Foto: Professor Dr. Oliver Holtemöller, stellvertretender Präsident und Leiter der Abteilung Makroökonomik Quelle:Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH)

Interview: Die Energiewende wird unnötig teuer implementiert in Deutschland

Ökonom Professor Dr. Oliver Holtemöller erklärt, warum man stärker den Marktkräften vertrauen muss.

Lesezeit 11 Min.

Natalia Jakubowska, Trans.iNFO: In welcher Konjunkturphase befindet sich Deutschland gerade ?

Professor Dr. Oliver Holtemöller, stellvertretender Präsident und Leiter der Abteilung Makroökonomik, Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH):Deutschland ist im Abschwung. Die wirtschaftliche Aktivität expandiert langsamer als das Produktionspotenzial, so dass der Auslastungsgrad sinkt. Und das definieren wir als Abschwung.

Ist Deutschland nun der kranke Mann Europas oder würden Sie nicht so weit gehen?

Nein, das würde ich nicht sagen. Die Situation ist jetzt anders als zu Beginn der Zweitausender, als diese Bezeichnung zum ersten Mal aufkam. Damals hatten wir große Probleme auf dem Arbeitsmarkt. Heute haben wir zwar wieder strukturelle Probleme, aber eher im Bereich der Industrie und der Energiewende. Ich würde Deutschland nicht  als den kranken Mann Europas bezeichnen.

Die Wirtschaftsleistung hat sich in den letzten drei Jahren sehr  rapide und signifikant verschlechtert. Aus welchen Versäumnissen der Vergangenheit resultiert das?

Der Begriff Versäumnisse impliziert eine Art von Schuldzuweisung. Wir hatten erst eine Pandemie und dann hatten wir einen großen Energiepreisschock. Beides sind erstmal Ereignisse, die in Deutschland niemand direkt zu verantworten hat. Die Frage ist, hätte man besser darauf reagieren können.  Hinterher ist man natürlich immer klüger. Insofern würde ich in diesem Kontext nicht von Versäumnissen sprechen. 

Wir haben große strukturelle Herausforderungen langfristiger Natur, für die es bislang keine vernünftigen Lösungen gibt. Das sind vor allem Probleme im Bereich Demografie, bei der demografiefesten Gestaltung der sozialen Sicherungssysteme und im Bereich Digitalisierung. Wenn man sich internationale Vergleichsberichte anschaut, dann ist Deutschland bei der Digitalisierung leider nicht  in der Spitzengruppe. Hinzu kommt die Energiewende.

Es herrscht  große Unsicherheit sowohl in der Bevölkerung als auch bei den Unternehmen, wie sich alles gestalten soll. Die  Wirtschaftspolitik hat auch große Unsicherheit geschürt durch Hickhack und einen Mangel an klaren Konzepten. In vielen Bereichen ist die mittelfristige bis langfristige Zielvorstellung nicht klar. Das beeinträchtigt auch Investitionsentscheidungen.

Und würden Sie sagen, dass der Sozialstaat zu ausgeprägt ist?

Bei der gegebenen demografischen Entwicklung ist die Beibehaltung des jetzigen Systems nicht nachhaltig, weil die Bevölkerung älter wird und die Erwerbsbevölkerung abnimmt. Das heißt, es werden mehr und mehr Beitragseinnahmen in den sozialen Sicherungssystemen fehlen. Gleichzeitig nehmen aber aufgrund der Alterung die Ausgaben in der Rentenversicherung zu. Das heißt, das System, das wir momentan haben,  ist nicht stabil. Das Problem kann man auf verschiedene Arten und Weisen lösen. Wenn man der Meinung ist, die Sozialleistungen seien nicht zu hoch, dann müssen in Zukunft die Beiträge stärker erhöht werden.Was davon jetzt die Mehrheit gerne möchte, das kann ich nicht sagen.

Demografie, Digitalisierung, Energiewende – das sind gewaltige Herausforderungen. Reichen einfache Strukturreformen aus, um aus der Krise zu kommen?

Wir brauchen einen fundamental anderen Ansatz,  in dem Sinne, dass man wieder stärker den Marktkräften vertrauen muss und marktwirtschaftliche Anpassungen zu guten Lösungen in vielen Bereichen führen. Die Politik in Deutschland, das betrifft nicht nur die aktuelle Regierung, sondern auch die  davor und auch die Regierungen in verschiedenen Bundesländern,  vertraut zu wenig  auf marktwirtschaftliche Anpassungsprozesse. Wir könnten bei der Dekarbonisierung durch einen höheren CO2- Preis und entsprechende Verhaltensanpassungen der Menschen die Emissionsreduktionsziele viel effizienter erreichen als mit den Detail-Eingriffen der Regierung. Die Energiewende wird unnötig teuer implementiert in Deutschland. Das führt zu Unzufriedenheit in der Gesellschaft.

