Auf Ebene der Europäischen Union laufen Initiativen zum Ausbau der physischen Infrastruktur und der internationalen Logistik, insbesondere im Rahmen der Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit (PESCO) und einer Entscheidung der NATO vom Juni 2025, für Infrastruktur und Industrie 1,5 % des BIP der Mitgliedstaaten auszugeben. Trotz erhöhter Investitionen und intensiver Gespräche bleiben jedoch Fragen offen, wobei Konsens darüber besteht, dass und ein militärischer Schengen-Raum notwendig ist, um eine effektive und effiziente Verteidigung der NATO-Ostflanke zu ermöglichen.
Zwischen 2023 und 2024 erhöhten die EU-Mitgliedstaaten ihre Verteidigungsausgaben um 19 % auf 343 Milliarden Euro, um auf die neue geopolitische Situation zu reagieren. Im Jahr 2025 werden die Verteidigungsausgaben voraussichtlich 381 Milliarden Euro erreichen, da die Spannungen mit Russland weiter eskalieren. Für Logistikdienstleister und in diesem Bereich aktive Finanzinvestoren, bietet diese Nachfrage attraktive Expansions- und Investitionsmöglichkeiten in Verbindung mit der Überwindung operativer Engpässe im Verteidigungssektor. Fusionen und Übernahmen (Mergers & Acquisitions, kurz: M&A) sowie Joint Ventures in der Privatwirtschaft werden dabei notwendige Strategien sein.
Fragen zum militärischen Schengenraum
Trotz seiner zentralen Lage, seines Anteils von fast einem Viertel am gesamten BIP der EU und der geplanten Aufstockung der Rüstungsausgaben wird Deutschland militärische Stärke ohne eine koordinierte europäische Verteidigung kaum ausspielen können. Zu den Herausforderungen gehören ausreichende Infrastruktur, Probleme bei grenzüberschreitenden Transporten und langwierige Genehmigungsverfahren. Diese Hindernisse beeinträchtigen die Fähigkeit, Ressourcen schnell und effektiv zu mobilisieren und zu verlegen. Strategische Partnerschaften sind nötig, um die erforderliche Flexibilität und Kapazität zu erreichen, diesen Anforderungen gerecht zu werden.
Die laufenden Investitionen in die Eisenbahninfrastruktur, die Modernisierung von Häfen und das Straßennetz sind Schritte in die richtige Richtung, doch bislang erfüllt die Infrastruktur nicht die für eine effektive militärische Mobilität erforderliche Qualität.
Transport von „schwerem Gerät“ auf Straße und Schiene
Im Zweiten Weltkrieg wurden Panzer in der Regel mit der Eisenbahn transportiert. Allerdings: Seinerzeit wog ein Panzer etwa zehn Tonnen – moderne Fahrzeuge wiegen bis zu achtmal so viel. Viele Straßen und Brücken können aktuell nicht einmal die Hälfte des Gewichts eines modernen Panzers tragen, insbesondere in den Ländern, die Deutschland mit den östlichen Frontlinien in der Ukraine verbinden. Und auch in Deutschland selbst ist die bröckelnde Infrastruktur nach Jahrzehnten der Unterinvestition in Brücken, Wasserstraßen und Straßen ein Problem.
Der jüngste Transport von schwerem Militärgerät an die Frontlinien der Ukraine erfolgte über Wasser, Luft, Schiene und Straße. Die Logistik ist komplex, und Schwerlasttransporter, die Ausrüstung sicher auf der Straße transportieren können, haben Schwierigkeiten, die EU-Umweltvorschriften einzuhalten. Die Koordinierung des Wasser-, Luft-, Schienen- und Lkw-Transports über internationale Grenzen hinweg bleibt für die EU-Staaten und ihre Streitkräfte aufgrund der historischen Straßen- und Schienennetze schwierig.
Kapazität und Anbindung von Häfen und Flughäfen
Transport- und Logistikinfrastrukturen wie Flughäfen, Kanäle, Autobahnen, Häfen und Eisenbahnsysteme sind in vielen Fällen in die Jahre gekommen. Das gilt auch für die Energiesysteme, die die Verkehrsnetze versorgen. Da die Infrastruktur zunehmend sowohl von zivilen als auch von militärischen Akteuren genutzt wird (Dual-Use-Infrastruktur), arbeiten private Akteure mit Regierungsbehörden aus dem gesamten Infrastruktursektor zusammen, um den Kapitalbedarf und die Produktionsanforderungen zu decken.
