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4 Millionen Tonnen zusätzliches CO2 aufgrund des vorgeschlagenen EU-Kabotagegesetzes im Mobilitätspaket

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Im Dezember 2019 haben sich die politischen Entscheidungsträger der EU nach mehreren Jahren verfahrener Verhandlungen auf ein tückisches Übereinkommen mit neuen Vorschriften für den CO2-intensiven LKW-Kraftverkehr innerhalb der EU geeinigt. (Originaltext erschienen bei ecipe.org: https://ecipe.org/blog/4-million-tonnes-co2-due-to-eu-cabotage)

Wenn das Europäischen Parlament und der EU-Rat das so genannte Mobilitätspaket genehmigen, würde es 2021 eingeführt werden. Es würde die Zahl der leeren Auflieger auf den Straßen der EU-Mitgliedsländer, insbesondere im Transit-Land Deutschland, erheblich steigern und den CO2-Ausstoß in der EU insgesamt weiter erhöhen.

Schätzungen zufolge (siehe unten) belaufen sich die zusätzlichen CO2-Emissionen jährlich auf rund 4 Millionen Tonnen – ein zusätzlicher Ausstoß, der den jährlichen CO2-Emissionen von 3 bis 4 mittelgroßen Steinkohlekraftwerken entspricht. Da Deutschland das Land ist, in dem fast die Hälfte der EU-Kabotage stattfindet, würden deutsche Bürger am stärksten unter den vorgeschlagenen Regeln des neuen Mobilitätspakets leiden.

Warum unterstützt der Verkehrsausschuss des Europäischen Parlaments ein Gesetz, das bekanntermaßen umweltschädlich ist?

Die Europäische Kommission warnte noch im Dezember, dass die neuen Vorschriften Umweltschäden verursachen und daher nicht den Ambitionen des sog. Europäischen Green Deal entsprechen würden.

Dennoch wollen verschiedene EU-Parlamentarier und einige Regierungen der Mitgliedstaaten – allen voran Frankreichs Macon-Regierung – immer noch für ein Gesetz stimmen, mit dem die Zahl der LKW-Leerfahrten in der EU erhöht wird. Und nicht nur das: Mit dem Gesetz würden explizit EU-Bürger diskriminiert werden, die den „falschem“ EU-Pass haben, vor allem Menschen aus Mittel- und Osteuropa.

Warum passiert so etwas? Die Antwort fällt einfach aus: Entgegen politischer Verlautbarungen herrscht im EU-Binnenmarkt auch im 21. Jahrhundert noch immer kruder Protektionismus. In den westeuropäischen Ländern sind heimische Speditionen vor allem im nationalen Güterverkehr stark aufgestellt und entsprechend engagiert, während für Spediteure und Fahrer in den mittel- und osteuropäischen Ländern der grenzüberschreitende Güterverkehr (Grenzüberschreitende Fahrten; Kabotage) am wichtigsten sind – vor allem Lieferungen nach oder innerhalb Westeuropas.
Dementsprechend sind westeuropäische Regierungen sowie gleichgesinnte Politiker im Europäischen Parlament (z.B. im Verkehrsausschuss des Europäischen Parlaments) bestrebt, ihre heimischen Spediteure, die sehr gut politisch vernetzt sind, zu schützen.

Woher kommt die LKW-Frachtkabotage eigentlich?

Trotz des Grundsatzes einer universellen, diskriminierungsfreien Verkehrspolitik behindert das derzeitige Kabotagegesetz in der EU die wirtschaftlichen Chancen und den wirtschaftlichen Konvergenzprozess innerhalb der Europäischen Union. Die EU-Vorschriften für die Kabotage von LKW-Fracht wurden ursprünglich erfunden, um ausländische Lkw-Fahrer von den westeuropäischen Inlandsmärkten fernzuhalten. Die politischen Entscheidungsträger der EU haben damit ein Zwei-Klassen-System entwickelt, das Unternehmen und Arbeitnehmern aus den Hochlohnmitgliedstaaten privilegiert und gleichzeitig die in den Niedriglohnmitgliedstaaten ansässigen Speditionen und Fahrer bestraft bzw. explizit per Gesetz diskriminiert. Infolgedessen trugen – und tragen – diese Beschränkungen dazu bei, dass sich innerhalb der EU noch immer deutliche Lohnunterschiede zeigen und die Angleichung von Einkommen und Lebensstandards immer noch nur schleppend gelingt.