Inwiefern kann man durch einen höheren CO2- Preis die Emissionsreduktionsziele schneller erreichen? Können Sie das präzisieren?

Eine Erhöhung des CO2-Preises würde dazu führen, dass die CO2-Emissionen  dort eingespart werden, wo das mit den geringsten Vermeidungskosten einhergeht. Stattdessen denkt die Regierung darüber nach, wer wann seine Heizung austauschen soll. Dieser  Ansatz ist ineffizient. Solche Entscheidungen sollte man den Leuten überlassen, aber dafür einen Preispfad  für Gas, Öl und andere fossile Energieträger beschließen. Dann werden die Leute, die einen hohen Verbrauch und alte Heizungen haben, von ganz alleine auf die Idee kommen, dass es aus ihrer eigenen Perspektive billiger wäre, die Heizung auszutauschen. Und das kann man jetzt auch auf alle Industriebereiche übertragen.

Die deutsche Regierung versucht stattdessen, mit einer Art Detailsteuerung die Bereiche zu identifizieren, in denen etwas getan werden muss und wann etwas getan werden muss. Das ist insofern ineffizient, als dass man dafür viel Bürokratie braucht. Diese kostet erstens Geld und zweitens ist es unwahrscheinlich, dass diese Bürokratie den effizienten Abbaupfad identifiziert.

Das deutsche Wirtschaftsmodell basiert auf einer weiterhin  dynamischen Industrie, ist weiterhin relativ außenhandelsorientiert und sehr abhängig von fossilen Energieträgern. Muss sich Deutschland jetzt komplett neu erfinden?

Ich mag den Begriff des Wirtschaftsmodells nicht so gerne. Jedes Unternehmen für sich ist sehr gut in der Lage, den eigenen Markt zu beurteilen und sich entsprechend vernünftig aufzustellen. Die Aufgabe der Politik ist es, dafür vernünftige Rahmenbedingungen zu schaffen. Die internationale Abhängigkeit ist  eine grundsätzliche Sache und ich würde davon abraten, auf die Vorteile der internationalen Arbeitsteilung verzichten zu wollen. Man kann Abhängigkeiten reduzieren, indem man diversifiziert und nicht alle Eier in einen Korb legt. Die Rohstoffabhängigkeiten von China sind ein Paradebeispiel dafür. Viel diskutiert ist auch das Thema der Halbleiterindustrie.Es wird nicht gelingen, Autarkie herzustellen, so dass wir alles, was wir in Deutschland konsumieren wollen, selber produzieren. Ein solche Vorgehensweise würde den Wohlstand dramatisch verschlechtern. Es ist viel aussichtsreicher, dazu beizutragen, dass die internationale Arbeitsteilung weiterhin gut funktionieren kann.

Sollte man vielleicht aber neue Absatzmärkte erschließen. Jedes dritte Auto aus Deutschland wird in China verkauft.

Das sollte jedes einzelne Unternehmen für sich tun.  Und ich glaube,  die tun das auch. Man muss lediglich vermeiden den Eindruck zu erwecken, dass die Politik den Unternehmen diese Aufgabe abnimmt und es eine Art Absicherung gibt, infolge der die Gewinne bei den Unternehmen landen und die Verluste auf den Steuerzahler abgewälzt werden.Das darf nicht passieren. 

Das ist der gasintensiven Industrie in Deutschland während des Preisschocks aber teilweise gelungen. Dadurch dass sie sehr dunkle Szenarien ausgemalt hatte, konnte sie staatliche Unterstützung bewirken.  Die Lage wurde dann allerdings auch ohne russisches Gas nicht so dramatisch wie von manchen erwartet, und mittlerweile sind die Energiepreise wieder gefallen. 

Am Ende ist es die Aufgabe jedes einzelnen Unternehmens, ein Geschäftsmodell zu entwickeln, das auf Dauer wettbewerbsfähig ist auf den internationalen Märkten. Das kann die Politik den Unternehmen nicht abnehmen.

Also braucht die Wirtschaft keinen neuen Wirtschaftsbereich als Konjunkturmotor, der die Autoindustrie in dieser Rolle ablösen könnte?

Aber welcher Wirtschaftsbereich könnte das denn sein…

Das Dienstleistungsgewerbe zum Beispiel?

