter 158 Interessenvertretern des Straßengütertransports gab ein Marktexperte eine aufschlussreiche Erklärung ab. Er betonte, dass “kein Unternehmer es riskieren würde, einen neuen LKW zu kaufen, wenn er sich nicht sicher sein könnte, dass er ihn auftanken oder aufladen kann”. Diese Aussage war kein Einzelfall. Etwa 80 Prozent der Befragten betrachteten den fehlenden Zugang zu Schnellladestationen als ein Hindernis.
Damit E-Lkw in größerem Umfang eingesetzt werden können, werden in der EU mindestens 8.000 öffentliche und halböffentliche Hochleistungsladepunkte benötigt, die für LKW geeignet sind, wobei diese Zahl bis 2030 auf mehr als 20.000 steigen soll.
Im zweiten Quartal 2022 gab es in der EU rund 500.000 öffentlich zugängliche Ladepunkte. Berücksichtigt man jedoch die für E-LKW erforderliche optimale Leistung von 350 kW, so stehen in der EU derzeit nur 3.500 Ladepunkte zur Verfügung. Neben der Leistung müssen auch andere Parameter berücksichtigt werden, wie z. B. die Größe der Stellplätze an den Ladestationen (ob sie groß genug sind für einen LKW).
Auch die Dichte der Infrastruktur ist von großer Bedeutung. Für den kommerziellen Einsatz von E-Trucks müssen die Hauptverkehrskorridore mit einer ausreichenden Anzahl von Ladepunkten für batteriebetriebene MDV und HDV Fahrzeuge ausgestattet sein. Auch die Zielorte – Lagerhäuser, Logistik- und Vertriebszentren – müssen mit optimalen Ladelösungen ausgerüstet werden.
“Aufgrund der Funktionalität, der Effizienz und der besseren Kontrolle über die Ladekosten (Möglichkeit der Anwendung niedriger Stromtarife) wird das Aufladen vor Ort wahrscheinlich auch in Zukunft die dominierende Ladevariante bleiben.” Daher sollten Spediteure und Flottenbetreiber frühzeitig in Ladelösungen für Elektrofahrzeuge investieren”, heißt es in dem Bericht.
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Ist Europa bereit?
Die Experten von Eurowag haben eine Reihe von Daten ausgewertet, um die Frage zu beantworten, ob die europäischen Länder für den Umstieg auf E-LKW im Straßengüterverkehr bereit sind. In der Studie wurden u.a.folgende Faktoren berücksichtigt:
– die Anzahl der Ladepunkte insgesamt und die Anzahl der Ladepunkte ≥ 350 kW (Daten von Eco-movement 02/2022 und Sygic 05/2022),
– der Anteil elektrifizierter Personenkraftwagen (Daten von EAFO und ACEA 01/2022),
– der Anteil der elektrifizierten HDV und MDV Fahrzeuge (EAFO und ACEA 01/2022 Daten),
– geltende Vorschriften und Förderprogramme (EAFO 04/2021 Daten).
Jeder Parameter wurde dann in drei Gruppen eingeteilt, je nach der Anzahl der erreichten Punkte, farblich markiert wie bei einer Verkehrsampel:
– Gute Bewertung (grün) 10-15 Punkte,
– Mittlere Bewertung (gelb) 5-10 Punkte,
– Geringe Bewertung (rot) 0-5 Punkte.
Für den letzten Parameter “Geltende Rechtsvorschriften und Anreize” hat Eurowag 4 Werte festgelegt, die vom Niveau der geltenden Rechtsvorschriften abhängen:
– 0 Punkte – keine Gesetzgebung in Kraft,
– 5 Punkte – 1-3 lokale Politik-Maßnahmen, Anreize oder Steuervergünstigungen sind in Kraft,
– 10 Punkte – 4-6 bestehende lokalpolitische Maßnahmen, Anreize oder Steuervergünstigungen,
– 15 Punkte – 7 oder mehr lokalpolitische Maßnahmen, Anreize oder Steuervergünstigungen.
Um den Index für jedes Land zu berechnen, wurden die Werte der einzelnen Parameter gleich gewichtet. Es ist zu beachten, dass nicht alle europäischen Länder über öffentlich zugängliche Daten verfügen. In diesem Fall wurde der Wert eines Parameters auf 0 gesetzt.
Aus der Eurowag-Analyse geht hervor, dass die nord- und westeuropäischen Länder bei der Elektrifizierung des Schwerlastverkehrs eine führende Rolle spielen.
Norwegen ist mit 68 Punkten klarer Platzhirsch, direkt gefolgt von den Niederlanden und der Schweiz. Schweden und Deutschland befinden sich ebenfalls unter den ersten fünf Plätzen. Ebenfalls Länder wie Italien, Portugal, Spanien und Frankreich erzielten hohe Punktzahlen. Die baltischen Staaten und Mitteleuropa schnitten durchschnittlich ab. Am schwächsten ausgefallen sind sind dagegen osteuropäische Länder und die Länder, für die keine Daten zur Analyse vorliegen (Bosnien und Herzegowina, Albanien und Nordmazedonien).
Kommunikation ist das A und O
“Die Anpassung der Ladeinfrastruktur an mittlere und schwere Fahrzeuge ist ein Thema, das in den kommenden Jahren im Vordergrund stehen wird,” – fasst Sjors Martens von Eco Movement zusammen.
Es wird immer mehr Wert auf detaillierte Informationen über die bestimmte Ladestelle gelegt: ob sie funktionsfähig ist, zu welchen Zeiten sie zur Verfügung steht (ob das Laden in der Nacht möglich ist), welche Zahlungs- und Roaming-Bedingungen gelten (d. h. ob der Betreiber an dieser bestimmten Stelle zahlen kann), wie die voraussichtliche Verfügbarkeit aussieht (wie ausgelastet diese Ladestelle ist), ob sie zu einem bestimmten Zeitpunkt verfügbar oder ausgelastet ist.