Das Prinzip einer gemeinsamen, diskriminierungsfreien EU-Verkehrspolitik wurde eigentlich in den Gründungsverträgen der EU, dem Vertrag von Rom, verankert. Es fordert die Freiheit, internationale Verkehrsdienste über europäische Grenzen hinweg anzubieten. Das Verlangen der Mitgliedstaaten auf eine Liberalisierung der Rechtsvorschriften blieb jedoch gering. 1982 stellte das Europäische Parlament fest, dass die Maßnahmen der Mitgliedstaaten „den Erfordernissen des Gemeinsamen Marktes in keiner Weise entsprechen“. Nach einer Entschließung des Parlaments stellte der Gerichtshof entsprechend fest, dass der Rat der Europäischen Gemeinschaften es versäumt hatte, die Freizügigkeit von Verkehrsdiensten innerhalb der Europäischen Gemeinschaft festzulegen.

Die ursprüngliche EG-Verordnung, die eine marginale Liberalisierung zur Folge hatte, wurde allerdings erst 1993 umgesetzt. Es wurde einer begrenzten Anzahl von Kraftfahrern mit „Gemeinschaftsgenehmigung“ (Quote) gestattet, Straßentransportdienste in den anderen Mitgliedstaaten zu erbringen, sofern diese nur vorübergehend erbracht würden.
Damals hatten die Mitgliedstaaten noch ein striktes Genehmigungs- und Quotensystem für Kabotagefahrten, das ausdrücklich darauf abzielte, ausländische EU-Wettbewerber von ihren nationalen Märkten fernzuhalten. Schließlich trat im Jahr 2009 eine neue Verordnung in Kraft, die es „ausländischen EU-Lkw-Spediteuren“ erlaubt, nach einer internationalen Sendung „nicht mehr als drei Kabotageoperationen innerhalb von sieben Tagen“ durchzuführen. Durch die „Liberalisierung“ von 2009 hatte die Europäische Kommission noch ausdrücklich das Ziel, die Anzahl der leer fahrenden Lastkraftwagen (Fahrzeuge ohne Waren bzw. leere Auflieger) und die Umweltverschmutzung zu senken.

Warum ist die neue EU-Verordnung mit Kabotage-Regeln für LKWs so umweltschädlich?

LKW- oder Schwerlastverkehr ist zunächst erst einmal alles andere als emissionsfrei. Die EU selbst schätzt, dass Lastkraftwagen, Busse und Reisebusse zusammen etwa ein Viertel der CO2-Emissionen des Straßenverkehrs in der EU und etwa 6% der gesamten EU-Emissionen verursachen. Wenn Sie Busse und Reisebusse abziehen, werden Sie feststellen, dass die Emissionen von Lastkraftwagen allein erheblich sind. Aus diesem Grund hat die EU kürzlich die ersten EU-weiten CO2-Emissionsnormen für schwere Nutzfahrzeuge eingeführt, mit denen Zielvorgaben zur Reduzierung der durchschnittlichen Emissionen neuer Lastkraftwagen für 2025 und 2030 festgelegt wurden.

Trotz der Liberalisierung von 2009 ist der Kabotagebetrieb nach wie vor stark eingeschränkt und verursacht jedes Jahr Tausende von leeren Anhängern auf europäischen Straßen. Kabotageregeln verringern mit Sicherheit die politisch gewünschten Effekte dieser Verordnung, da die Regeln Transportunternehmen/Speditionen gesetzlich dazu verpflichten, ihre Fahrzeuge häufiger nach Hause zurückzurufen, was häufig mit überflüssigen Leerfahrten einhergeht.

Die im Dezember 2019 vorgeschlagenen neuen Beschränkungen für die Kabotage würden die Zahl der Fahrten mit leeren Lastwagen in der EU erheblich erhöhen, d. h. die Fahrzeugkilometer insgesamt und die entsprechenden CO2-Emissionen.

Das derzeitige „Übereinkommens“ zwischen dem EU-Rat, dem Europäischen Parlament und (zuvor) der Europäischen Kommission sieht folgendes vor:

• Unternehmen könnten in der Regel innerhalb von sieben Tagen in einem bestimmten EU-Land drei Kabotagedienstleistungen durchführen.
• Für Kabotageleistungen im EU-Ausland würde eine neue 4-tägige Pause eingeführt, bevor weitere Kabotageleistungen im selben Land mit demselben Fahrzeug durchgeführt werden könnten.
• Ein Fahrzeug müsste alle 8 Wochen zum Firmensitz (Land) zurückkehren.
Es ist schwierig, die zusätzliche Belastung durch CO2-Emissionen, die sich aus diesen neuen Beschränkungen ergeben würde, genau abzuschätzen. Viele Faktoren bestimmen die Anzahl beladener LKW und den Anteil von LKW mit leeren Aufliegern.

