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Foto: Cargo Digital World

Interview: Das Konzept von Plattformen hat sich noch nicht vollständig durchgesetzt

Wie digital ist die Logistikbranche? Welchen Nutzen haben digitale Plattformen? Wie kombiniert man die Substanz aus der „alten“ Logistikwelt mit Technologien aus der Welt der Start-ups ? Diesen und weiteren Fragen sind wir in unserem Gespräch mit Dr. Tim Brühn von Cargo Digital World nachgegangen.

Lesezeit 8 Min.

Natalia Jakubowska, Trans.iNFO: Laut Digitalisierungsindex stagnierte die Digitalisierung der Wirtschaft in Deutschland. Wie digital ist die Logistikbranche?

Dr. Tim Brühn, Vorstandsvorsitzender, Cargo Digital World: Hier müssen wir differenzieren. Es gibt in unserer Branche Tech-Konzerne wie Amazon mit hervorragender technologischer Substanz und effizienten digitalen Geschäftsmodellen. Der hohe Digitalisierungsgrad ist hier aber auch Ergebnis von Investitionsbereitschaft und -fähigkeit. In 2022 investierte beispielsweise Amazon mehr in Forschung und Entwicklung als alle DAX-Unternehmen zusammen.

Die digitale Transformation in den großen, etablierten Logistikunternehmen wird meiner Beobachtung nach mit mehr Stringenz als in der Vergangenheit vorangetrieben. Denken wir beispielsweise an Digitalisierungsprojekte im Hause Dachser.

Im Mittelstand herrschte eine geteilte Perspektive hinsichtlich digitaler Transformation vor. Die Herausforderungen liegen in der Entwicklung eines klaren Zielbildes und in der Abbildung der notwendigen Investitionen. Investoren und Partner der Cargo Digital World haben dieses Zielbild – sowohl bezogen auf digitale Geschäftsmodelle, die die Bedürfnisse der Logistikkunden heute und morgen erfüllen, als auch auf die notwendigen operativen und technischen Fähigkeiten, die notwendig sind, um das Leistungsversprechen zu skalieren. Die CDW bündelt notwendige Investitionen und überführt sie in Innovationsprojekte und Start-ups aus dem bestehenden Portfolio.

Für kleine Unternehmen ist digitale Transformation sicherlich noch schwieriger…

Das ist richtig. Dies gilt vor allem für Unternehmen, die nicht in größeren Kooperationen eingebettet sind. Wenn man als kleines Unternehmen allein dasteht, besitzt der Berg, den es zu erklimmen gilt, schon sehr steilen Anstieg. Wir haben in unserem Aktionärskreis vor allem große mittelständische Unternehmen.

Woran liegt das?

Die Auswahl unserer Investoren erfolgt nach Abschätzung des strategischen Potenzials, das unsere Investoren in das Gesamtkonstrukt einbringen. Wir entwickeln Geschäftsmodelle grundsätzlich mit der Brille des Kunden, haben aber genauso Augenmerk auf die Assets und die Fähigkeiten unserer Partner. Denn typischerweise sind die digitalen Dienstleistungen in unserer Branchen vor allem mit physischen Transporten oder Lagerung verbunden.

Dazu kommen das Unternehmertum und die Spezialisierungen unserer Partner. Start-ups in der Cargo Digital World werden in der Regel eng durch Beiräte aus den mittelständischen Logistikunternehmen flankiert, sodass das technologische Know-how optimal mit operativer Expertise einhergeht. So entwickeln wir schnell Substanz und Reichweite.
Wir haben derzeit in Deutschland rund 50 Partner. Auch wenn nicht alle bei CDW investieren, profitieren sie doch davon, dass wir über unsere digitalen Plattformen Transporte und Lageraufträge generieren und ins Netzwerk einspielen. Darüber hinaus ziehen sie ihren Nutzen aus der Bereitstellung modernster Technologie für die operative Logistiksteuerung.

