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Gastbeitrag: Force Majeure und der Ukrainekrieg – Rechtliche Betrachtungen

Vincent Bretschneider und Wolfgang Motter erklären anhand von Rechtsfällen aus der Praxis, welchen Herausforderungen und rechtlichen Unsicherheiten Logistikunternehmen im Ukrainekrieg gegenüberstehen.

Lesezeit 9 Min.
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4.06.2024

1. Ausgangslage

Mit Rundschreiben der “Ukrainischen Chamber of Commerce and Industry” vom 28.2.2022 “bestätigte” diese “to whom it may concern” die rechtliche Einordnung der Folgen des Überfalls der Ukraine durch Russland als “Force Majeure”: “Considering the above-mentioned, the CCI of Ukraine confirms that these circumstances from February 24, 2022 until their official ending, are extraordinary, unavoidable and objective circumstances for business entities and/or
individuals […]”.

Viele Logistikunternehmen wiegen sich dadurch in trügerischer Sicherheit, dass sie im Falle von Problemen bei der Abwicklung von Verträgen im Zusammenhang mit der Ukraine
aufgrund von Force Majeure nicht leisten müssen bzw. von ihrer Haftung befreit sind. Der aus dem Französischen stammende Rechtsbegriff der “Force Majeure” ist dem
deutschen und österreichischen Recht allerdings fremd.
Zudem wird der Begriff von den einzelnen nationalen Rechtsordnungen unterschiedlich ausgelegt. Gemeint sind im
Wesentlichen Fälle von “höherer Gewalt“, die in Deutschland und Österreich z.B. in den Regeln zur Unmöglichkeit (vgl. § 275 BGB bzw. § 1447 ABGB) oder zum Wegfall der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) Einfluss finden. Auch im UN-Kaufrecht finden sich Regelungen hierzu
(vgl. Art 79 CISG). Sofern nicht durch zwingendes Frachtrecht ausgeschlossen, ist zudem die Vereinbarung vertraglicher Force Majeure-Klauseln, z.B. die der Internationalen Handelskammer (ICC) möglich. Im Straßenfrachttransport wiederum sind die zwingenden Bestimmungen der CMR maßgeblich, vorliegend die Bestimmung des Art 17 Abs 2 CMR zum unabwendbaren Ereignis.

Dass Schadensfälle im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine höchst unterschiedliche Rechtsfolgen haben können, zeigen folgende zwei Fälle auf, die die Gerichte unlängst beschäftigt haben.

2. Rechtsfall: Miete für kriegsbedingt nicht in der Ukraine einsetzbare Güterwagen – Force Majeure?

2.1. Sachverhalt

Ein Mineralölhändler hat in Österreich über 30 Kesselwagen von einem Güterwagenvermieter gemietet. Die Mietvertragsdauer lief bis in das Jahr 2023.Der Mieter verwendete die Güterwagen tatsächlich ausschließlich für den Transport eines Petroleumprodukts aus der Ukraine nach Serbien. Die Transporte gestalteten sich stets derart, dass das Produkt zunächst vom Erzeugerchemiewerk in der Westukraine auf ukrainische Breitspur-Wagen beladen und von dort zu einem Umschlagsterminal nahe der slowakischen Grenze befördert wurde. Dort wurde das Petroleumprodukt auf die gemieteten Normalspur-Kesselwagen umgeladen und mit diesen weiter zum serbischen Empfänger befördert.

Dem Vermieter der Güterwagen war die Einsatzstrecke Ukraine – Serbien zwar aus den Betriebsdaten bekannt. In die Mietverträge selbst wurde die ausschließliche Verwendung der Güterwagen auf der Strecke Ukraine – Serbien allerdings nicht aufgenommen. Auch war den Mietverträgen keine Einschränkung auf eine bestimmte Strecke oder bestimmte Länder enthalten. Vielmehr konnte der Mieter gemäß Mietvertrag frei über die Güterwagen verfügen.

