Natalia Jakubowska, Trans.iNFO:Die Industrie in Deutschland tut sich mit dem autonomen Fahren weiterhin schwer. In den USA und China ist man bereits viel weiter. Wo hapert es?
Hendrik Kramer, Founder und CEO von Fernride: Deutsche Unternehmen arbeiten durchaus und sehr vielversprechend an autonomen Systemen. Jeder Automobil- und LKW Hersteller und zahlreiche High-Tech Unternehmen -insbesondere im Tech-Cluster um München- arbeiten sehr erfolgreich an technischen Ansätzen für autonome Systeme. Deutschland hat darüber hinaus bereits gesetzliche Rahmenbedingungen zum autonomen Fahren geschaffen, die weltweit einzigartig sind und die Umsetzung von autonomen Systemen fördern.
Fernride als Projektpartner im Projekt Atlas-L4 (www.atlas-l4.com) wird gemeinsam mit MAN, Knorr-Bremse, Leoni, Bosch, TÜV und weiteren Partnern bereits 2025 mit LKWs im Level 4 teil-autonom unterwegs sein.
In den USA hat man früher angefangen und sehr viele Silicon-Valley Dollars in die technologischen Ideen gesteckt, in China wurde politisch bereits eine sehr vielversprechende Infrastruktur wie zum Beispiel vernetzte Städte und Verkehrssysteme in Pilotprojekten realisiert.
Aber das Misstrauen der Öffentlichkeit gegenüber dieser Technik ist hierzulande weiterhin groß. Wie kann man eventuelle Vorbehalte nehmen?
Eine gesunde Skepsis gegenüber neuen Technologien ist normal und bekannt. Vor 200 Jahren haben sich die Menschen vor fauchenden Dampfrössern gefürchtet – jetzt fährt jeder gerne mit der Bahn…
Fernride möchte den Menschen in einer zunehmend autonomen Welt nicht ersetzen, sondern durch unsere skalierbare Technologie-Plattform dem Menschen die volle (remote-control) Kontrolle über hochautomatisierte Maschinen geben. Mit dieser graduellen Einführung von autonomen Systemen haben wir einen einzigartigen Ansatz und werden genau diese gesunde Skepsis überwinden und die Menschen mitnehmen können.
Gefährdet autonomes Fahren die Zukunft der LKW-Fahrer? Wird es den LKW-Fahrer im klassischen Sinne als Beruf in Zukunft nicht mehr geben?
Nein, definitiv nicht. Bereits heute fehlen in Deutschland alleine 80.000 Berufskraftfahrer, somit sind ganze Logistik-Ketten und der Warenfluss bereits durch den Fahrermangel akut gefährdet. Die Situation wird sich in Zukunft noch weiter zuspitzen.
Fernrides Ansatz ersetzt den Fahrer nicht, sondern bietet ihm eine zukunftssichere berufliche Perspektive in einem High-Tech Umfeld als Flottenmanager vom “Home-Office für Trucker” an.
Wo ist die Technik dem Menschen überlegen und wo ist es andersherum?
Standardabläufe können heute bereits automatisiert abgebildet werden. Denken Sie an automatisierte Regalsysteme in Warenlagern. Fernride arbeitet daran auch außerhalb von Warenhäusern, zum Beispiel in geschlossenen Betriebsgeländen oder Häfen, Standardabläufe zu automatisieren; damit kann die Effizienz erhöht werden, weil Maschinen 24 Stunden, 7 Tage die Woche arbeiten können und ein “Flotten-Manager” mehrere automatisierte LKW überwachen kann.
Wenn es um komplexere Szenarien geht, also die Bewertung von Fahr- und Umfeld-Situationen, spezifische Manöver oder das Fahren mit anderen Verkehrsteilnehmern auf engem Raum, ist heute ein erfahrener LKW-Kollege einer autonomen Maschine noch überlegen. Dennoch helfen neue Sensorsysteme und Kameras dem Fahrer auch heute schon sein Sichtfeld zu vergrößern und erhöhen zum Beispiel die Sicherheit in Terminals.
