Foto: BLG Logistics

Kurzinterview: Wir setzen auf das Prinzip „Vermeiden vor Reduzieren vor Kompensieren“

Die Notwendigkeit des Wandels ist bei allen Akteuren angekommen, denn die Branche hat einen hohen Impact, was den Klimaschutz betrifft, sagt Yvonne Bonventre von der BLG LOGISTICS GROUP AG. In unserem Interview erklärt sie auch, welche Hürden man bei der Implementierung von Klimaschutzmaßnahmen im Unternehmen überwinden muss und warum man Klimaneutralität nicht als Anforderung von außen, sondern als Chance betrachten sollte.

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Natalia Jakubowska, Trans.INFO: Bis 2045 soll Deutschland klimaneutral sein. Halten Sie dieses Zeitmaß in der Transport- und Logistikbranche für realistisch?

Yvonne Bonventre, Teamleitung Nachhaltigkeit bei BLG LOGISTICS GROUP AG & Co. KG: Das Ziel ist ohne Zweifel sehr anspruchsvoll. Schaut man beispielsweise auf die derzeitigen technologischen Möglichkeiten und den Status quo im Handlungsfeld Verkehr, wird schnell klar, dass es bis zur Klimaneutralität noch ein weiter Weg ist. Multimodale Transporte und die Verlagerung der Waren von der Straße auf die Schiene sind wichtige und hilfreiche Schritte zur Emissionsreduktion, denn im deutschen Straßengüterverkehr haben Diesel-LKW nach wie vor den allergrößten Anteil. Laut Umweltbundesamt verursachte der gesamte Verkehrssektor 2020 rund 146 Millionen Tonnen CO2e. Nach den Vorgaben des Klimaschutzgesetzes der Bundesregierung soll dieser Wert bis 2030 deutlich auf 85 Mio. t CO2e jährlich sinken. Wenn wir uns bewusst machen, dass seit 1990 nur eine geringe Reduktion um 17 Mio. t zu verzeichnen ist, wird klar: Wir haben noch einen weiten Weg zu gehen. Und den werden wir nur gemeinschaftlich schaffen. Es ist deshalb entscheidend, dass alle Marktteilnehmer sich der Herausforderung stellen und nachhaltige Antriebs- und Kraftstoffoptionen konsequent verfolgen. 2021 betrug der Anteil an alternativ angetriebenen LKW im deutschen Straßenverkehr lediglich rund 2 Prozent, die Transformation braucht deutlich länger als bei den PKW. Eine große Hürde stellen in diesem Zusammenhang die unterschiedlichen Reifegrade und unzureichenden Verfügbarkeiten der angebotenen Optionen wie zum Beispiel schwere E-LKW oder Bio-Fuels dar. 

Mehr Kohärenz bei Regulierungs- und Förderinstrumenten sowie der Ausbau der zwingend benötigten Infrastruktur würde die umfassende und zügige Weiterentwicklung in Richtung einer emissionsarmen Transportbranche fördern. Die Politik sollte hier mehr Planungssicherheit schaffen – für Kraftstoffproduzenten und LKW-Hersteller, für Transport- und Logistikunternehmen und für Verlader. Auf dieser Basis können wir den vielfältigen Aufgaben dann gemeinsam begegnen.

Wie hat sich in letzter Zeit das Verständnis von Nachhaltigkeit in der Branche verändert?

Die Notwendigkeit des Wandels ist bei allen Akteuren angekommen, denn die Branche hat einen hohen Impact, was den Klimaschutz betrifft. Das erzeugt in Bezug auf nachhaltige Produkte, Dienstleistungen und Lösungen eine enorme Nachfrage. Als Logistikdienstleister und damit essenzielles Glied in der Lieferkette zahlreicher Unternehmen spüren auch wir das – unsere Kunden erwarten von uns proaktives Handeln und Maßnahmen zur Senkung ihrer Scope 3-Emissionen. Dennoch sorgen die bereits genannten Hemmnisse trotz großer Motivation und Bereitschaft auf beiden Seiten dafür, dass flächendeckende Lösungen für emissionsarmen Transport wirtschaftlich und operativ aktuell nur bedingt umsetzbar sind.

Obwohl Klimaschutz auch für uns eines der Fokusthemen ist, hören die Anforderungen an nachhaltige Prozesse hier längst nicht auf. Auch die soziale und ökonomische Nachhaltigkeit bekommt zu Recht immer mehr Aufmerksamkeit. Mit dem European Green Deal, der EU-Taxonomie, der neuen Corporate Sustainability Reporting Directive und dem Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz nehmen die ESG-Anforderungen über alle Bereiche hinweg deutlich zu. Dem müssen sich Unternehmen stellen.

Welchen Stellenwert haben Klimaneutralität und Nachhaltigkeit in Ihrem Unternehmen? Welche Maßnahmen haben Sie bereits umgesetzt?

Wir betrachten Nachhaltigkeit nicht allein als Anforderung von außen, sondern im selben Maße als Notwendigkeit für die Zukunftsfähigkeit von BLG LOGISTICS. Und damit als Chance, uns im Wettbewerb zu differenzieren, indem wir in diesem Kontext frühzeitig gute Lösungen anbieten.

