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Osteuropa erklärt dem Mobilitätspaket den Krieg. „Es löst keine Probleme der Frachtführer und verschlechtert sogar die Situation der Betroffenen”

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Die ungarische Regierung hat am Montag eine Klage gegen das Mobilitätspaket beim Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) eingereicht, in der die Aufhebung einiger ihrer Bestimmungen gefordert wird. Das teilten die ungarischen Ministerien für Innovation und Justiz in einer gemeinsamen Erklärung mit. Der Klageschrift zufolge seien einige Vorschriften diskriminierend, verstoßen gegen die Klimaziele der EU sowie belasten die europäischen Transportunternehmen mit einem unverhältnismäßig hohen finanziellen und administrativen Aufwand.

Darüber hinaus betonten die ungarischen Ministerien, dass die angefochtenen Bestimmungen auch nicht durchgesetzt werden könnten. In der Erklärung wurde festgestellt, dass das Europäische Parlament und der Europäische Rat das Mobilitätspaket im Juli trotz eines starken Widerstands Ungarns und anderer Mitgliedstaaten gebilligt haben.

Von Anfang an, also bereits seit drei Jahren, spricht sich die ungarische Regierung gegen den Legislativvorschlag und die neuen EU-Regulierungspläne in jedem möglichen Forum aus. Das angebliche Ziel der Vorschriften ist es, die Interessen der Fahrer zu schützen sowie ihre sozialen Rechte und Arbeitsbedingungen zu verbessern. Aus der Sicht Ungarns geben die neuen Vorschriften jedoch die falsche Antwort auf die bestehenden Probleme, weil sie diese keineswegs lösen und verschlechtern sogar die Situation der Betroffenen, heißt es in der offiziellen Mitteilung auf der Website der ungarischen Regierung.

Mobilitätspaket widerspricht den EU-Verträgen

Die ungarische Regierung unter der Führung von Viktor Orban (s. Foto) weist auch darauf hin, dass das Mobilitätspaket der Freizügigkeit der Mitarbeiter, dem freien Verkehr von Waren und Dienstleistungen zuwiderläuft und protektionistische Maßnahmen umfasst, die das Funktionieren des einheitlichen Binnenmarkts und der nationalen Märkte der EU-Staaten einschränken.

Mit der Klage der ungarischen Regierung sollen insgesamt fünf Punkte in drei verwandten Richtlinien und Verordnungen angefochten werden. Laut Ungarn ist es beispielsweise praktisch unmöglich, das Kabinenschlafverbot aufgrund einer unzureichenden Anzahl sicherer Schlafplätze umzusetzen. Darüber hinaus verstößt die Verkürzung der früheren Frist für die Einführung intelligenter Fahrtenschreiber gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit und führt zu einem irreversiblen Wettbewerbsnachteil für EU-Unternehmen.

Die Behörden in Budapest beklagen ebenfalls die neue Vorschrift, wonach die für den internationalen Transport verwendeten Fahrzeuge der Transportunternehmen alle 8 Wochen zu dem Hauptfirmensitz zurückkehren müssen.

Wie bei der Richtlinie über die Entsendung von Arbeitnehmern aus dem Jahr 2018 ergreifen wir derzeit entscheidende Maßnahmen gegen EU-Vorschriften, die den westeuropäischen Mitgliedstaaten einen unangemessenen Wettbewerbsvorteil verschaffen. Wir fordern den Gerichtshof der Europäischen Union auf, Bestimmungen aufzuheben, die eindeutig diskriminierend sind und den in den EU-Verträgen verankerten Grundsätzen widersprechen, sagte die ungarische Justizministerin Judit Varga.


Ungarn spricht sich so stark gegen das Mobilitätspaket aus, weil der Verkehrssektor für ihre Wirtschaft eine besonders wichtige Rolle spielt. Der Transport generiert über 6 Prozent Ungarns BIP.

95 Prozent der inländischen Frachtführer, die im internationalen Straßengüterverkehr tätig sind, sind kleine und mittlere Unternehmen, die möglicherweise überproportional von den seit Februar 2022 geltenden Vorschriften betroffen sein werden. Die Verordnung untergräbt die Wettbewerbsfähigkeit Europas, bedroht die Beschäftigung und erhöht die Preise für Verkehrsdienstleistungen, bei denen die Verbraucher deutlich verlieren werden”, kommentierte László Mosóczi, Staatssekretär für Verkehrspolitik im Ministerium für Innovation und Technologie.

Aufgrund früherer Erfahrungen schätzt die Regierung in Budapest, dass das am Montag eingeleitete Verfahren anderthalb Jahre dauern kann. Ein mögliches Urteil könnte daher noch vor dem Inkrafttreten einiger Bestimmungen des Mobilitätspakets gefällt werden.

Die Ungarn weisen auch darauf hin, dass die daraus resultierende Zunahme der Bürokratiebelastungen und Kosten für die Transportunternehmen sowohl auf der EU- als auch auf der nationalen Ebene die Erholung von der Coronavirus-Krise erschweren wird.

Es wird weitere Klagen geben

Neben Ungarn sprachen sich auch Polen und mehrere andere Mitgliedstaaten (Bulgarien, Zypern, Estland, Lettland, Litauen, Malta und Rumänien) gegen die Umsetzung des Mobilitätspakets konsequent aus. Die meisten von ihnen erklärten auch, dass sie sich mit unabhängigen Anträgen, die der ungarischen Beschwerde ähneln, an den EuGH wenden oder sich der Klage eines der Länder anschließen würden. Litauen hat beispielsweise Anfang September beschlossen, eine Klage gegen das Paket bei dem EuGH einzureichen.

Vor zwei Tagen hat die Ständige Vertretung Polens bei der EU auf Twitter mitgeteilt, dass auch Polen gegen Protektionismus vorgehen werde und beim Gerichtshof der Europäischen Union eine Beschwerde  gegen einige Bestimmungen des Mobilitätspakets einreichen wolle.

„Die im Mobilitätspaket enthaltenen Regeln sind diskriminierend und werden sich negativ auf den Binnenmarkt und die Umwelt auswirken”, so werden die Gründe für die Anfechtung des Pakets durch die Ständige Vertretung der Republik Polen bei der EU erläutert.

Foto: Wikimedia/European People’s Party CC A 2.0

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