Sie wollen das fahrerlose Fahren von Fahrzeugen ermöglichen. Hierzu wird die Technologie Teleoperation genutzt. Was bedeutet Teleoperation aber überhaupt?
Unter Teleoperation subsumiert man die Fernsteuerung von Maschinen aus der Ferne mit Hilfe von Live-Videostreams. Dabei werden Sensorsignale des Fahrzeuges in einem Fahrzeug-Computer gesammelt und per LTE oder 5G zu einem Leitstand übertragen. Hier kann ein Teleoperator diese Signale, zum Beispiel Kamerabilder vom Fahrzeugumfeld, interpretieren und entsprechend über Lenkrad, Bremse etc. reagieren. Die Steuerbefehle werden ebenfalls zurückübertragen in das Fahrzeug, das dann eben lenkt oder bremst.
Die Übertragung von diesen Signalen erfolgt in Echtzeit, also weniger als 100 Ms.Zum Vergleich: ein Wimpernschlag dauert ca. 250 Ms.Somit kann ein Teleoperator an seinem einem LKW-Cockpit gleichenden Office-Platz einen LKW kontrollieren.
Sie behaupten auch, dass der breite Einsatz von Teleoperation Fahrermangel lindern könnte. Auf welche Weise?
Erstmal wird der harte und teilweise auch gefährliche Beruf des Kraftfahrers deutlich attraktiver: Man arbeitet im Team, der Arbeitsplatz ist sicher, man hat geregelte Arbeitszeiten und ist am Abend daheim bei der Familie. So spricht man nicht nur LKW-Fahrer, sondern auch eine technisch interessierte junge Zielgruppe an und kann sie für diesen Job begeistern.
Zweitens kann ein Teleoperator mehrere Maschinen überwachen, zum Beispiel wenn ein Fahrzeug am Ladetor steht und beladen wird, kann er weitere Fahrzeuge fernsteuern. Somit kann ein Teleoperator bis zu fünf teilautomatisierte Fahrzeuge steuern und überwachen und somit die Produktivität signifikant erhöhen.
Der LKW-Fahrer Job wird somit zukunftsfähig. Mit fortschreitender Automatisierung werden manuelle Tätigkeiten vom Bildschirm aus erledigt; so auch die des Teleoperators, dem sich neue und höhere Qualifikationen und auch Karriereperspektiven eröffnen.
Teleoperator ist ein relativ neuer Beruf. Welche Voraussetzungen muss man erfüllen, um einen Ausbildungsplatz zu bekommen? Wie sieht die Ausbildung selbst aus? Und vor allem, wie hoch sind die Kosten?
Generell gibt es noch keine gesetzlichen Rahmenbedingungen, dennoch arbeiten wir gemeinsam mit Partnern daran, einen “Teleoperator -Führerschein” mit Zertifikat aufzubauen.
Heute bieten wir unseren Mitarbeitern ein ausgiebiges, mehrstufiges Trainingsprogramm an, um ein Fahrzeug jederzeit sicher führen zu können. Bei uns arbeitet heute immer ein Team von Sicherheitsfahrer auf dem Fahrzeug und dem Teleoperator am Bildschirmarbeitsplatz zusammen. Diese Ausbildung wird von uns finanziert und zertifiziert.
Stand heute konzentrieren wir uns auf Fahrer, die einen CE Führerschein nachweisen können.
Zur Zeit fokussieren Sie sich nur auf Hof-Logistik. Dabei möchte kaum noch jemand Fernfahrer werden. Ist Teleoperation auch auf Langstrecken anwendbar?
Die Hoflogistik ermöglicht uns sehr schnell und in einem überschaubaren Umfeld unsere Technik anzuwenden, zu verfeinern und gemeinsam bei unseren Kunden gewinnbringend einzusetzen. Wir fahren bereits auf Werksgeländen und versorgen große Produktionsnetzwerke.
Mit dem Projekt ATLAS-L4 werden wir auch die Langstrecke erforschen, denn auch dort bietet Teleoperation und unsere skalierbare Plattform die Möglichkeit , hochautomatisierte Fahrzeuge zu überwachen und fernzusteuern.
