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Raoul Wintjes vom Bundesverband Spedition und Logistik.

Interview: “Eine technikaffine Geschäftsführung hat auch bei einer Betriebsgröße von 25 Mitarbeitern viele Möglichkeiten, digitale Dienste zu nutzen und Prozesse neu zu gestalten”

Auch ist es entscheidend, dass die Eigentümer und das Management ein Interesse für New-Work Prinzipien, also flache Hierarchien, eine andere Fehlerkultur, agile Methoden entwickeln. Digitalisierung hängt also weniger von der Unternehmensgröße ab als vielmehr vom Mindset, sagt Raoul Wintjes vom Bundesverband Spedition und Logistik.Im Interview spricht er darüber, wie der digitale Status quo in der Transport-und Logistikbranche ist, wo die größten Hürden bei der Digitalisierung liegen und was sich der Verband von der Regierung wünscht.

Lesezeit 10 Min.

Natalia Jakubowska, Trans.INFO: Herr Wintjes, wie schätzen Sie den Digitalisierungsgrad in der Transport- und Logistikbranche ein?

Raoul Wintjes, Leiter Internationaler Straßengüterverkehr | Digitalisierung, DSLV: Der Reifegrad der Digitalisierung hängt von vielen Faktoren ab. Da sind zunächst einmal die digitalen Instrumente selbst, die in unterschiedlichen Bereichen in Logistikunternehmen angewendet werden. Kunden fragen Transport- oder Lagerleistungen an. Über welche Kanäle können sie ihren Dienstleister erreichen? Wie gestaltet ein Logistikunternehmen die Kundenerlebnisse, welche Rolle spielen hier digitale Kommunikations- und Übertragungsformate? Dann der operative Bereich. Wie werden Transporte gesteuert, welche Informationen können wie beschafft werden – auch wieder, über welche Kanäle? Welche zusätzlichen Dienstleistungen werden hier übernommen? Wichtig für die Digitalisierung sind auch die Mitarbeiter, welche die Tools kompetent einsetzen können und wollen. Und eine Digitalstrategie ist wichtig, mit der das Management den digitalen Transformationsprozess kontinuierlich vorantreibt.

Grob kann man bei den Unternehmen am Markt drei Gruppen bilden. Erstens Unternehmen, die noch gar nicht oder nur in ganz geringem Umfang von digitalen Tools und Prozessen Gebrauch machen. Zweitens solche, die intern schon weiter fortgeschritten sind, aber schlecht vernetzt sind und digitale Insellösungen geschaffen haben. Drittens die eigentlichen Treiber, die sowohl intern als auch extern mit digitalen Formaten arbeiten und diese über Schnittstellen zu vernetzen wissen. Zwar wird die erste Gruppe immer kleiner, aber der Übergang von der zweiten zur dritten Gruppe stellt für viele Unternehmen eine Herausforderung dar. Da gibt es also auf jeden Fall noch viel zu tun in der Branche.

Sie haben den digitalen Status quo als ausbaufähig bezeichnet. Je nach verschiedenen Studien arbeiten angeblich weiterhin 40 bis 50 Prozent der Unternehmen analog. Warum funktioniert es bei den einen und bei den anderen nicht?

Es gibt unterschiedliche Geschwindigkeiten, in denen sich Speditionen und Logistiker auf die digitalen Möglichkeiten einstellen. Das hängt nicht unbedingt von der Größe ab. Digitale Transformation stellt für die Konzerne ebenso eine Herausforderung dar wie für kleine und mittlere Unternehmen.

Bei kleineren und mittleren Unternehmen hängt es stark von der jeweiligen Unternehmenskultur ab. Eine technikaffine Geschäftsführung hat auch bei einer Betriebsgröße von 25 Mitarbeitern viele Möglichkeiten, digitale Dienste zu nutzen und Prozesse neu zu gestalten. Auch ist es entscheidend, dass die Eigentümer und das Management ein Interesse für New-Work Prinzipien, also flache Hierarchien, eine andere Fehlerkultur, agile Methoden entwickeln. Digitalisierung hängt also weniger von der Unternehmensgröße ab als vielmehr vom Mindset. Und das ist in einigen Logistikbetrieben noch eher konservativ.

Hat die Corona-Pandemie auch in der Transport- und Logistikbranche als Digitalisierungsbooster gewirkt? Mich würden hier vor allem KMU interessieren.

