Irrtum Nummer 1: Alle von den Kundinnen und Kunden zurückgesendeten Waren werden von den Onlinehändlern vernichtet.
Alien Mulyk: Dies ist ein weitverbreiteter Irrglaube. Denn die Entsorgung von Waren ist die absolute Ausnahme. Der Anteil der Waren, der entsorgt werden muss, liegt im Promillebereich, wie die Untersuchung „Hintergründe der Retourenentsorgung – Teil 1“ der Forschungsgruppe Retouren an der Universität Bamberg durch Dr. Asdecker bestätigt. Denn weder aus ökologischer noch ökonomischer Sicht haben Händler ein Interesse daran, noch verkaufsfähige Ware einfach so zu vernichten. Wenn Retouren doch entsorgt werden müssen, geschieht das immer aus unumgänglichen Gründen, beispielsweise weil die Ware nicht mehr verkehrsfähig und eine Wiederaufbereitung technisch nicht mehr möglich ist. Dies geschieht im Übrigen nicht nur im Onlinehandel, sondern entlang der gesamten Lieferkette. So sieht auch die Forschungsgruppe Retouren viele Hinweise darauf, dass die Entsorgung unverkäuflicher Überbestände eine weitaus höhere Relevanz haben könnte als die Entsorgung von Retouren selbst.
Irrtum Nummer 2: Die KundInnen schicken immer mehr zurück.
Alien Mulyk: Gerade während der Pandemie wurden viele Produkte verstärkt online gekauft, die Retourenquote hat jedoch abgenommen. Das hängt zum einen damit zusammen, dass die Kundinnen und Kunden gezielter bestellt haben und auch vor allem bevorzugt Produkte gekauft haben, die „traditionell“ eher niedrigere Retourenquoten aufweisen wie beispielsweise die Ausstattung fürs Homeoffice. Dies zeigt eine Untersuchung der Otto Group vom 31. Juli 2020 ebenso wie eine Erhebung der Universität Bamberg, die im Dezember 2020 veröffentlicht wurde.
Irrtum Nummer 3: Retourengebühren führen zu mehr Nachhaltigkeit.
Alien Mulyk: Zunächst einmal ist hier zwischen den Begriffen Gebühren und Kosten zu unterscheiden. Laut Gesetz darf man als Händler den Kundinnen und Kunden die Kosten für die Rücksendung auferlegen. Die Umsetzung einer Gebühr ist wesentlich schwieriger. Denn eine zusätzliche Gebühr würde die Kundinnen und Kunden für die Nutzung eines ihnen von Gesetzgeber zugestandenen Rechts mit einem ggf. zusätzlichen, pauschalen Betrag bestrafen und würde außerdem dem EU-Recht entgegenstehen.
Würde eine Gebühr nun zu mehr Nachhaltigkeit führen? Nun – nicht zwangsläufig. Angenommen eine solche Gebühr würde die Kundinnen und Kunden tatsächlich davon abhalten, die Ware zurückzuschicken, was würde dann mit der Ware passieren? Vermutlich würde sie ungenutzt bei den Kundinnen und Kunden verbleiben oder gar von ihm selbst entsorgt werden. Wird Ware jedoch an den Händler zurückgesendet, kann sie nach Überprüfung wieder in den Warenkreislauf gelangen und weiterverkauft werden.
Irrtum Nummer 4: E-Commerce-Unternehmen befeuern die Retourensituation und die Kundinnen und Kunden werden von den Händlern nicht genügend unterstützt, ihre Retourenquoten niedrig zu halten.
Alien Mulyk: Für Händler stellen Retouren einen großen Kostenfaktor dar. Laut Berechnungen des EHI liegt der Preis pro retourniertem Artikel im Schnitt bei 10 Euro (was jedoch je nach Produktkategorie stark variieren kann). Händler haben somit kein Interesse daran, dass Artikel zurückgeschickt werden. Deshalb unternehmen Händler bereits große Anstrengungen, um mit präzisen Produktbeschreibungen, Abbildungen und Kundenrezensionen unerwünschte Retouren zu vermeiden. Zu diesem Schluss kommt auch die Forschungsgruppe Retouren. Darüber hinaus kommen auch – gerade im retourenanfälligen Produktsegment Fashion – immer mehr neue Technologien, beispielsweise für eine bessere Online-Größenberatung, zum Einsatz.
Irrtum Nummer 5: Die Senkung der Retourenquote ist in erster Linie Aufgabe der E-Commerce-Unternehmen.
Alien Mulyk: Nein. Die erfolgreiche Senkung des Retourenaufkommens kann nur im Zusammenspiel zwischen händlerseitigen Maßnahmen und den KundInnen gelingen. Ohne ein entsprechendes kundenseitiges Bewusstsein für die Auswirkungen ihres eigenen Bestell- bzw. Rücksendeverhaltens und die Bereitschaft die vom Händler angebotene Beratungsunterstützung wahrzunehmen und gegebenenfalls Kompromisse einzugehen, können die Maßnahmen keine Wirkung erzielen. Denn ohne die Mithilfe der Kundinnen und Kunden, nutzen die besten Maßnahmen nichts.