Mit Mitteln aus dem Fonds „Connecting Europe Facility“ (CEF) werden EU-Häfen modernisiert, um ihre Kapazität zu erhöhen und den Militärtransport zu ermöglichen. Von 2021 bis 2023 wurden 77 Projekte mit mehr als 1,7 Milliarden Euro aus EU-Mitteln gefördert, das entspricht 50 % der gesamten förderfähigen Kosten des Projekts. Zu den Hafen- und Flughafenprojekten im Rahmen der CEF gehörten die Verringerung von Engpässen in Häfen durch den Ausbau der Bahnanbindung, die Instandsetzung von Hafenrampen für schwere Maschinen, die Modernisierung von Kanälen und der Bau von Flugzeugabstellplätzen auf Flughäfen in ganz Europa. Eine neuere, groß angelegte Modernisierung von Häfen und Verkehrsinfrastrukturen beläuft sich auf insgesamt bis zu 75 Milliarden Euro, ein Vielfaches der bisherigen EU-Ausgaben für Mobilität. Die Finanzierung durch die Union ist von entscheidender Bedeutung, da private Investoren zögern, in Infrastrukturprojekte zu investieren, die potenzielle Ziele für künftige Angriffe sind.
Die Modernisierung der Hafen- und Flughafeninfrastruktur soll sowohl der zivilen als auch der Verteidigungswirtschaft zugutekommen. Die Projekte zielen darauf ab, eine Infrastruktur zu schaffen, die robust genug ist, um militärische Ausrüstung zu transportieren und ein hohes Verkehrsaufkommen während Militärübungen und Konflikten zu bewältigen, und gleichzeitig die Synergien zwischen zivilen und militärischen Verkehrsnetzen für kurzfristige und groß angelegte militärische Bewegungen zu verbessern. Die europäischen Verkehrsknotenpunkte verzeichnen bereits heute ein hohes Verkehrsaufkommen: Im Jahr 2023 liefen schätzungsweise 2,2 Millionen Schiffe die wichtigsten EU-Häfen an, und 6,3 Millionen kommerzielle Flüge starteten oder landeten. Modernisierte und neu geschaffene Dual-Use-Infrastrukturen können in zwei Richtungen zugleich wirken: Sie fördern das Wirtschaftswachstum und wirken abschreckend gegen Aggressionen von außen. Sie eröffnen wirtschaftliche Chancen in den EU-Mitgliedstaaten und darüber hinaus.
Schneller Kapazitätsaufbau für die Umsetzung der Aufrüstungspläne
Laut einer aktuellen Analyse von Oliver Wyman wird die europäische Verteidigungsindustrie in den nächsten fünf Jahren rund 250.000 zusätzliche Ingenieure und Fachtechniker benötigen – ein Anstieg von mehr als 25 % gegenüber der heutigen Belegschaft – um mit der wachsenden Nachfrage und den bestehenden Produktionsrückständen Schritt zu halten. Rüstungsunternehmen versuchen, die Produktion an den bestehenden Standorten zu steigern, und erwägen gezielte Übernahmen in angrenzenden Branchen. Die Umwidmung kann große Herausforderungen mit sich bringen, etwa im Falle einer angedachten Nutzung ehemaliger Schwerindustrieanlagen für die Rüstungsproduktion in Bereichen wie Elektronik und Feinmechanik. Andere Montageprozesse und Teilsysteme können sicher leichter angepasst werden.
Die Auslagerung von Produktionslogistik an Kontraktlogistiker wird für die erfolgreiche Produktionsausweitung von entscheidender Bedeutung sein. Die Kontraktlogistiker arbeiten in der Regel im Rahmen mehrjähriger Verträge, um die logistischen Anforderungen der Rüstungsunternehmen und von deren Zulieferern in den Bereichen Lagerung, Eingangslogistik, Produktionsunterstützung und Zusatzdienstleistungen einschließlich Ersatzteil- und Distributionslogistik, zu erfüllen. Da die Rüstungsunternehmen ihre Produktion weiter hochfahren müssen, ist zu erwarten, dass diese Outsourcing-Partner eine entscheidende Rolle bei der Unterstützung dieser Prozesse und der Priorisierung militärischer und ziviler Kapazitäten spielen.
Chancen auf den privaten Märkten
M&A sowie Joint Ventures bieten Wege, diese Herausforderungen durch den Erwerb bzw. durch die Bündelung von Ressourcen und Know-how zu bewältigen. Durch strategische Partnerschaften können Unternehmen ihre Abläufe rationalisieren, Redundanzen abbauen und schneller auf logistische Anforderungen reagieren. Dabei eröffnen sich für private Logistikdienstleister verschiedene Wachstumsfelder:
Personal für die Logistikunterstützung der Truppe
Das so genannte „Tooth-to-Tail”-Verhältnis (T3R) ist das Verhältnis von nicht kämpfendem Logistik- und Unterstützungspersonal zu jedem kämpfenden Soldaten. Im Ersten Weltkrieg betrug dieses Verhältnis 2,6 Unterstützungskräfte pro Soldat. In der modernen Kriegsführung ist der Bedarf an Unterstützung pro Soldat weiter gewachsen. So kam etwa die US-Armee im Irakkrieg 2005 auf ein Verhältnis von acht Unterstützungskräfte pro Soldat. Um Engpässe und Strategieausfälle zu vermeiden, müssen die europäischen Streitkräfte erhebliche Investitionen in das Unterstützungspersonal tätigen. Der aktuelle Trend zum Outsourcing wird privaten Anbietern neue Geschäftsfelder eröffnen, sowohl in der praktischen Bereitstellung der nötigen Manpower als auch in der Finanzierung – allerdings werden für viele der anfallenden Aufgaben große Teams mit aufeinander abgestimmten Erfahrungen und Fähigkeiten nötig werden.