Wenn sich das durch Marktprozesse ergibt, dann ist das auch so. Aber es ist unklar, ob strategische Industriepolitik hier zielführend ist.Die  Märkte können das besser. Wir wissen heute nicht, was in 10, 15 oder 20 Jahren die vorherrschenden Antriebstechnologien sein werden. Das ist heute noch völlig offen. Wir wissen auch nicht, was an neuen Dingen entwickelt wird. Die Politik weiß das auch nicht.Am Ende brauchen wir ein vernünftiges Sozialsystem, dass einzelne Menschen, die vom Strukturwandel betroffen sind, auffängt, wenn es in ihrem Bereich nicht weiter geht. Es ist aber nicht aussichtsreich, wenn der Staat Bereiche festlegt, in denen die Wirtschaft aktiv sein sollte und in welchen nicht.

Dennoch wird die Autoindustrie vom Staat stark gefördert. Stärker als andere Industrien.

Die Regierung arbeitet an einer Industriestrategie, um bestimmte Industrien zu fördern. Ich halte das aber für falsch. Politik sollte Standortpolitik betreiben und  dafür sorgen, dass die Bedingungen für alle Unternehmen gut sind.

Das fängt an bei Faktoren, die wir vorhin schon genannt haben, wie eine planbare Energieversorgung, Digitalisierung,  oder auch ein gutes Bildungssystem, gute Verkehrsinfrastruktur. All das sind wichtige öffentliche Aufgaben. Es ist aus meiner Sicht nicht zu begrüßen, wenn die Politik entscheidet, in welchen Branchen Unternehmen gefördert werden und in welchen nicht.

Ist Deutschland als Produktionsstandort noch rentabel? Die effektive Steuerbelastung beträgt 28%, das ist weit über dem EU-Durchschnitt. Wandern Unternehmen aus Deutschland tatsächlich massenhaft ab?

Wir sehen das in den Daten nicht. Die Investitionen in Deutschland sind relativ stabil für die wirtschaftliche Situation. In letzter Zeit war eher der private Konsum die Komponente, die ausgabenseitig die Entwicklung des  Bruttoinlandsprodukts belastet hat. Das ist aber nicht besonders beunruhigend. 

Natürlich bedeutet das nicht, dass alles perfekt läuft,  man sollte aber auch nicht zu pessimistisch sein.Deutschland ist weiterhin ein attraktiver Standort. Es gibt hier ein nicht perfektes, aber immer noch gutes Bildungssystem und es gibt hier auch eine vernünftige Infrastruktur, auch wenn die verbesserungswürdig ist. Und wir sehen auch, dass sich Unternehmen entscheiden, hier neue Standorte aufzubauen. Für den Totengesang ist es noch zu früh.

Was bedeutet die schwächelnde Konjunktur für Deutschlands europäische Handelspartner wie Polen oder Frankreich?

Wenn die Konjunktur in Deutschland schwächelt, dann importiert Deutschland auch weniger aus diesen Ländern.  Die Handelsverflechtungen sind innerhalb der Europäischen Union ziemlich intensiv. Die Auswirkungen werden sich bemerkbar machen, ich kann sie aber nicht exakt quantifizieren.

Was ist Ihr Ausblick für die nächsten Jahre? Wie wird sich die Wirtschaftslage entwickeln?

Wir gehen davon aus, dass sich die Konjunktur in Deutschland im Laufe des Jahres erholt. Allerdings erwarten wir für den Jahresdurchschnitt immer noch eine sehr niedrige Wachstumsrate. Die Erholung ist mit der Entwicklung der realen Einkommen begründet. Wir hatten im vergangenen Jahr,aber auch schon im Jahr davor Realeinkommenseinbußen bei den privaten Haushalten, die den privaten Konsum gedämpft haben.  Jetzt sehen wir, dass sich die Einkommen stabilisieren. Das hängt damit zusammen, dass sich das Verhältnis von Export-und Importpreisen, die sogenannten Terms of Trade wieder verbessert haben. Außerdem haben in vielen Bereichen Tariflohnabschlüsse stattgefunden, die zu einem gewissen Ausgleich bei den privaten Haushalten führen. 

Im Großen und Ganzen steigen dann auch wieder die realen verfügbaren Einkommen und das wird die gesamtwirtschaftliche Nachfrage stabilisieren. Außerdem sind wir auch am Ende des Zinserhöhungszyklus angekommen. Die Konjunkturschwäche ist in zinsreagiblen Bereichen wie der Bauwirtschaft auch darauf zurückzuführen, dass wir ein steigendes Zinsniveau hatten.  Das hat zu einem Nachfragerückgang geführt.Der nächste Zinsschritt im Laufe des Jahres wird wahrscheinlich einer nach unten sein.

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