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Wie viele Lkw musste Waberer’s lahmlegen und was plant der Interimsgeschäftsführer? Barna Erdély im Exklusiv-Interview für Trans.INFO

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Barna Erdélyi übernahm das Amt des Geschäftsführers von Waberer’s, als die Pandemie in Ungarn ausbrach. Dies ist ein weiterer Wechsel in relativ kurzer Zeit an der Spitze des Unternehmens, dessen Aktienkurs an der ungarischen Börse seit 2017 rückläufig ist. Die Pandemie hätte nicht zu einem schlechteren Zeitpunkt kommen können. Die Grenzen in Europa wurden geschlossen, die Fabriken verriegelt, und Wabi (dieser Kosename wird für das Unternehmen in Ungarn genutzt) erhielt zusätzlich einen eigenen militärischen Führungsstab von den Behörden, die den Kampf gegen das Coronavirus in Ungarn beaufsichtigen. Wir haben den neuen Geschäftsführer über die Hilfe seitens des ungarischen Staates, über die internationale Wirtschaftslage aufgrund von COVID-19 und über die Finanzen des Unternehmens befragt.

Zsofia Polos, Trans.INFO: Seit 2017, als das Unternehmen an die Börse gebracht wurde, verschlechtern sich die Indizes von Waberer’s, wenn wir den Wert der Aktien betrachten. Was ist der Grund dafür?

Barna Erdélyi, Geschäftsführer von Waberer’s: Abgesehen vom internationalen Transport verbessern sich die Indizes unserer anderen Segmente (regionale Kontraktlogistik, Versicherungen), und wir können in diesen Bereichen ernsthafte Ergebnisse vorweisen. Eines der bedeutendsten dieser Ergebnisse ist, dass wir im vergangenen Jahr eine von Audi Hungaria durchgeführte Ausschreibung für die Bereitstellung verschiedener Logistikdienstleistungen am Produktionsstandort eines der größten Fahrzeugmotorenhersteller der Welt gewonnen haben.

Im internationalen Transportsegment hat Waberer’s aufgrund von Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt und in der Kostenstruktur in den letzten zwei Jahren viel von seinem Wettbewerbsvorteil eingebüßt. Höhere Kosten und damit höhere Preise haben die Nachfrage nach den Dienstleistungen des Unternehmens verringert, und damit hat sich der Einsatz von Lastwagen verschlechtert. Hinzu kamen externe Bedingungen (die Unsicherheit im Zusammenhang mit Brexit, die Verlangsamung der europäischen Wirtschaft usw.). Das Unternehmen startete ein umfangreiches Transformationsprogramm, dessen wichtigstes Element die Verringerung der Zahl von Lastkraftwagen war, um die Nutzung der Ressourcen zu verbessern. Auch Planungs-, Handels- und Betriebsprozesse wurden geändert. Im Segment der regionalen Kontraktlogistik wurde die Zusammensetzung der Kunden verändert, so dass sich die Margen des gesamten Geschäfts verbessert haben, während gleichzeitig die Chancen der wachsenden Binnennachfrage genutzt wurden. Seit dem vierten Quartal 2019 waren die positiven Auswirkungen des Transformationsprogramms bereits sichtbar, aber die Pandemiesituation wirkt sich nun deutlich negativ auf den gesamten Verkehrsmarkt und damit auch auf Waberer’s aus.

Vor über einem Jahr änderte sich auch Waberer’s Kopf. Ferenc Lajko wurde durch Robert Ziegler ersetzt. Was haben Sie von Ziegler erwartet und wie ist er den Erwartungen entgegengekommen?

Robert Ziegler leitete das Unternehmen seit 2019. Er verließ die Position des Geschäftsführers am 23. März dieses Jahres und trat auch als Mitglied des Unternehmensvorstands zurück. Im vergangenen Jahr beteiligte er sich an der Entwicklung des Transformationsplans des Unternehmens, dessen Umsetzung unter der Aufsicht des derzeitigen Managements voranschreitet.

Sie sind derzeit der Interim-Geschäftsführer. Was ist die Bedeutung dieser Position? Können Sie als „Interim-Chef” etwas auf lange Sicht planen?

