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Quelle: Adobestock / Andrii Yalanskyi

Was tun gegen den Fachkräfteengpass?

Der Artikel wurde von Dr. Anke Kock und Gunther Spillner von der Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) verfasst.


Die Zahl der unbesetzten Ausbildungsstellen ist in den meisten Wirtschaftszweigen und Branchen besorgniserregend hoch und stellt viele Betriebe vor existentielle Herausforderungen, wenn es um die Fachkräftesicherung geht. Das zeigt nicht zuletzt der jüngste Bericht zum Arbeits- und Ausbildungsmarkt der Bundesagentur für Arbeit.[1]

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11.11.2022

Eine weiterhin rückläufige Bewerberzahl bei mehr unbesetzten Stellen verschärft, wenn auch regional und nach Wirtschaftszweigen unterschiedlich, den bereits seit längerem herrschenden Fachkräftemangel. Insbesondere finden Angebot und Nachfrage häufig nicht zusammen und Passungsprobleme nehmen zu – das heißt, es gibt zwar hinreichend Stellenangebote, aber Bewerber/-innen möchten in anderen als den angebotenen Berufen ausgebildet werden.[2] Der demographische Wandel sowie der Trend zum Studium, das immer noch mit mehr gesellschaftlichem Ansehen und einer vermeintlich besseren Bezahlung nach Ende des Studiums verbunden wird, verschärft die Lage des allgemeinen Fachkräftemangels.

Die Logistik ist in Deutschland nach der Automobilwirtschaft und dem Handel der größte Wirtschaftsbereich, in dem mehr als drei Millionen Menschen beschäftigt sind.[3] Durch die Corona-Pandemie und ihre globalen Auswirkungen auf Lieferketten sowie den anhaltenden russischen Angriffskrieg in der Ukraine haben sich die Bedingungen einer reibungslosen Logistik erheblich erschwert. Fachkräftemangel herrscht aktuell insbesondere bei Fahrern und Fahrerinnen[4]: So hat eine aktuelle Studie[5] nach ersten Auswertungen zum Jahresende 2021 etwa 40.000 unbesetzte Stellen für Fahrpersonal im Straßengüterverkehr mit LKW über 3,5 Tonnen Nutzlast allein für Deutschland errechnet – gestützt u. a. auf statistische Daten der Bundesagentur für Arbeit und des Bundesamts für Güterverkehr. Das Ergebnis einer Analyse der International Road Transport Union (IRU)[6] beziffert für Deutschland sogar auf 80.000 fehlende LKW-Fahrer/-innen in 2021. In beiden Studien wird ein weiter ansteigender Mangel für die kommenden Jahre prognostiziert.

Welche Ausbildungsberufe sind gefragt und was tun gegen den Fachkräfteengpass?

Dabei sind die Möglichkeiten einer Ausbildung in der Logistik gut: Sowohl im gewerblich-technischen wie auch im kaufmännischen Bereich gibt es eine Vielzahl an Berufen, die man erlernen kann und in denen man aussichtsreiche Karriereoptionen hat. Schaut man sich die Rangliste der am stärksten nachgefragten Berufe an – also jene mit den meisten Auszubildenden über alle Ausbildungsberufe hinweg –, dann führt in der Logistikbranche die “Fachkraft für Lagerlogistik” (dreijähriger Ausbildungsberuf) auf Rang zwölf, gefolgt vom Beruf “Fachlagerist/-in” (zweijähriger Ausbildungsberuf mit Durchstiegsoption zur Fachkraft) auf Rang 24. Bedeutende Nachfrage gilt auch dem Beruf “Kaufleute für Spedition und Logistikdienstleistung” auf Rang 27 (Berichtsjahr 2021)[7].

