Fotos: KLU/Christin Schwarzer

Interview: Spediteure müssen besser beraten werden, was sie tun können

In unserem Interview erklären Prof. Alan McKinnon und Prof. Moritz Petersen von der Kühne Logistics University, vor welchen Herausforderungen die Transportbranche im Kontext der Klimaziele steht und wie man Klimaschutz im Unternehmen vorantreiben kann.

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Natalia Jakubowska, Trans.info: Der Ökonom Michael Hüther hat vor einiger Zeit gesagt, dass nach seiner Einschätzung das EU-Klimaschutzpaket wegen des Kriegs in der Ukraine nicht wie geplant umgesetzt werden kann. Es gibt aber auch Stimmen, dass der Ukraine-Krieg als Katalysator wirken wird. Auf welcher Seite stehen Sie?

Was den Straßengüterverkehr betrifft, so sehen wir einen gewissen Katalysator-Effekt, allerdings eher mittelfristig. Zwar ermutigt der hohe Dieselpreis die Spediteure, ihre Kraftstoffeffizienz und die Auslastung ihrer Fahrzeuge weiter zu verbessern, allerdings ist es für Spediteure in einem so wettbewerbsintensiven Sektor schwierig, die Kraftstoffpreiserhöhungen vollständig aufzufangen. Wo dies nicht möglich ist, schrumpfen die ohnehin geringen Gewinnspannen noch weiter, so dass weniger Geld für Investitionen in neue Fahrzeuge oder für die Modernisierung der bestehenden Flotten bleibt. Mittel- bis langfristig sind die Aussichten für die Dekarbonisierung des Güterverkehrs vielversprechender. Hohe Energiepreise könnten Unternehmen dazu veranlassen ihre Fracht verstärkt auf die Schiene zu setzen, da die Bahn wesentlich energie- und CO2-effizienter ist. Teurer Diesel wird auch die relative Wirtschaftlichkeit des Umstiegs auf die neue Generation CO2-armer LKW, die mit erneuerbaren Energien betrieben werden, verbessern. Und ganz grundsätzlich macht der Krieg deutlich, dass die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen ein Problem ist – geopolitisch natürlich, aber letztlich eben auch für den Klimawandel.

Viele Transport-und Logistikunternehmen sagen bereits jetzt schon, das Paket werde sie überfordern. Nimmt die Politik die Sorgen der Unternehmen ernst genug? Wo würden Sie eventuellen Handlungsbedarf seitens politischer Entscheidungsträger sehen?

Die nationalen Regierungen und die Europäische Kommission müssen ein schwieriges Gleichgewicht finden. Sie sind mit einem Klimanotstand konfrontiert und müssen die CO2-Emissionen drastisch senken, um die Ziele für 2030 und 2050 zu erreichen. Sie versuchen, dies so kosteneffizient wie möglich zu tun und die Belastung für die Wirtschaft zu minimieren. Der LKW-Verkehr ist für 4-5 Prozent der CO2-Emissionen in der EU verantwortlich und gilt als schwierig zu dekarbonisierender Sektor, unter anderem wegen seiner starken Fragmentierung, des prognostizierten hohen Wachstums des Güterverkehrs und der Schwierigkeit, ihn auf erneuerbare Energien umzustellen. Die Spediteure müssen darum besser beraten werden, was sie tun können, um bereits heute den Energieverbrauch und die Emissionen ihrer vorhandenen Fahrzeuge zu senken, und sie müssen starke Anreize erhalten, auf eine neue Generation CO2-armer LKW umzusteigen, sobald diese zu darstellbaren Kosten verfügbar sind. Vor allem müssen diese Anreize langfristig funktionieren. Spediteure, die frühzeitig auf LNG gesetzt haben, schauen wegen der hohen Gaspreise schon seit Anfang des Jahres in die Röhre. Das motiviert natürlich nicht, jetzt mutig voranzugehen und über die vergleichsweise frühe Anschaffung von Wasserstoff- oder Elektro-LKW nachzudenken.

Wo liegen die größten Hürden bei der Umsetzung der Klimaschutzmaßnahmen in Betrieben und Unternehmen?

In der Logistikbranche sehen wir drei große Hürden. Erstens mangelt es an Wissen über Dekarbonisierungsoptionen und ihre relative Kosteneffizienz pro eingesparter Tonne CO2. Das hat sich gerade in einer unserer Studien mit kleinen und mittelständischen Spediteuren deutlich gezeigt. Das zweite Hindernis ist ein finanzielles und betrifft diejenigen Klimaschutzmaßnahmen, die eine hohe Anfangsinvestition erfordern. Logistikdienstleistern fehlen entweder die Mittel oder sie halten die wahrscheinliche Rendite von Kohlenstoffminderungsmaßnahmen für zu gering. Dies hängt mit der dritten Hürde zusammen, der Wahrnehmung der Spediteure, dass die Nutzer von Logistikdienstleistungen sie wahrscheinlich noch nicht für ihre Bemühungen zur Emissionssenkung belohnen werden.