Die Gesetzgebung schreibt im übrigen vor, dass ein Fahrzeugführer ein autonomes System überwachen muss, genau deshalb wird Teleoperation auch auf Langstrecke auf lange Sicht sinnvoll und vorgeschrieben sein, denn in Edge-Cases im sehr komplexen, realen Verkehr wird eine autonome Maschine immer Unterstützung durch einen Menschen brauchen.
Korrigieren Sie mich, wenn ich falsch liege, aber Teleoperation ist sicherlich eine sehr kostspielige Technologie. Zu Ihren aktuellen Kunden gehören vor allem renommierte und große Unternehmen. Ist Teleoperation nichts für KMU?
Innovationen sind immer eine Investition, das ist richtig. Dennoch haben wir durch die signifikant gesteigerte Produktivität einen extrem schnellen ROI, sodass sich die Investition in unsere zukunftsfähige Technik schnell rechnet.
Die Entwicklung hin zu mehr Nachhaltigkeit – wir fahren ja mit elektrisch betriebenen LKW -und mehr Automatisierung ist ein Trend, dem sich niemand entziehen kann. Wer heute investiert, hat morgen die Nase vorne.
Mit dem autonomen Fahren gehen derzeit noch viele handlungsrechtliche Probleme einher. Sollte es zum Beispiel zu einem Unfall auf dem Betriebsgelände kommen, wer haftet dann für diesen? Der Teleoperator?
Grundsätzlich ist heute ein Großteil der Unfälle in der Logistik auf menschliche Fehler zurückzuführen, wie zum Beispiel fehlende Aufmerksamkeit und Ermüdung. Durch das Zusammenspiel von Mensch und Maschine in unserer Lösung kann das grundlegend verbessert werden, da die menschlichen “Schwächen” durch die Stärken von Automatisierung ausgeglichen werden können.
Die Haftungsfragen sind komplex und im Einzelfall zu überprüfen, jedoch klar geregelt. Der Teleoperator ist im Sinne der Haftung ein Fahrer, der während der Teleoperation die volle Kontrolle über das Fahrzeug hat und sich dieser Tatsache sehr wohl bewusst ist durch unsere Ausbildung.
Generell steht bei uns die Sicherheit unabdingbar an oberster Stelle, sodass alle Systeme ständig überwacht und mehrfach redundant abgesichert sind. Zusätzlich haben wir Safety-Standards und in der Pilotphase einen Sicherheits-Fahrer im Fahrzeug und entsprechende Qualifikationsmaßnahmen und Prozesse etabliert. Wer bei unseren Kunden teleoperieren darf, hat schon einen sehr hohen Sicherheitsstandard nachgewiesen. Durch diese Vorkehrungen sollen menschliche Fehler reduziert werden.
Ein weiteres relevantes Thema ist Cybersicherheit. Wie resilient ist das System von Fernride?
Selbstverständlich sind unsere Systeme sicher und erfüllen alle heute gültigen Standards an Cyber-Security und Data-Protection.
Eine letzte Frage: Wie wird die Zukunft des autonomen Fahrens aussehen?
Das wäre Spekulation: Vor fünf Jahren hat die Industrie von selbstfahrenden Autos in 2020 gesprochen. Heute wissen wir, die Technologie und die Verkehrsszenarien sind komplex und auch die heutigen Ansätze brauchen mindestens noch bis zum Ende dieser Dekade, um sichtbar und in relevanten Stückzahlen auf der Straße zu sein.
Für Fernride können wir sagen: Teleoperation im Zusammenspiel mit dem autonomen Fahren funktioniert bereits heute und kann die Vorteile von Automation für unsere Kunden nutzbar machen. Wir gehen hier schrittweise vor – erstmal teleoperiert fahren und dann mit Hilfe unserer skalierbaren Technologie sukzessive autonome Fahrfunktionen dazu schalten. Die Kunden haben den Vorteil sie führen die Automatisierung ganz reibungsarm und schnell ein.