Wenn ein Unternehmen es vor der Pandemie bereits geschafft hat, Prozesse weitgehend papierlos zu gestalten und lokale Computerdienste in der Cloud zu organisieren, dann hatte es einen großen Vorteil während der Krise und konnte seine Mitarbeiter problemlos ins Homeoffice schicken. In der Logistikbranche ist aber eindeutig die immer noch verbreitete und auch rechtlich bedingte Abhängigkeit vom Papier ein Hemmschuh für mobiles Arbeiten. Und wer hat schon mehrere Bildschirme daheim, über die verschiedene Vorgänge in der Disposition gleichzeitig im Auge behalten werden können.

Anders sieht es aber in den Bereichen Einkauf; Vertrieb und auch Auslieferung aus. Die Corona-Krise hat kontaktlose Verfahren förmlich erzwungen. Viele Unternehmen sind dadurch wach geworden und haben überlegt, was sie alles tun können, um persönliche Kontakte zu reduzieren. Zeitgleich ist auch der Druck größer geworden, sich mit Plattformlösungen auseinanderzusetzen.

Die Pandemie hat also mit Sicherheit den Digitalisierungsprozess beschleunigt in der Logistik.

Viele fürchten Jobverlust infolge von Digitalisierung. Wie kann man Personal zukunftssicher machen?

Es ist wahrscheinlich nicht revolutionär zu sagen, dass Weiterbildung gut für die Jobsicherheit ist. In der Logistik wird es zukünftig noch wichtiger sein, sich kontinuierlich in Richtung IT und Technik weiter zu qualifizieren. Das sehen wir jetzt schon in der Lagerlogistik. Je mehr wir automatisieren, desto weniger brauchen wir menschliche Kraftanstrengungen. Es gibt jetzt schon Lagerhallen, die größtenteils ohne Beleuchtung auskommen, weil in ihnen keine Menschen mehr arbeiten. Dennoch müssen die Förderfahrzeuge und Pick-bots, die dort arbeiten von Menschen programmiert und gewartet werden. Dasselbe wird für autonome Fahrzeuge gelten, die vielleicht schon in ein paar Jahren eine Straßenzulassung bekommen werden.

Es werden hier neue attraktive Tätigkeitsfelder entstehen. Und auch im kaufmännischen Bereich bieten digitale Prozesse interessante Perspektiven. Aber sowohl für den gewerblichen als auch für den kaufmännischen Bereich gilt, dass es ohne technische und IT-Kenntnisse schwieriger wird, Jobs zu finden.

Aber wie bewältigt man das Problem des Fachkräftemangels in der Logistik, welches ja jetzt schon gravierend ist?

Die neue Flexibilität, welche die Digitalisierung mit sich bringt, macht Logistik-Jobs wieder attraktiver. Familie, Freizeit und Beruf lassen sich besser miteinander vereinbaren, wenn Arbeitsplätze dezentral eingerichtet werden können. So lässt sich bspw. das Pendeln reduzieren, indem man sich zukünftig von verschiedenen Standorten in Logistikanwendungen einwählen und arbeiten kann.

Die Branche muss allerdings den zunehmenden attraktiven Tech-Bonus auch nach außen deutlicher präsentieren, damit Berufsstarter die Logistik mehr in den Fokus nehmen.

Seit einiger Zeit sind digitale Straßengüterspeditionen ein großes Thema. Wie werden diese von klassischen Speditionen wahrgenommen? Als Konkurrenz oder vielleicht sogar als Bedrohung?

Digitale Straßengüterspeditionen haben Prozesse grundlegend unter die Lupe genommen und Lösungen für eine transparente und effiziente Abwicklung geschaffen. So können sie Transportunternehmen schneller unter Vertrag nehmen und auch große Aufträge im Ladungsverkehr zügig abwickeln. Sie bieten aber nicht nur Transporte, sondern auch ganze Softwarepakete an, also „Speditionssoftware as a Service“.

Was die digitalen Startups dabei übersehen haben, ist die hohe Komplexität von Speditionsleistungen. Alles was über FTL/FCL-Ladungsverkehre hinausgeht, stellt die neuen Anbieter vor große Probleme. Auch müssen sie anerkennen, dass IT nicht ohne weiteres die gewachsenen Netzwerke und das People Business der etablierten Speditionshäuser ersetzen kann. Am Ende sind es zwei Dinge, über die eine Spedition verfügen muss: Zugang zu Assets (Lkw, Hänger, Container) und Zugang zum Vertrauen der Kunden. Gerade bei KMU können da über Jahre gewachsene Vertrauensverhältnisse selbst durch eine noch so gut gestaltete Webseite nicht ersetzt werden. Aber wenn KMU jetzt digitalisieren, werden sie noch effizienter und attraktiver.

Macht der Staat Ihrer Meinung nach genug in finanzieller Hinsicht, um die Digitalisierung in Unternehmen zu fördern?