Als CDW kombinieren Sie Start-ups mit Logistikpartnern. Wie verbreitet sind solche Kollaborationen im Markt? Werden junge Unternehmen als direkte Konkurrenz zu Mittelständlern gesehen?

In dieser speziellen Form sind wir einzigartig am Markt. Das Konzept der CDW basiert auf unserem Zugang zu operativen Partnern, resultiert aber aus einer demütigen Analyse unserer Stärken und Potenziale.

Wir haben uns zunächst die Differenzierungsvorteile unseres Netzwerks und bestehende Technologien genau angeschaut, um dann den Blick auf spezifische Innovationsfelder, digitale Lösungen und eigene Kundensegmente zu richten. Bezogen auf Geschäftsmodelle bedeutet das, dass wir in der Cargo Digital World Lösungen entwickeln, die unsere Partner nicht allein aufbauen können und die gleichzeitig ihre Wertschöpfung erhöhen. Das schafft Vertrauen und stärkt die Partnerschaft, da Kanibalisierungseffekte typischerweise nicht sehr groß sind.

In der Cargo Digital World treffen erfahrene Logistiker auf ambitionierte Gründerpersönlichkeiten, die mit Geschäftslogiken von Uber und Airbnb antreten, um einzelne Bestandteile etablierter Prozesse und existierender Leistungsversprechen mittels dieser Methoden abzulösen. Diese neuen Ansätze im Markt zu verankern ist spannend, inspirierend und vor allem notwendig. In der Umsetzung kombinieren wir die Substanz aus der „alten“ Logistikwelt mit jenen Technologien aus der Welt der Start-ups. Mit dieser Symbiose erreichen wir die kritische Masse für die Verankerung unserer digitalen Geschäftsmodelle in der Logistikwelt.

Welche Lücken bestehen zwischen „klassischen“ Speditions- bzw. Logistikanbietern und digitalen Anbietern?

Als CDW wollen wir weniger Lücken schließen, sondern Lösungen anbieten. Für unsere digitalen Start-ups ist die Zusammenarbeit mit anerkannten Partnern der Branche eine Chance zur tagtäglichen Schärfung ihrer jeweiligen Angebote. Diese etablierten Unternehmen profitieren im Gegenzug von einem Technologietransfer mit neuen Marktzugängen.

Eine Ihrer Ausgründungen ist eine digitale Spedition, in letzter Zeit sehen wir aber, dass digitale Speditionen zunehmend mit Schwierigkeiten zu kämpfen haben. Vor kurzem haben Convoy in den USA und Instafreight in Deutschland Insolvenz angemeldet. Hat sich das Konzept der digitalen Spedition devaluiert? Haben wir es mit einer Marktbereinigung zu tun?

Ja, im Markt der digitalen Speditionen, in dem auch unser Tochterunternehmen Cargoboard aktiv ist, gibt es eine Marktbereinigung. Das sehen wir ganz klar. Sie resultiert aus dem enormen Kostenaufwand, den es bedarf, um belastbare Partnerschaften und Netzwerke aufzubauen. Dieser führt nicht selten zu hoher Überschuldung. Fehlen Logistik-Start-ups initial Zugang und Vertrauen zu etablierten Partnern, ist es eine fragile Angelegenheit, das eigene Geschäftsmodell langfristig qualitativ in das Partnernetzwerk zu integrieren.

Welche digitalen Konzepte sind heute besonders gefragt?

Aktuell dreht sich vieles um den digitalen Marktzugang und Flexibilität in Logistikprojekten. Kunden erwarten von neuen Marktteilnehmern leistungsstarke Angebote mit hoher Nutzerfreundlichkeit und Transparenz. In diesem Segment sind wir gerade mit unserem Start-up Warespace in den Markt gegangen. Große Unternehmen haben die Möglichkeit, europaweit auf Lagerkapazitäten von mittelständischen Logistikern zurückzugreifen. Warespace ist hier Erstvertragspartner und Koordinator, der standardisierte Prozesse dezentral ausrollt und skalierbar macht. Algorithmen hinter der Anwendung kümmern sich darum, zu welchen Standorten die Waren am effizientesten verteilt werden können.