Ich bin seit sieben Jahren im Unternehmen, und während dieser Zeit musste ich mich verschiedenen Herausforderungen stellen, dank denen ich verschiedene interessante Erfahrungen gesammelt habe und bei denen ich gelernt habe, mich an unterschiedliche Situationen anzupassen. Ich bin der Meinung, dass diese Erfahrung und Anpassungsfähigkeit genau das ist, was das Unternehmen braucht. Wenn ich nicht an das Unternehmen glauben würde, würde ich die Aufgabe nicht annehmen. Das Auftreten der Pandemie hat viele Dinge unsicher gemacht. Die bisherigen Verfahren wurden in Frage gestellt, was nicht bedeutet, dass wir die langfristige Planung eingestellt haben. Aus der Perspektive der Betriebstätigkeit ist es notwendig, eine genau definierbare Zukunftsvision zu haben.

Was sind Ihre Pläne?

Zunächst einmal, das Unternehmen durch die Pandemieperiode zu führen, was aufgrund der Reduzierung des Transportmarktes eine ziemliche Herausforderung darstellt. In dieser Zeit müssen wir jedoch die Voraussetzungen dafür schaffen, dass wir nach der Pandemie mit voller Kraft weiterarbeiten und den früher begonnenen Transformationsprozess abschließen können. Und das ist erforderlich, damit Waberer’s wieder ein erfolgreiches und profitables Unternehmen wird.

Nach dem Abschluss für das vierte Quartal 2019 kündigten Sie an, dass der Abbau der Flotte fortgesetzt wird. Wie lange wird dies dauern?

Wie wir im Finanzbericht für das vierte Quartal 2019 erklärten, hängt die Größe der Flotte von den Marktbedingungen ab. Wir werden an der Umwandlung des Unternehmens arbeiten, bis das Unternehmen rentabel wird. Natürlich wird die Coronavirus-Pandemie jetzt viele Dinge beeinflussen. Wir müssen uns an die Übergangssituation anpassen, was die Flottengröße und die Arbeitskräfte betrifft. Fahrzeuge, die jetzt nicht genutzt werden, da aufgrund der Pandemie die Nachfrage reduziert wurde, werden im Falle einer günstigen Marktveränderung wieder in Betrieb gesetzt.

Haben Sie einen speziellen Plan im Zusammenhang mit der Firma Link oder erwägen Sie vielleicht ihren Verkauf?

In Übereinstimmung mit der Erklärung vom 28. Februar 2020 haben wir eine strategische Überprüfung eines oder mehrerer Geschäftsbereiche eingeleitet. Wir versuchen, unseren FTL-Bereich zu stärken und konzentrieren uns auf die weitere Verbesserung unserer Bilanz. Zu den Interessenbereichen, die von der Revision erfasst werden, gehören auch das Segment der regionalen Kontraktlogistik (RCL) und die Versicherungswirtschaft (ohne die Lebensversicherungen in Ungarn (WHB)), die bereits seit September 2019 überarbeitet wird. Es ist jedoch damit zu rechnen, dass die Schlussfolgerungen und Konsequenzen dieser Revision – auch aufgrund der durch die Pandemie entstandenen Situation – erst später kommen werden.

Welche konkrete Unterstützung kann Waberer’s von der ungarischen Regierung erwarten? Wann und in welcher Form wird sie verfügbar sein, wofür wird sie verwendet?

 Waberer’s steht auf der Liste der Schlüsselunternehmen des Landes, was bedeutet, dass der militärische Führungsstab uns bei unserer Arbeit zur Gewährleistung von Sicherheit, kontinuierlichem Betrieb und effektiver Kommunikation mit der Regierung unterstützt. Vor allem zählen wir auf die Hilfe des militärischen Führungsstabs bei der Absicherung von vorübergehend angehaltenen Fahrzeugen und medizinischen Hilfsgütern, die auf ihre Lieferung warten, sowie bei der schnellen und effektiven Lösung von den Problemen an den Grenzen.

Darüber hinaus sind die Aussetzung der Kredit- und Leasingzahlungen und die Einführung der Unterstützung bei der Gehaltszahlung eine große Hilfe für das Unternehmen.