Im Jahr 2019 führte KPMG eine umfassende Analyse der Auswirkungen für das EU-Land Bulgarien durch, die auf zwei Szenarien beruhte:

1. Aktuelles Regelszenario: „In der Simulation, die auf den aktuellen Regeln basiert, haben wir angenommen, dass der LKW beim Entladen von Waren in einem Mitgliedstaat innerhalb von 7 Tagen drei aufeinanderfolgende Kabotagedienstleistungen durchführt und anschließend den „Cross-Trade“ in bzw. über ein anderes EU-Land durchführt. ”

2. Vorgeschlagenes Regelszenario: „In der Simulation, die auf den vorgeschlagenen Änderungen basiert, haben wir in den ersten drei Tagen nach dem Entladen und dem anschließenden Cross-Trade-Betrieb eine Kabotagedienstleistung angenommen.“
Bezüglich der negativen Auswirkungen auf die Anzahl der Leerfahrten zeigt KPMG auf, dass nach Angaben einer Stichprobe bulgarischer Spediteure (37 Transportunternehmen) rund 53% der zusätzlichen obligatorischen Rückfahrten nach Bulgarien leer zurückfahren würden, und zusätzlich rund 38% würden nach der neuen „Zwangspause“ leer in ihre Herkunftsländer zurückfahren müssen.

KPMG geht davon aus, dass die Anzahl leerer Lastkraftwagen aufgrund der sog. „Mandatory Homecomings“ erheblich zunehmen würde, was geringere wirtschaftliche Chancen und einen enormen Anstieg der Kraftstoffkosten zur Folge hätte. Der Anstieg des Kraftstoffverbrauchs der Unternehmen (größtenteils Dieselkraftstoff) würde sich in zusätzlichen CO2-Emissionen infolge der Leerfahrten von rund 88.500 Tonnen niederschlagen, was einem Anstieg der gesamten CO2-Emissionen aus dem internationalen Straßenverkehr in Bulgarien um 3% entspricht. Dies würde die gesamten Treibhausgasemissionen des Verkehrssektors in Bulgarien um etwa 1% erhöhen. “

In dem vorgeschlagenen Regelungsszenario ging die KMPG von einer „Kabotagedienstleistung in den ersten drei Tagen nach dem Entladen und einem anschließenden Cross-Trade-Betrieb“ aus. Der derzeitige neue Konsens zwischen dem Verkehrsausschuss des EU-Parlaments und dem Rat (der kürzlich von der Kommission scharf kritisiert wurde) ist etwas anders gestaltet. Er sieht immer noch drei Kabotageleistungen innerhalb von sieben Tagen nach dem Entladen vor. Gleichzeitig berücksichtigte KMPG nicht die neue „Return-to-Base“-Regel – eine neuartige bürokratische Innovation, gemäß der ausländische LKW alle 8 Wochen zu ihrer Basis zurückkehren müssten.

Nehmen wir also einfach an, dass die Zahlen von KPMG für den bulgarischen Transportsektor im Großen und Ganzen die Änderungen bei Kabotage sowie die Cross-Trade-Leistungen von Speditionen, die in anderen EU-Ländern ansässig sind, widerspiegeln. Eurostat-Daten zufolge kann Speditionen bzw. LKW-Fahrern aus Bulgarien 2018 nur ein Anteil von 2,2% am EU-weiten „leeren internationalen Güterverkehr“ zugeschrieben werden (gemessen in Millionen Fahrzeugkilometern), was einer jährlichen Zunahme der CO2-Emissionen um 88.500 Tonnen entspricht. Diese Zahlen können auf der Grundlage von Eurostat-Statistiken über den gesamten grenzüberschreitenden Leergutverkehr in der EU hochgerechnet werden.

