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Rollt bald eine Insolvenzwelle über die Transportbranche?

Im Januar 2024 meldeten die Amtsgerichte nach endgültigen Ergebnissen 1 622 beantragte Unternehmensinsolvenzen. Am höchsten war die Insolvenzhäufigkeit im Bereich Verkehr und Lagerei. Aber nicht nur in Deutschland hat sich die Lage verschärft.

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Seit Juni 2023 wachsen die Regelinsolvenzen in Deutschland durchgängig im zweistelligen Bereich im Vorjahresvergleich. Prognosen zufolge wird der Trend auch 2024 anhalten.
So ist laut Angaben des Statistischen Bundesamtes die Zahl der Unternehmensinsolvenzen im Januar um mehr als 27,6 Prozent gestiegen. Die Insolvenzhäufigkeit im Bereich Verkehr und Lagerei war am höchsten. Bezogen auf 10 000 Unternehmen gab es im Januar 2024 in Deutschland insgesamt 4,7 Unternehmensinsolvenzen. Die meisten Insolvenzen je 10 000 Unternehmen entfielen auf den Wirtschaftsabschnitt Verkehr und Lagerei mit 9,1 Fällen. Auch im Februar und März stiegen die Firmenpleiten im Vergleich zum Vorjahreszeitraum.

Von einer Pleitewelle kann trotzdem noch keine Rede sein, denn durch die starken Eingriffe des Gesetzgebers wie die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht, dem Kurzarbeitergeld oder auch anderer finanziellen Hilfen fielen die Insolvenzzahlen 2020/2021 auf ein historisch niedriges Niveau, erklärt der Berufsverband der Insolvenzverwalter und Sachwalter Deutschlands.

Die gestiegenen Zahlen im Jahr 2023 zeigen vor allem eine Normalisierung des Insolvenzgeschehens. Wir gehen davon aus, dass sich die Insolvenzzahlen im Jahr 2024 weiterhin dynamisch entwickeln werden. Dabei spielen vor allem Branchen und Krisenursachen eine Rolle, die langfristig angelegt sind. Die Stichworte heißen Arbeitskräftemangel, Transformation und Digitalisierung, sagt Christoph Niering, Insolvenzverwalter und Vorsitzender des Verbandes.

Trotzdem sollte der Trend nicht ignoriert werden. Der Bundesverband Logistik & Verkehr (BLV-pro)alarmierte vor kurzem, dass die Transportbranche mit einem signifikanten Anstieg an Insolvenzen zu kämpfen hat. Unternehmen, die von den Auswirkungen der aktuellen wirtschaftlichen und geopolitischen Situation betroffen sind, stünden vor schwierigen Entscheidungen und müssten sich neuen Realitäten anpassen.

Der Verband beziffert unter Berufung auf Insider, dass ca. 1/3 der Mautkosten mangels Liquidität nicht vertragsgemäß bezahlt werden können und führende Versicherer sogar Kunden mit Zahlungsschwierigkeiten kündigen sollen.

Aktuell ist nichts mehr von Fahrermangel zu hören – denn es gibt ihn faktisch nicht mehr! Es haben bereits so viele Transportunternehmen aufgegeben oder sind von Insolvenz bedroht und Fahrer suchen nun nach Stellen, sagt Ralf Kalabis-Schick, BKF-Beauftragter im BLV-pro.

„Nun beginnt die Apokalypse für viele”, fasst der Verband die Lage zusammen.

Britisches Transportgewerbe vor dem Abgrund

Wie schnell die Situation eskalieren kann, zeigt das Beispiel Großbritanniens.Vertreter der britischen Transportbranche sprechen von einer wahren Katastrophe, denn so schlimm wie derzeit war die Lage seit langem nicht mehr.

“Die Unternehmensinsolvenzen bei den Transportunternehmen nehmen in einem Maße zu, wie es seit mehr als einem Jahrzehnt nicht mehr der Fall war. Wir sind Zeugen einer wahren Katastrophe, die durch die hohe Inflation und Zinserhöhungen noch beschleunigt wird und zu einer Zeit stattfindet, in der viele Transportunternehmen am Tropf hängen”, fasst Matt Howard, zuständig für Insolvenzverwaltung und Sanierung bei Price Bailey, die Lage des britischen Transportgewerbes zusammen.

In jüngster Vergangenheit berichteten britische Medien über weitere Speditionen, die in die Insolvenz gerutscht sind. In einem im November 2023 veröffentlichten Bericht alarmierte Price-Bailey,dass in dem Zeitraum von 12 Monaten vor der Veröffentlichung 463 Speditionsunternehmen Insolvenz angemeldet haben. Im Vorjahreszeitraum waren es noch halb so viele (225).

Haupttreiber für die Insolvenzen sind nach Ansicht von Experten steigende Betriebskosten.

Die aggressiven Zinserhöhungen in diesem Jahr haben Unternehmen an den Rand ihrer Existenz getrieben. Viele Speditionen sind auf Fremdfinanzierung angewiesen, um sich über Wasser zu halten, von der Anschaffung des Fuhrparks bis hin zu den täglichen Betriebskosten, was sie anfällig für steigende Zinssätze macht, kommentiert Howard.

Die Road Haulage Association (RHA) hat beziffert, wie die Betriebskosten in Speditionsunternehmen gestiegen sind.

Die Kosten für den Betrieb eines 44-Tonnen-LKW sind im vergangenen Jahr um fast 10 Prozent (ohne Berücksichtigung von Kraftstoff ) gestiegen, heißt es in einer Presseerklärung der Organisation.

RHA verweist auch auf die nicht unerheblichen Auswirkungen des rückläufigen Frachtaufkommens und plädiert deshalb dafür, “den Kostendruck zu verringern”, indem die Verbrauchssteuer auf schwere Nutzfahrzeuge ausgesetzt wird.

Polnische Speditionen schauen mit Sorge in die Zukunft

Auch in Polen steigt die Zahl der Transportunternehmen, die Insolvenz angemeldet haben, stetig. Und obwohl von einer Insolvenzwelle noch nicht die Rede sein kann, warnt Maciej Wroński, Präsident des Verbands Transport und Logistik (TLP) :

Transportunternehmen sterben langsam und leise. Die Tatsache, dass Insolvenzen von Großunternehmen schneller von der Öffentlichkeit wahrgenommen werden, bedeutet nicht, dass die Lage in kleinen Unternehmen gut ist, betont er.

Weiter steigende Insolvenzzahlen sind wahrscheinlich. Sollte sich die wirtschaftliche Lage nicht bessern, rechnet der TLP-Präsident mit düsteren Aussichten für das Transportgewerbe.

Für die meisten polnischen Transportunternehmen besteht das größte Problem darin, die Liquidität aufrechtzuerhalten und eine positive Gewinnspanne aus dem Transportgeschäft zu erzielen.Leider sind diese Probleme objektiv und resultieren aus dem derzeitigen Ungleichgewicht zwischen der Nachfrage nach Transportdienstleistungen und deren Angebot. Daher die berechtigten Ängste vor dem Schreckgespenst der Insolvenz. Und wenn sich die Marktsituation bis 2024 nicht verbessert, werden diese Befürchtungen in vielen Fällen zur Realität, warnt Wroński.

Zusammenarbeit: Gregor Gowans, Dorota Ziemkowska-Owsiany

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