Wie wurde Waberer’s Tagesgeschäft durch die Kaufpanik, die durch das Auftreten des Coronavirus ausgelöst wurde, und die Bereitstellung von Schutzmaßnahmen beeinträchtigt?

In letzter Zeit haben wir die Erfahrung gemacht, dass die Pandemie verschiedene Segmente unseres Unternehmens unterschiedlich betrifft, und aus diesem Grund unterscheiden sich die täglichen Abläufe von einem Bereich zum anderen. Abgesehen von den Schwankungen, die durch den Kaufrausch verursacht wurde, ist der FMCG-Sektor kurzfristig weniger von der Coronavirus-Krise betroffen. Im Gegensatz dazu ist der Automobilsektor vollständig zum Stillstand gekommen, und wir erwarten ein sehr langsames Wachstum und kurz- und mittelfristig einen deutlichen Rückgang im Vergleich zur Zeit vor der Pandemie. Darüber hinaus muss ich zugeben, dass wir sehr stolz darauf sind, dass Waberer’s als strategisches Unternehmen während des staatlichen Kampfes gegen COVID-19 Lager- und Verteilungsfunktionen übernommen hat.

Das zwingt uns, unsere Aufgaben mit großer Flexibilität zu erfüllen. Wir haben uns den Marktanforderungen angepasst. Beispielsweise gab es bereits vor der Pandemie eine Umschichtung von Fahrzeugen und Arbeitskräften zwischen der internationalen Flotte und dem Logistiksegment.

Wie viele der Lastwagen des Unternehmens sind derzeit ungenutzt und wie viele Mitarbeiter sind vorübergehend arbeitslos? Wie viele Fahrer mussten schliesslich entlassen werden?

 Nach dem Ausbruch der Pandemie konnten wir schnell auf Veränderungen der Marktanforderungen reagieren, so dass wir 30 % der Flotte vorübergehend stillgelegt haben. Als verantwortungsbewusstes Unternehmen haben wir dazu beigetragen, unter diesen Bedingungen eine optimale Flottengröße zu schaffen. Sie ist nach wie vor signifikant und umfasst 2400 Fahrzeuge. Unter Berücksichtigung der Schwierigkeiten, die durch die aktuelle Situation verursacht werden (geschlossene Grenzen, Wartezeiten), versuchen wir den Anforderungen unserer Kunden in maximalem Umfang gerecht zu werden. Wir haben einige ausländische Fahrer in unbezahlten Urlaub geschickt, damit wir vor der Schließung der Grenzen dafür sorgen konnten, dass jeder von ihnen auf organisierte Weise nach Hause zu seinen Verwandten gelangen konnte.

Wir haben die Arbeitszeiten und Löhne einiger unserer Mitarbeiter an die aktuelle Situation angepasst, und wir haben mit einigen von ihnen vereinbart, dass sie unbezahlten Urlaub nehmen. In der kommenden Periode werden wir diese Entscheidungen je nach Situation überprüfen.

An welchem Notfallszenario arbeiten Sie derzeit?

 In dieser Situation ist die Flexibilität am wichtigsten, d.h. wie schnell wir in der Lage sind, an die Marktanforderungen zu reagieren. Dies traf zu Beginn der Pandemieperiode zu und wird auch nach der Wiederherstellung des normalen Betriebs weiterhin gelten. Wir werden unser Bestes tun, damit wir den Anforderungen unserer Kunden so gut wie möglich gerecht werden und ihnen trotz der Schwierigkeiten den richtigen Service bieten können!

Wie genau sieht die Arbeit mit Hilfe des militärischen Führungsstabs aus?

Der militärische Führungsstab hat die Aufgabe, die Voraussetzungen für physische Sicherheit, Einsatzbereitschaft und die Fähigkeit zu schaffen, effektiv mit der Regierung zu kommunizieren. Die intensivste Arbeit wird derzeit im Logistiksegment geleistet, das die Aufgaben des Schutzes und der Lieferung medizinischer Güter übernommen hat. Um dies zu organisieren und die Sicherheit aufrechtzuerhalten, erhalten wir operative Unterstützung durch den militärischen Führungsstab.

Welche Länder und Gebiete im internationalen Verkehr sind am stärksten vom Coronavirus betroffen? War das Unternehmen in der Lage, sich darauf vorzubereiten?