Entsprechend belaufen sich die zusätzlichen CO2-Emissionen für die gesamte EU (einschließlich des Vereinigten Königreichs), die sich aus den vorgeschlagenen Änderungen der Kabotagevorschriften ergeben (gemäß Tabelle 1 ) auf rund 4 Millionen Tonnen – was laut Statistiken für den deutschen Energiesektor den jährlichen CO2-Emissionen von 3 bis 4 mittelgroßen Steinkohlekraftwerken entspricht.

 

Tabelle 1: Zusätzliche CO2-Emissionen infolge verschärfter Kabotagevorschriften inkl. Wartezeiten

Land

Leerer internationaler Güterverkehr in% des gesamten leeren Güterverkehrs in der EU

Zusätzliche CO2-Emissionen durch verschärfte Kabotagevorschriften inkl. Wartezeiten

Europäische Union – 28 Länder – Gesamtmillionen Fahrzeugkilometer
(Daten von 2018)

5,799 3,947,781

Belgien

1.4%

56,504

Bulgarien

2.2%

88,500

Tschechien

2.9%

115,050

Dänemark

Deutschland

9.7%

382,592

Estland

0.4%

17,019

Irland

0.6%

22,465

Griechenland

Spanien

8.4%

330,854

Frankreich

2.7%

107,562

Kroatien

1.6%

64,673

Italien

Zypern

Lettland

2.4%

93,946

Litauen

6.3%

248,481

Luxemburg

Ungarn

3.2%

124,581

Niederlande

11.6%

457,477

Österreich

2.5%

100,073

Polen

30.3%

1,197,473

Portugal

1.6%

62,631

Rumänien

Slowenien

3.3%

131,388

Slowakei

4.6%

182,446

Finnland

Schweden

0.4%

17,019

Vereinigtes Königreich

2.3%

89,862

Liechtenstein

Norwegen

0.6%

25,188

Schweiz

0.8%

31,996

Quelle: Eurostat and KPMG calculations

Eurostat-Daten zeigen auch, dass Deutschland das Land ist, in dem 2017 fast die Hälfte der EU-Kabotagefahrten stattfinden (Lieferungen innerhalb Deutschlands und Transitverkehr). Daher würde der größte Teil des zusätzlichen CO2 auf deutschen Straßen ausgestoßen werden. Dies liegt vor allem an der Rolle Deutschlands als Transitland, das osteuropäische Spediteure mit westeuropäischen Märkten „verbindet“. Wie in Abbildung 1 dargestellt, ist Deutschland das Land, in dem der größte Teil der Kabotage durch polnische, rumänische und bulgarische Spediteure bzw. Fahrer stattfindet.

Abbildung 1: Die fünf wichtigsten Kabotageländer und ihre Hauptländer, in denen die Kabotage im Jahr 2017 stattgefunden hat.

 

Quelle: Eurostat and KPMG calculations. Gemessen in Millionen Tonnenkilometern

Schlussfolgerung und Empfehlungen für die Politik

Die vom Binnenmarkt tatsächlich geforderte Dienstleistungsfreiheit ist in vielen Bereichen nicht mehr als eine leere Phrase. Die gilt insbesondere auch für den grenzüberschreitenden LKW-Güterverkehr. Die aktuellen Kabotageverordnungen (von 2009) diskriminieren ausdrücklich EU-Bürger, die aus bestimmten EU-Ländern stammen (faktische Diskriminierung aufgrund von Nationalität). Nur die vollständige Abschaffung der Beschränkungen von Kabotagefahrten innerhalb der EU kann mit den Binnenmarkzielen der EU vereinbar sein – denn nur diese würde auf Nichtdiskriminierung hinauslaufen und Diskriminierung in Zukunft verhindern.

Die bestehenden Kabotagevorschriften verursachen bereits tausende leere Auflieger auf europäischen Straßen. Die bestehenden Kabotagevorschriften sind schon heute höchst umweltschädlich. Die kürzlich vorgeschlagenen Änderungen würden die derzeitige Situation weiter verschlechtern. Sie würden zu einem deutlichen Anstieg der CO2-Emissionen in Deutschland und in anderen EU-Mitgliedsstaaten führen. Nur die vollständige Abschaffung der Kabotagebeschränkungen für Speditionen und Fahrer würde mit der Klima- und Umweltpolitik der EU vereinbar sein. Die Beibehaltung von Kabotagebschränkungen würde die Glaubwürdigkeit der EU als Gesetzgeber mit Blick auf die offiziellen Binnenmarkt- und umweltpolitischen Ziele untergraben.

Foto: Shutterstock

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