Wir erfassen bereits seit 2012 unsere eigenen CO2e-Emissionen und kommunizieren sie im Rahmen der nichtfinanziellen Berichterstattung nach innen und außen. Unser erstes Klimaziel für 2020 haben wir 2018 vorzeitig erreicht. Und das zum Anlass für ein ambitioniertes neues Ziel genommen. Wir werden unsere Emissionen innerhalb des Unternehmens (Scope 1+2) bis 2030 um 30% gegenüber 2018 reduzieren, die Emissionen außerhalb des Unternehmens (Scope 3) um 15%. Diese Zielsetzung haben wir durch die Science Based Targets initiative anerkennen lassen. Damit ist bestätigt, dass unsere Zielsetzung nachweislich zur Erreichung der Ziele des Pariser Klimaabkommens beiträgt. Darüber hinaus wollen wir bis 2030 klimaneutral werden, indem wir unsere verbleibenden und vorerst nicht vermeidbaren Emissionen über zertifizierte Klimaschutzprojekte kompensieren.

Wir setzen auf das Prinzip „Vermeiden vor Reduzieren vor Kompensieren“ und legen einen besonderen Fokus auf die Steigerung unserer Energieeffizienz. Hier konnten wir bereits viel erreichen – etwa durch die großflächige Umrüstung unserer Hallen- und Freiflächenbeleuchtung auf LED oder den zunehmenden Einsatz effizienter Lithium-Ionen-Stapler. Auch in Sachen regenerative Eigenstromproduktion haben wir uns auf den Weg gemacht und beziehen Grünstrom von zwei PV-Anlagen. Eine weitere entsteht auf dem Dach unserer im Bau befindlichen Logistikimmobilie „C3 Bremen“, die übrigens bewusst nach ESG-Kriterien konzipiert wurde. Mit einer geplanten installierten Leistung von bis zu 10 MWp handelt es sich derzeit um die größte zusammenhängende Aufdachanlage Deutschlands. 

Darüber hinaus befassen wir uns zunehmend mit dem Einsatz von alternativen Antrieben und Kraftstoffen und beteiligen uns an diversen Forschungsprojekten – immer mit dem Ziel, Lösungen zur CO2-Reduktion zu entwickeln.  

Was waren die größten Herausforderungen? Welche Fehler sollte man vermeiden?

Ein wesentlicher Punkt direkt zu Beginn ist die Schaffung einer sauberen Datengrundlage im Hinblick auf die Energieverbräuche, auf der dann wiederum die Erfassung der Treibhausgasemissionen basiert. Bei uns werden die Verbräuche der Standorte sowie des eigenen Fuhrparks kontinuierlich über ein umfassendes Energiemanagement erfasst. Derzeit arbeiten wir daran, eine spezielle Software zu implementieren, mit der wir unsere Verbräuche noch detaillierter analysieren und aus den Ergebnissen zielgenaue Maßnahmen ableiten können.

Nicht vernachlässigen sollte man auch die möglichst frühzeitige und umfassende Berücksichtigung der indirekten Emissionen entlang der Lieferkette. Häufig findet sich hier ein vergleichsweise hoher Anteil der Gesamtemissionen – in der Logistik insbesondere durch die Vergabe von Transportdienstleistungen. Die Schwierigkeit besteht in der im Vergleich zu den eigenen Emissionen deutlich dünneren Datengrundlage. In der Folge ist man gezwungen, stärker mit Annahmen und Schätzungen zu arbeiten. Das macht sowohl die Verfolgung von Zielen als auch die Entwicklung von Maßnahmen zur Reduktion nicht einfacher. Auch hier erhoffen wir uns mehr Genauigkeit durch eine Software: Sie soll uns ermöglichen, die Emissionen unserer Transporte auf Sendungsbasis exakt zu erheben. Der Schlüssel liegt in der Einbindung der Telematikdaten der eingesetzten LKW – denn so lassen sich die Emissionen auf Basis von Primärdaten erheben.

Wie sensibilisieren Sie Kunden und Partner für das Thema?

Gegenüber unseren Kunden setzen wir wo immer möglich auf Transparenz bezüglich der anfallenden Treibhausgasemissionen. Auf Wunsch berechnen wir diese individuell für die angebotene Dienstleistung und ermöglichen die Kompensation über hochwertige Klimaschutzprojekte. Auch legen wir vermehrt die Potenziale von alternativen Kraftstoffen beziehungsweise Antriebsoptionen dar.

Um diese und andere Aspekte voranzutreiben, engagieren wir uns außerdem in verschiedenen Initiativen und Gremien, unter anderem im BVL-Themenkreis „Nachhaltig gestalten“ und im Lenkungskreis der Taskforce „Nachhaltiger Schwerlastverkehr“ der Deutschen Energie-Agentur (dena). Wir wollen unser Wissen teilen, von anderen lernen und auch die Politik mit Perspektiven und Impulsen aus der Branche unterstützen. Denn so viel ist klar: Die Herausforderungen, vor denen die Logistikbranche auf dem Weg zu mehr Nachhaltigkeit steht, wird niemand allein lösen.

Klimaschutz und Nachhaltigkeit in Transport und Logistik

 

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