Am 24.2.2022 brach der Krieg zwischen Russland und der Ukraine aus. Noch am selben Tag verständigte der Vermieter seine Mieter mittels Rundschreiben, dass eine weitere
Verwendung der Güterwagen in der Ukraine untersagt ist.

Der Mieter hatte nunmehr keine Verwendung für die Güterwagen mehr und wollte diese an den Vermieter zurückstellen. Der Vermieter beharrte allerdings auf das restliche Mietentgelt bis zum regulären Mietvertragsertragsende.

Der Mieter war hierüber überrascht, stellten die vorherrschenden Umstände seiner Ansicht nach doch Force Majeure dar, wie dies auch die Ukrainische Chamber of Commerce and
Industry mit Rundschreiben 28.2.2022 “bestätigte”.

2.2. Gerichtsverfahren: Handelsgericht Wien 17 Cg 95/22k

Das Gericht gab dem Vermieter Recht, bejahte die Pflicht des Mieters zur Zahlung der restlichen Miete und begründete dies im Wesentlichen wie folgt:

Der Begriff “Force Majeure” ist dem österreichischen Recht fremd. Ein der Force Majeure nahekommender Anwendungsfall der Unbrauchbarkeit des Mietobjekts iSv §§ 1096 Abs 1 und 1104 ABGB liegt nicht vor, da die Wagen an sich brauchbar waren und nur für den geplanten Zweck, nämlich die geplante Route Ukraine – Serbien, nicht einsetzbar waren. Die Vermietung nur für eine bestimmte Strecke war aber nicht vereinbart. Auch wurde vertraglich keine Force Majeure-Klausel vereinbart. Vielmehr war den AGB des Vermieters sogar eine Klausel enthalten, wonach der Mieter die Gefahr des Verlusts des Mietgegenstands durch höhere Gewalt übernimmt, weswegen gemäß dem Gericht auch kein Wegfall der Geschäftsgrundlage in Frage kommt. Im Ergebnis konnte sich der Mieter der Güterwagen daher nicht auf Force Majeure berufen und musste die restliche Miete für die Güterwagen bezahlen.

3. Rechtsfall: Beschlagnahme eines LKW bei Kriegsbeginn in der Ukraine – unabwendbares Ereignis gemäß Art 17 Abs 2 CMR?

3.1. Sachverhalt

Ein tschechischer Frachtführer wurde beauftragt, Ware von Italien nach Russland zu befördern. Die Route führte von Italien über Slowenien nach Ungarn, wo der LKW am 24.2.2022 um ca. 07:32 Uhr die Grenze zur Ukraine erreichte. Am selben Tag erfolgte die russische Invasion der Ukraine. Im weiteren Verlauf des Tages wurde der LKW samt Ware von ukrainischen Behörden beschlagnahmt. Das Schicksal des russischen Fahrers ist nicht bekannt.

Die Klägerin warf dem Frachtführer eine grob fahrlässige Routenplanung vor und brachte vor, dass der Frachtführer eine Route über Weißrussland hätte wählen müssen. Der Frachtführer hingegen bestritt die Forderung und brachte vor, dass der tatsächliche Kriegsausbruch auch für die Weltöffentlichkeit völlig überraschend kam. Gemäß Art 17 Abs 2 CMR handle es sich bei der Beschlagnahme bei Kriegsausbruch um ein unabwendbares Ereignis. Die russische Invasion erfolgte zudem auch über Weißrussland. Im Übrigen hatte sich die Klägerin zuvor auch nie gegen die Routenführung durch die Ukraine ausgesprochen, sondern hat die schnellere und günstigere Route durch die Ukraine in Kauf genommen.