Geschwindigkeitsvorteil für grenzüberschreitend tätige Dienstleister
Ein Konvoi mit militärischer Ausrüstung würde derzeit schätzungsweise zwei Monate benötigen, um von Frankreich zur französisch geführten NATO-Garnison in Cincu, Rumänien, zu gelangen – etwa 30-mal so lang wie eine zivile Fahrt auf der Autobahn. Um solche Transporte zu beschleunigen, wenden sich private Unternehmen Joint Ventures sowie Fusionen und Übernahmen zu. Unternehmen mit grenzüberschreitenden Personalkapazitäten können schnell über aufeinander abgestimmte Transportkanäle und Grenzen hinweg agieren und die gesamte Transport- und Verteidigungslogistik aus einer Hand anbieten.
Straßen- und intermodaler Transport
Die Sicherstellung des zeitnahen Transports von Truppen und Material zu den möglichen Konfliktgebieten schafft eine neue, nachhaltige Nachfrage für den Straßentransport und intermodalen Schienenverkehr. Aktuell leiden beide Segmente in Europa unter anhaltender Schwäche der Industrieproduktion. Dies Notwendigkeit der Fähigkeit zu schnellen Truppen- und Ausrüstungsverlegung steigert den Bedarf an Infrastruktur für Dual-Use-Container- und Umschlagterminals, sowohl für die Binnen- als auch die Seeschifffahrt. Private-Equity-Investoren im Infrastrukturbereich werden insbesondere in den Bereichen Terminals und intermodaler Straßen-/Schienenverkehr gefragt sein. Daneben ist zu erwarten, dass die Verlegung von schwerem Gerät eine nachhaltige Steigerung der Nachfrage im Bereich Projektspedition auslösen wird.
Outsourcing der Kontraktlogistik
Die Modernisierung der militärischen Ausrüstung und die beschleunigten Investitionen in militärische Ausrüstung stellen Rüstungsunternehmen vor die Herausforderung, zügig ihre Kapazitäten zu erweitern. Rüstungsunternehmen müssen sich auf Innovation und Digitalisierung einlassen (oder geeignete Outsourcing-Partner finden), um der steigenden Nachfrage gerecht zu werden und auf zukünftige Herausforderungen zu reagieren. Der Erfolg hängt von den koordinierten Bemühungen aller Beteiligten ab: Rüstungsunternehmen, Regierungen, Logistikdienstleister und Investoren. Sie müssen sicherzustellen, dass die Branche auf Wachstum vorbereitet und widerstandsfähig gegenüber zukünftigen Belastungen ist. Für Logistikdienstleister besteht die Herausforderung darin, die Zusammenarbeit mit Hauptauftragnehmern auszubauen und zu verbessern sowie Kapazitäten und Fähigkeiten durch die Einbindung strategischer und finanzieller Partner zu erweitern.
Industrielle Kontraktlogistikdienstleister in ganz Europa verzeichnen derzeit ein verhaltenes Wachstum, insbesondere in Deutschland und Frankreich. Die Anpassung und Umwidmung bestehender Angebote und Lösungen (von Mobility-Branche hin zur Rüstungsherstellern) kann den Akteuren der Branche helfen, von den steigenden Verteidigungsausgaben zu profitieren.
Ausblick
Vor dem Hintergrund der nachhaltig veränderten Sicherheitslage in Europa wird die Logistik für die Verteidigung und Konfliktvorbereitung immer wichtiger. Führende Rüstungsunternehmen müssen Strategien zur Überwindung von Engpässen und zum Ausbau der Produktionskapazitäten in Betracht ziehen, wovon Kontraktlogistikdienstleister profitieren können. Spediteuren und Transportunternehmen bieten die steigenden Bedürfnisse der europäischen NATO-Mitglieder im Hinblick auf die Gewährleistung der Mobilität von Truppen und Ausrüstung langfristige Wachstumschancen. Das gilt gerade in Ländern wie Deutschland, wo eine Instandsetzung der Infrastruktur und eine umfassende Logistikplanung im Gange sind.
In der stark fragmentierten Transport- und Logistikbranche sind M&A und Joint Ventures wichtige Strategien, um sich für das bevorstehende Wachstum optimal zu positionieren. Durch die Bündelung von Kenntnissen und Ressourcen können Logistikdienstleister ihre operativen Fähigkeiten steigern, zusätzliche Kapazitäten sichern und den effizienten grenzüberschreitenden Transport erleichtern.
Über den Autor
Dirk Engelmann ist Managing Director bei der M&A-Beratung Lincoln International in Frankfurt. Er hat eine leitende Funktion im Business Services Team inne und ist auf Transaktionen im Bereich Transport und Logistik spezialisiert. Engelmann berät Unternehmenskunden und Private-Equity-Investoren bei nationalen und internationalen Fusionen und Übernahmen.