Im vergangenen Jahr hat das Center for Sustainable Logistics and Supply Chains (CSLS) der KLU in Zusammenarbeit mit dem Smart Freight Centre (SFC) eine Studie zur Dekarbonisierung des Straßengüterverkehrs herausgebracht. Demnach machen 99 Prozent der Unternehmen im europäischen Straßengüterverkehr kleine Flottenbetreiber aus. Was muss getan werden, damit Klimaschutz kein Eliteprojekt bleibt?

Es stimmt, dass etwa 99 Prozent der 500.000 europäischen Straßengüterverkehrsunternehmen weniger als 50 Beschäftigte haben, was den LKW-Verkehr zu einem der am stärksten fragmentierten Wirtschaftszweige und auch zu einem der wettbewerbsintensivsten macht. Es ist zweifellos schwierig, dieser riesigen Zahl von Kleinstunternehmern zu vermitteln, dass es unbedingt notwendig ist, die frachtbezogenen Emissionen zu senken. Auch wenn die Ziele und Strategien der größeren Logistikunternehmen zum Klimaschutz in den Medien mehr Beachtung finden, brauchen wir eine branchenweite Verpflichtung zur Dekarbonisierung des Straßengüterverkehrs. Schließlich vergeben die großen Logistikunternehmen einen Großteil ihrer Transporte an kleine Spediteure und müssen daher deren Emissionen in die so genannte Scope-3-Berechnung ihrer unternehmerischen CO2-Bilanz einbeziehen. Dies gäbe diesen Anbietern einen Anreiz, ihre Transporte an klimafreundlichere Spediteure zu vergeben und gemeinsam an Dekarbonisierungsprogrammen zu arbeiten.

Zur Erreichung der Klimaziele bedarf es einer langfristigen Strategie und mittelfristiger Ziele. Womit sollte man aber als Unternehmen anfangen? Welche Maßnahmen machen überhaupt Sinn und welche nicht?

Es gibt viele Dinge, die Spediteure kurz- bis mittelfristig tun können, während sie auf die Massenproduktion der neuen Generation von LKW warten. Sie werden natürlich den Initiativen den Vorrang geben wollen, die am kostengünstigsten und am einfachsten umzusetzen sind. Dazu gehören die Schulung in kraftstoffsparenden Fahrtechniken, die telematische Überwachung des Fahrverhaltens, die aerodynamische Optimierung der Fahrzeuge, die Sicherstellung des richtigen Reifendrucks, hohe Wartungsstandards und die Gewichtsreduzierung der Fahrzeuge. Insgesamt können diese Maßnahmen deutliche Einsparungen ermöglichen und amortisieren sich übrigens auch schnell. Wie eben schon angesprochen, ist die Kenntnis darüber erstaunlich wenig verbreitet.

Und welche Rolle spielen in diesem Zusammenhang digitale Lösungen?

Sie werden auch eine wichtige Rolle spielen. Die Nutzung von Online-Plattformen, die durch besseres Verknüpfen von Angebot und Nachfrage Leerfahrten zu vermeiden helfen, und von Software zur Optimierung der Fahrzeugroute führen kurzfristig ebenfalls zu erheblichen Kosten- und Emissionseinsparungen. Außerdem brauchen wir mehr Transparenz über die tatsächlich entstehenden Emissionen, um bestehende Flotten CO2-optimiert einzusetzen. Auch hieran arbeiten einige Unternehmen.

Ein zentraler Aspekt der Diskussion über den Klimaschutz ist die Mobilitätswende. Ist die Umstellung der LKW-Flotte heute schon sinnvoll, wenn die Reichweiten von Batterie-LKW noch zu wünschen übrig lassen und Wasserstoff-LKW vergleichsweise teuer sind?

Dies hängt zum Teil von der Größe des Fahrzeugs ab. Bei der lokalen Distribution mit LKW ist der Übergang zu Batterie-LKW bereits weit fortgeschritten. Die Gesamtbetriebskosten für batterieelektrische Lieferwagen sind inzwischen ähnlich hoch oder niedriger als die ihrer Diesel- oder Benzin-Pendants. Die Elektrifizierung wird in der Hierarchie der Fahrzeuggrößen und -gewichte allmählich ansteigen, wenn batterieelektrisch angetriebene Sattelschlepper in Serie produziert werden. Es ist jedoch anzumerken, dass die Flottenerneuerung der europäischen LKW ein langer Prozess sein wird, der rund 20 Jahre dauern kann.