 Die Produktion wurde zum größten Teil von Automobil- und Metallurgieunternehmen und ihren Zulieferern eingestellt. Zu Beginn war die Situation in Italien natürlich am ernstesten, und die Grenzschließungen behinderten die Kontinuität der Transporte. Nun sehen wir aber in den letzten Wochen eine Verbesserung der Trends und eine Erholung. Mehrere Produktionsfirmen haben – wenn auch mit reduziertem Umsatz – die Produktion wieder aufgenommen, und es gibt keine außergewöhnlichen Warteschlangen mehr an den Grenzen.

Natürlich war dies für alle Unternehmen eine unerwartete Situation, aber wir denken, dass wir sehr schnell reagiert haben, und diese schnelle Reaktion war für uns entscheidend. Wir trafen schnelle Entscheidungen im Bereich der reduzierten Marktnachfrage hinsichtlich der Flotte und  der Arbeitskräfte. Wir sind davon ausgegangen, dass es sich nur um eine vorübergehende Situation handelt, durch die wir uns auf eine geringere Nachfrage einstellen werden, und in einer Phase der Erholung sind wir bereit, vorübergehend angehaltene Fahrzeuge wieder in Betrieb zu setzen und Fahrer zu beschäftigen.

Werden noch Transporte nach Italien durchgeführt?

 Der Transport nach Italien ist natürlich immer noch im Gange, und im Vergleich zum enormen Rückgang zu Beginn der Pandemie scheint der Verkehr in den letzten Wochen zugenommen zu haben. Ich möchte jedoch darauf hinweisen, dass Transporte nach Italien schon vor dem Coronavirus nur wenige Prozent unseres Unternehmensportfolios ausmachten.

Was denken Sie über die erwarteten Auswirkungen des Mobilitätspakets, das kurz vor seinem Inkrafttreten steht? Werden die darin enthaltenen Vorschriften neue Hindernisse für den internationalen Verkehr schaffen?

Einige Elemente des Mobilitätspakets erfordern erhebliche Anpassungen seitens der am Fernverkehr interessierten Unternehmen und damit auch von Waberer’s. Zwei Elemente der Verordnung sind kritisch. Zum einen, dass Lastkraftwagen alle 4 Wochen in das Land zurückkehren müssen, in dem das Unternehmen seinen Standort hat, und zum anderen dass der Lkw-Fahrer mindestens 45 Stunden pro Woche außerhalb der Fahrerkabine verbringen muss. Dies würde zu häufigeren Lkw-Fahrten und Heimfahrten der Fahrer führen. Letzteres würde zusätzliche Unterbringungskosten nach sich ziehen, was den Transport innerhalb Europas verteuern und in einigen Fällen unmöglich machen würde.

Eine Untersuchung der Auswirkungen dieser Vorschriften und ihrer Integration in unser Geschäftsmodell ist im Gange. Wir hoffen jedoch weiterhin auf eine mögliche Änderung, da die erstgenannte Regelung letztlich der bisherigen CO2-Quotenregelung der EU zuwiderläuft. Was die zweite Bestimmung betrifft, so gibt es keine ausreichend entwickelte Infrastruktur, um den Fahrern Übernachtungsmöglichkeiten zu bieten.

Seit der Veröffentlichung des ersten Entwurfs des Mobilitätspakets war es Waberer’s Ziel, die europäischen Entscheidungsträger darauf aufmerksam zu machen, dass diese Elemente der vorgeschlagenen Regelungen unvernünftig sind. Und selbst unter großen Opfern dienen sie nicht den Zielen, die Ausgangspunkt des Pakets waren, d.h. die Sicherheit und die Arbeitsbedingungen der Lkw-Fahrer zu verbessern.

Sollte das Paket jedoch angenommen werden, wird Waberer’s sofort mit der Anpassung beginnen, um die neuen Bestimmungen anzuwenden, sobald sie in Kraft treten. Es ist ebenso wichtig, dass dieser Übergang reibungslos verläuft, insbesondere für die am stärksten Betroffenen, d.h. für Kunden und Mitarbeiter des Unternehmens.

Foto: Waberer’s

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