Mit knapp 10.000 Neuabschlüssen im Jahr 2021 ist die “Fachkraft für Lagerlogistik” einer der beliebtesten Ausbildungsberufe überhaupt. Außerdem gibt es weitere Logistikberufe, die unterschiedlich stark nachgefragt und angeboten werden, wie “Berufskraftfahrer/-in” mit etwas über 3.000 Neuabschlüssen (Rang 39), “Fachkraft für Kurier-, Express- und Postdienstleistungen (KEP)” mit rund 600 (Rang 111) oder “Kaufmann/Kauffrau für Kurier-, Express- und Postdienstleistungen” (Rang 214) mit nur 63 Neuabschlüssen. Doch dieser Befund lässt nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch in der Lagerlogistik und im Güterumschlag bereits vor den genannten corona- und kriegsbedingten Krisen ein großer Fachkräftemangel bestand, der durch die mit ihnen verbundenen Folgen nur verschärft wird. [Siehe Hempfing, Schwemmer 2019]. So wurden 2020 knapp 9.250 Neuabschlüsse bei der “Fachkraft für Lagerlogistik” verzeichnet und damit über 1.200 weniger als noch im Berichtsjahr zuvor.[9] Auch im Beruf “KEP-Fachkraft” wird weniger ausgebildet, dabei ist der Bedarf bei gestiegenem Online-Handel und Paketversand enorm. So stieg der Umsatz der Kurier-, Express- und Paketbranche in Deutschland in den Jahren 2009 bis 2021 stetig an.[10]

Gründe für den trotzdem großen Bewerber- und Fachkräftemangel scheinen auf der Hand zu liegen: So werden oftmals eine geringe Bezahlung oder schlechte Arbeitsbedingungen in der Logistik angeführt.[11] Hier sind auch die Unternehmen selbst gefragt, inwieweit sie neben finanziellen Anreizen für attraktive Rahmenbedingungen sorgen können, um qualifiziertes Personal für sich zu gewinnen. Bezüglich des Fahrermangels lässt die zunehmende Digitalisierung bzw. konkret das autonome Fahren hoffen, dass Engpässe, wenn nicht überwunden, so doch minimiert werden können. Allerdings ist damit wohl im Straßengüterverkehr in den kommenden Jahren noch nicht zu rechnen. [Zanker (2018), S. 36]

Die Rolle der Ordnungsarbeit

Arbeitgeber- und gewerkschaftsseitig ist unstrittig, dass die Ausbildung in den Logistikberufen gut auf die Tätigkeit als Fachkraft vorbereiten und dass die Engpässe nichts damit zu tun haben, dass die aktuellen Ausbildungsordnungen nicht dem Bedarf entsprechen. Die Voraussetzungen für eine attraktive, bedarfsgerechte und zukunftsoffene Berufsbildung liegen vor: Zusammen mit den Sozialpartnern, also Arbeitgebern und Gewerkschaften, den zuständigen Bundesministerien sowie der Kultusministerkonferenz (KMK) werden Ausbildungsinhalte erarbeitet, die auf dem Arbeitsmarkt nachgefragt werden und die dem Bedarf der Praxis entsprechen. Regelmäßig finden (Vor-)Untersuchungen des Bundesinstituts für Berufsbildung statt, um zu klären, ob diese Voraussetzungen noch gegeben sind oder ob ein Beruf modernisiert werden sollte. Hierbei wird der spezifische Bedarf des Arbeitsmarkts – durch quantitative und/oder qualitative Befragungen – erhoben, wenn offene Fragen zu Tätigkeiten und Kompetenzen der zukünftigen Fachkräfte eingehend zu prüfen sind. So wurde beispielsweise die “Fachkraft für Lagerlogistik” im Hinblick auf veränderte Anforderungen rund um die Digitalisierung auf einen Neuordnungsbedarf hin untersucht.[13] Die Ergebnisse des Bundesinstituts für Berufsbildung zeigen, dass eine zeitnahe Überarbeitung und Anpassung des Ausbildungsberufs an den aktuellen Qualifikationsbedarf sinnvoll wäre. Es ist nun Sache der Sozialpartner, mit ihren Branchenverbänden zu prüfen, ob beziehungsweise welche Inhalte sich aus ihrer Sicht in einer Neuordnung niederschlagen sollten.