Wie hält man die Schwelle für Unternehmen bei Plattformservices niedrig, damit so viele Unternehmen wie möglich teilhaben können?

Das ist eine sehr gute Frage, auf die ich eine einfache Antwort geben kann: Augenhöhe. Wir beziehen bei CDW unsere Partnerunternehmen in die Entwicklung der Plattformservices konsequent mit ein. In unserem Portfolio sind Dienstleister wie unser Seed-Investor CargoLine, mit denen wir seit vielen Jahren kooperieren. Wir versuchen zusammen mit den Unternehmen zu ermitteln, welche strategischen Betätigungs- und Innovationsfelder mit unseren digitalen Fähigkeiten matchen.

Anschließend organisieren wir Konzeptions-Workshops und testen die Konzepte am Markt. Hierzu laden wir Praktiker aus unterschiedlichen Firmen ein, um die Geschäftsmöglichkeiten und deren Umsetzung tiefgründig zu bewerten.

Kommen wir zu dem Schluss, dass wir substanziellen Wert schaffen, investieren wir und unterstützen bei der Organisation der Kapazitäten und der Ausrichtung der Marktstrategie.

Welche technischen Anforderungen gilt es bei der Anbindung an eine Plattform zu berücksichtigen?

Die technischen Anforderungen sind zwischen den Plattformen und den Partnerunternehmen teils unterschiedlich, aber im Wesentlichen findet die Anbindung über IT-Schnittstellen statt. Je moderner die Systeme der Partner aufgestellt sind, desto einfacher ist die Integration. Wir haben hier in den letzten Jahren viel Erfahrung gesammelt. Sowohl im Bereich des Stückguts, der Ladungsverkehre, aber auch in der Lagerlogistik. Gerade, wenn individuelle Logistikkonzepte abgebildet werden sollen und Volatilität in den Lieferketten herrscht, erzielen wir durch Systemintegration große Effizienzvorteile.

Welche Vorteile bieten sich noch an, außer einem Effizienzgewinn?

Transparenz und Komplexitätsreduktion für die Auftraggeber. Logistikdienstleister schätzen aber auch den Technologietransfer innerhalb der Projekte. Für viele Mittelständler, die bei CDW investiert haben, bieten wir einen sehr greifbaren Zugang zu technologischen Innovationen.

Wo liegen die Schwachstellen von Plattformservices? Wie steht es um die Datensicherheit zum Beispiel?

Wir setzen auf höchste Sicherheitsstandards. Cybersecurity ist ein Thema, das uns ständig beschäftigt und auch in der Zukunft weiterhin beschäftigen wird. Wir haben ein Augenmerk darauf, sichere IT-Infrastrukturen aufzubauen, die Attacken zuverlässig standhalten. Das gilt für cloudbasierte und ebenso für nicht cloudbasierte Geschäftsmodelle.
Zum Punkt der generellen Schwachstellen: Der Nachteil von Plattformservices liegt darin, dass die meisten auf eine kritische Masse an operativen Partnern angewiesen sind, die eine hohe Servicequalität und Zuverlässigkeit garantieren. Existiert die Servicequalität nicht, werden Plattformen über negative Bewertungen schnell abgestraft. Aus diesen Gründen hat sich aus meiner Sicht das Konzept von Plattformen noch nicht vollständig durchgesetzt bzw. mangelt es vielfach noch an einer erfolgreichen Umsetzung.

Welche Trends und Themen in der Logistik werden künftig stärker in den Fokus rücken?

Start-ups, wie auch jene unter CDW-Flagge, werden in Zukunft immer mehr Leistungen mit Unterstützung von KI bereitstellen. Sei es deshalb, um auf mehr Prozesseffizienz, aber auch auf die Reporting-Fähigkeit beim Thema Nachhaltigkeit einzuzahlen. Das scheint mir angesichts der Herausforderungen des Klimawandels ein sehr zentraler Punkt.

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