Auf welche Technologie sollten Flottenbetreiber also setzen? Was ist der Zukunftsantrieb bei LKW?

Das ist eine Frage, auf die es keine universelle Antwort gibt. Worauf ich als Flottenbetreiber setzen sollte, hängt ganz stark vom Anwendungsfall ab. Abgesehen von den Biokraftstoffen, die kurz- bis mittelfristig als Übergangslösung angesehen werden können, wird die langfristige Dekarbonisierung des LKW-Verkehrs voraussetzen, dass ausreichend Strom aus erneuerbaren Quellen zur Verfügung steht. Die drei wichtigsten Möglichkeiten, diesen Strom in die Fahrzeuge zu bringen, sind Batterien, Wasserstoff-Brennstoffzellen oder Oberleitungen auf der Autobahn. Die letzte dieser drei Optionen, der Einsatz von Oberleitungs-LKW, ist die energieeffizienteste, erfordert jedoch erhebliche infrastrukturelle Investitionen in die Elektrifizierung eines Kernnetzes von Autobahnen. Die Brennstoffzellenoption erfordert eine sehr große und erschwingliche Verfügbarkeit an grünem Wasserstoff. Leider gehen bei diesem Prozess etwa 70 Prozent des Stroms verloren. Wir sehen Wasserstoff-Brennstoffzellen darum eher als Nischenanwendung für Spediteure, die schwere Lasten über lange Strecken transportieren. Für viele Unternehmen dürften sich batterieelektrische Fahrzeuge als die beste Option erweisen, da das Gewicht der Batterien in letzter Zeit gesunken ist, die Aufladegeschwindigkeiten gestiegen sind und öffentliche und private Stellen sich verpflichtet haben, umfassende Aufladenetze für LKW zu entwickeln. Die dynamische Aufladung von Batterien mittels Oberleitungen würde ihre Attraktivität für Frachtunternehmen weiter erhöhen.

In letzter Zeit werden E-Fuels wieder heiß diskutiert. Das Thema ist aber sehr umstritten und mit vielen Mythen verbunden. Können synthetische Kraftstoffe tatsächlich Benzin und Diesel ersetzen?

Dieser synthetische Kraftstoff könnte durch die Kombination von grünem Wasserstoff mit aus der Atmosphäre abgeschiedenem CO2 hergestellt werden. Um die Net-Zero-Ziele auf Länder-, EU- oder globaler Ebene zu erreichen, müssen viele Gigatonnen CO2, die sich bereits in der Atmosphäre befinden, gebunden werden. Nach der Abscheidung könnte das CO2 als Bestandteil eines synthetischen, dieselähnlichen Kraftstoffs verwendet werden, der in bestehenden Fahrzeugen eingesetzt werden könnte. Dadurch könnte die Notwendigkeit neuer Fahrzeugflotten mit anderen Antrieben entfallen. Die Herstellung synthetischer Kraftstoffe ist jedoch sehr energieaufwändig und dürfte auf absehbare Zeit darum kostspielig bleiben. Aus diesem Grund spielt diese Option in den aktuellen Debatten über die zukünftige Energieversorgung von LKW keine große Rolle. Letztlich geht es aber nicht um die Frage, welche die eine neue Technologie ist, die sich durchsetzt oder ob es die beste Lösung gibt. Um rechtzeitig nennenswerte Fortschritte beim Klimaschutz erzielen zu können, werden alle Alternativen zu fossilem Diesel eine Rolle spielen müssen. Aber eben abhängig vom jeweiligen Anwendungsfall.

Letzte Frage: Wann wird der LKW-Verkehr komplett klimaneutral sein? Oder ist es etwa ein Wunschtraum?

Es wird kein Wunschtraum bleiben können. Aber es ist natürlich eine langfristige Vision. Hier in der EU müssen über 6 Millionen Diesel-LKW vollständig durch CO2-arme Alternativen ersetzt werden, und der Strom, mit dem sie angetrieben werden, muss vollständig dekarbonisiert werden. Optimistischerweise könnte dies in einigen EU-Ländern bis 2050 geschehen. In weiten Teilen der restlichen Welt wird dieser Prozess jedoch viel langsamer vonstatten gehen. Und natürlich bleibt daran zu denken, dass der Klimawandel ein globales Problem ist, denn wir haben nur eine Atmosphäre.

Klimaschutz und Nachhaltigkeit in Transport und Logistik

 

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