Dass Ausbildungsinhalte immer konsensual festgelegt werden, damit ein Beruf den Anforderungen der Praxis gerecht und von allen zuständigen Stellen und Organisationen mitgetragen wird, ist eine der größten Stärken unseres Wirtschaftssystems. So sind auch die Fortbildungsmöglichkeiten, um sich im erlernten Beruf im Sinne des lebenslangen Lernens ganzheitlich weiterzuentwickeln und im individuellen Berufsweg aufzusteigen, in der Logistik durch bundeseinheitliche Prüfungsverordnungen im Konsens geregelt und erarbeitet worden. Aktualität, Relevanz und Zukunftsfähigkeit der Fort- und Weiterbildungsoptionen werden wie im Bereich der Ausbildung genau beobachtet und auf ihre Praxisrelevanz hin geprüft. Unerlässlich bleibt dabei immer, die Attraktivität der Angebote der beruflichen Bildung durch zielgerichtete Berufsorientierung, Marketing und Öffentlichkeitsarbeit den potentiellen Bewerbern und Bewerberinnen zugänglich und schmackhaft zu machen.[14] Um dem Fachkräftemangel nachhaltig entgegenzuwirken, ist neben der Rekrutierung zugewanderter Fachkräfte die Steigerung der Attraktivität der Berufsbildung im Inland primäres Ziel und wichtige Voraussetzung – um jungen Menschen die mit einer Berufsausbildung verbundenen Chancen für eine sichere Zukunft, für ihre Persönlichkeitsentwicklung und für eigene Karriereoptionen deutlich zu machen.


Literatur:

Bundesagentur für Arbeit: Berichte: Blickpunkt Arbeitsmarkt. Monatsbericht zum Arbeits- und Ausbildungsmarkt. Juni 2022 https://statistik.arbeitsagentur.de/Statistikdaten/Detail/202206/arbeitsmarktberichte/monatsbericht-monatsbericht/monatsbericht-d-0-202206-pdf.pdf?__blob=publicationFile&v=1

Bundesinstitut für Berufsbildung: Datensystem Auszubildende (DAZUBI) 2021. https://www.bibb.de/de/1864.php

Bundesinstitut für Berufsbildung: Rangliste 2021 der Ausbildungsberufe nach Neuabschlüssen in Deutschland. https://www.bibb.de/dokumente/pdf/naa309/naa309_2021_tab067_0bund.pdf

Bundesinstitut für Berufsbildung (2022): Fachkräfteengpässe: Mismatch auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt. https://www.bibb.de/de/33159.php

Fraunhofer SCS – Top 100 in Logistik & SCM. https://www.scs.fraunhofer.de/de/publikationen/studien/top100.html; Pressemitteilung: https://www.scs.fraunhofer.de/de/presse/pressemitteilungen/20211020_pm_top100.html

Hempfing, Alexander; Schwemmer, Martin (Hrsg.: Pflaum, Alexander; Fischer, Roland; F R A U N H O F E R S C S): Fachkräftemangel in der Logistik. Vermessung, Struktur und Handlungsfelder. Whitepaper 2019.

IRU Global Driver Shortage Report 2022 – Summary https://files.iru.org/nextcloud/index.php/s/MpWMdmHHXxe3GHi

Kock, Anke; Schad-Dankwart, Inga: Berufsbildung 4.0 – Fachkräftequalifikationen und Kompetenzen für die digitalisierte Arbeit von morgen: Der Ausbildungsberuf „Fachkraft für Lagerlogistik“ im Screening. WISSENSCHAFTLICHE DISKUSSIONSPAPIERE Heft 199. Bundesinstitut für Berufsbildung 2019. Abrufbar unter https://www.bibb.de/dienst/veroeffentlichungen/de/publication/show/9981

Kurier.de, 22.06.2022: Fachkräftemangel in der Lagerlogistik und im Transport. https://www.ww-kurier.de/artikel/117542-fachkraeftemangel-in-der-lagerlogistik-und-im-transport

Schweikl, Tobias in Logistik Heute 29.07.2022: Studie zum Fahrermangel: Versorgungsengpässe drohen. https://logistra.de/news/nfz-fuhrpark-lagerlogistik-intralogistik-studie-zum-fahrermangel-versorgungsengpaesse-drohen-171092.html

Statista: Statistiken zur KEP-Branche. https://de.statista.com/themen/1380/kep-branche/#topicHeader__wrapper

Statista: Logistik & Transport. https://de.statista.com/statistik/kategorien/kategorie/16/themen/133/branche/logistik-transport/#overview

Zanker, Claus: Branchenanalyse Logistik. Der Logistiksektor zwischen Globalisierung, Industrie 4.0 und Online-Handel. Band 390 der Reihe Study der Hans-Böckler-Stiftung, Juni 2018.


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