Es existieren zahlreiche Förderinitiativen. Für KMU gibt es zum Beispiel „Digital Jetzt“, „go digital“ (Wirtschaftsministerium) oder „mFund“ (Verkehrsministerium). Außerdem können bei den Bundesländern Kreditzuschüsse als Digitalisierungsprämie im Hausbankverfahren beantragt werden. Für den Straßengüterverkehr können auch im Rahmen der Förderprogramme „De-Minimis“ und „Weiterbildung“ beim Bundesamt für Güterverkehr Anträge auf Förderung von Beratungsleistungen durch IT-Dienstleister sowie für Weiterbildungsmaßnahmen gestellt werden. Das mit Mitteln des Verkehrsministeriums geförderte Projekt „Silicon Economy“ des Fraunhofer IML wird im November 2021 eine Open Source Anwendung zum eFrachtbrief zur Verfügung stellen.

Und in anderen Bereichen, sehen Sie da vielleicht mehr Handlungsbedarf seitens der Politik? Sind zum Beispiel die rechtlichen Rahmenbedingungen transparent und übersichtlich für Unternehmen?

Das ist der Knackpunkt. Es gibt weiterhin bei den Unternehmen eine große Unsicherheit. Alles, was digitalisiert wird, muss auch immer vor Gericht genauso belastbar und rechtssicher sein wie ein Papiervertrag. Die Software-Anbieter müssen sich deshalb genau überlegen, ob das, was für den Straßengüterverkehr auf den Markt kommt, rechtssicher im Sinne des HGB, CMR und GüKG ist. Hier ist es wichtig, dass sich die Bundesregierung für internationale Standards einsetzt, die rechtlich belastbar sind.

Der Deutsche Bundestag ist im September neu gewählt worden. Die Koalitionsgespräche laufen bereits.Was würden Sie der neuen Regierung in puncto Digitalisierung empfehlen? Haben Sie einen persönlichen Wunschzettel?

Die Bundesregierung muss die Digitalisierungsmöglichkeiten nutzen, um z. B. Genehmigungsverfahren zu verschlanken und zu beschleunigen. Behörden müssen sich untereinander besser vernetzen und sollten den Unternehmen mit gutem Beispiel vorangehen, wenn es um papierlose Prozesse geht.

Die Bundesregierung muss flächendeckende digitale Infrastrukturen für den breiten Einsatz digitaler Datenübermittlungen entlang der Supply-Chains in Deutschland vorantreiben. Trotz aller Investitionsprogramme und -Ankündigungen existiert hier an vielen Stellen noch Nachholbedarf. Dies gilt auch für die Vorbereitung des Einsatzes teilautonomer oder autonomer Verkehrsmittel auf Straße, Schiene und Wasserstraßen

Die Regierung sollte international darauf hinwirken, dass elektronische Handels- und Transportverträge rechtssicher werden. Wir schauen bei Handels- und Transportdokumenten häufig auf dieselben Daten zu Unternehmen, Dingen, Zeiten und Orten. Deshalb müssen Digitalisierung von Handel und Logistik Hand in Hand gehen.

Wagen wir einen Blick in die Zukunft. Welche Fragen, Trends, Themen werden die Digitalisierung in den nächsten fünf Jahren bestimmen?

Blockchain ist absolut wichtig und allgegenwärtig, wenn es um Authentifizierung geht. Das kann man am besten am Beispiel des Impfpasses sehen. Authentifizierung und Integrität von Daten sind hier die großen Zauberwörter. Das ist für mich Trend Nummer eins.

Eine große Rolle werden auch jegliche Formen von Plattformen spielen, auf denen Daten miteinander in Verbindung gebracht werden. Da sind auch Elemente der sogenannten prädiktiven Analyse unter Verwendung von Big Data drin, die helfen, Vorhersagen über Probleme zu treffen, um sie frühzeitig zu erkennen und so eine schnellere Verfügbarkeit zu haben.

Trend Nummer drei wäre für mich das Internet of Things, bei dem mithilfe von RFID Technologie und digitalen Zwillingen bspw. Paletten überwacht werden können. um Standort und Temperatur festzustellen und um bei empfindlicher Fracht Stöße zu verhindern.

Eine weitere wichtige Frage wird sein, welche Finanzströme und Schnittstellen sich zwischen FinTech und LogTech ergeben werden. Hier könnten Logistiker zukünftig auch zusätzliche Dienstleistungen erbringen.

Und zuletzt alles um den Bereich Automatisierung: zum Beispiel der Einsatz von KI-gestützten selbstfahrenden Förderfahrzeugen im Lager und perspektivisch der autonome Lkw.

Interview geführt am 28. September 2021 

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