3.2. Gerichtsverfahren: Landesgericht Innsbruck 66 Cg 35/23h

Das Gericht gab dem beklagten Frachtführer erstinstanzlich Recht, wies das Klagebegehren ab und begründete dies u.a. wie folgt:

Tatsächlich war der Angriff Russlands auf die Ukraine am 24.2.2022 so nicht zu erwarten. An die allgemein bekannten, fassungslosen Reaktionen der Weltöffentlichkeit darf erinnert werden. Es gab vor dem 24.2.2022 insbesondere auch keinerlei Anzeichen dahingehend, dass es zu Beschlagnahmen von internationalen Transporten kommen würde. Dass sich dies am 24.2.2022 plötzlich drastisch änderte, konnte der Geschäftsführer der beklagten Partei trotz Anwendung äußerster, nach den Umständen des Falles möglicher und vernünftiger Weise zumutbarer Sorgfalt nicht vermeiden und die Folgen nicht abwenden. […] Die Route über die Ukraine ist ca. 280 bis 300 km kürzer und somit auch schneller und mit weniger Spritverbrauch verbunden, als jene über Weißrussland. Außerdem ist die Benützung der Straßen in der Ukraine kostenlos. Dadurch konnten die Transporte über die Ukraine günstiger angeboten und abgewickelt werden, als über Weißrussland. Anfang 2022 haben sich die Preise von Transporten nach Russland nahe zu verdoppelt, zumal die Wartezeiten an den Grenzen und dadurch die Transportdauer und die Dauer der Inanspruchnahme von Fahrer und Fahrzeugen immer länger wurden. […] Die klagende Partei bestand auf den Transport und erteilte den Auftrag ohne jegliche Einschränkung und in Kenntnis dessen, dass der Großteil der Transporte, die über die beklagte Partei abgewickelt wurden, durch die Ukraine fuhren. Warum die beklagte Partei von sich aus – sie hatte der klagenden Partei gegenüber ja keinen Wissensvorsprung – eine längere und noch kostenintensivere Route wählen hätte sollen, kann nicht nachvollzogen werden. Das
Gericht geht daher davon aus, dass der beklagten Partei der Entlastungsbeweis gemäß Art 18 Z 1 CMR gelungen ist und die beklagte Partei als Frachtführerin aufgrund des Vorliegens eines Haftungsausschlusses des Art 17 Z2 CMR befreit ist. Das Klagebegehren war daher abzuweisen.

4. Versicherungsschutz?

Von Logistikunternehmen wird manchmal übersehen, dass Transportversicherungen und Verkehrshaftungsversicherungen („CMR-Versicherungen“) Schäden aus kriegerischen

Ereignissen regelmäßig ausschließen und sohin bei Transporten durch die Ukraine bei der derzeitigen Lage Versicherungslücken bestehen können.

Eine Standardklausel lautet zB wie folgt: ” Von der Versicherung ausgeschlossen sind Schäden verursacht durch Krieg, kriegsähnliche Ereignisse, Bürgerkrieg, innere Unruhen, Aufruhr, Streik, Aussperrung, Verfügung von hoher Hand, Wegnahme oder Beschlagnahme
seitens einer staatlich anerkannten Macht.”

Zur Versicherung derartiger Risiken in der Ukraine ist daher eine entsprechende Deckungserweiterung erforderlich.

5. Fazit:

Die oben dargestellten Fälle zeigen eindrücklich die Herausforderungen und rechtlichen Unsicherheiten, denen Logistikunternehmen im Ukrainekonflikt gegenüberstehen. Es ist von entscheidender Bedeutung, dass Unternehmen ihre Verträge und Versicherungen sorgfältig prüfen und gegebenenfalls an die besonderen Umstände anpassen. Die Einholung rechtlicher Beratung kann hierbei unerlässlich sein.

 

Wolfgang Motter ist Rechtsanwalt in Wien mit den Fachgebieten Transport- und Logistikrecht (Straße, Schiene, Wasser, Luft), Transportversicherungsrecht, Infrastrukturrecht und  Mobilitätsrecht.

Vincent Bretschneider ist ein ausgewiesener strategischer Rechtsexperte mit Fokus auf Mobilität, Nachhaltigkeit und Innovation. Als Head of Legal bei der Bundesagentur AustriaTech arbeitet er an der Entwicklung rechtlicher Rahmenbedingungen und Strategien, um den Mobilitätssektor zukunftsfähiger zu gestalten.

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