Natalia Jakubowska, Trans.INFO: Frau Kocsis, in einem Interview von 2013 haben Sie basierend auf den Ergebnissen einer Umfrage behauptet, dass LKW-Fahrer sogar bis zu 80 Stunden die Woche arbeiten. Wie sieht das heute aus? Hat sich was in dieser Hinsicht geändert?
Andrea Kocsis, Stellvertretende Vorsitzende, ver.di: Die Situation ist in einigen Unternehmen nach wie vor angespannt. Die Arbeitszeiten (inkl. der Lenkzeiten) der Fahrer*innen sind vielfach nach wie vor unangemessen hoch. Der Druck auf die Fahrer*innen hat sich in den letzten sechs Jahren deutlich verschärft. Gründe sind zum einen zunehmender Personalmangel, immer kürzere Transportfenster, die zunehmende Bereitschaft einiger in der Branche gegen Schutzregelungen wie Lenk- und Ruhezeiten zu verstoßen. Dabei werden viele Verstöße aufgrund einer viel zu geringen Kontrolldichte gar nicht erst festgestellt oder aber mit viel zu geringen Bußgeldern – die dann von einigen sogar billigend in Kauf genommen werden – belegt.
Laut einer Analyse von Gehalt.de sind Kraftfahrer mit einem Median von 28. 436 Euro Jahresgehalt unter den Flop-Berufen in Deutschland. Wo liegt das Problem?
Das hat eine Vielzahl von Gründen. Zum einen ist der Preisdruck innerhalb der Branche an sich relativ hoch. Denn in der Transportbranche haben 95% der Betriebe deutlich unter 20 Mitarbeiter. Diese Kleinunternehmen sind in der Regel nicht tarifgebunden oder durch Betriebsräte mitbestimmt. Folge ist eine untertarifliche Bezahlung und schlecht geregelte Arbeitsbedingungen. Wir brauchen eine Initiative zur Stärkung der Tarifbindung und Tariftreue und auch eine neue Diskussion zur Allgemeinverbindlichkeitserklärung von Tarifverträgen in der Transportbranche.
Die Situation an den Laderampen scheint sich mit der Zeit auch zu verschärfen. Ich meine hier nicht nur die langen Wartezeiten, aber auch die immer häufigere Mithilfe der Kraftfahrer bei den Entladungen?
Die Situationen an den Laderampen sind sehr unterschiedlich. Es gibt Warenannahmen, wo alles in Ordnung ist. Unsere Mitglieder berichten uns aber auch immer wieder von langen Wartezeiten, der Verweigerung des Nutzens der Toiletten und unklaren Vorgaben bzgl. des Be-und Entladens vor Ort, hier müssen wir wie bisher gemeinsam mit Betriebsräten stetig Schritt um Schritt die Bedingungen verbessern.
Unternehmen beklagen sich über stillstehende LKW und geplatzte Aufträge, machen sie aber Ihrer Meinung nach genug gegen den Fahrermangel?
Das kann ich mit einem ganz klaren Nein beantworten. Der Fahrermangel war seit langem vorherzusehen und ist auch schon seit vielen Jahren Thema. Und auch heute ist allen Beteiligten bekannt, dass er sich weiter verschärfen wird. Wer gut ausgebildetes Personal in der Zukunft haben möchte, muss in die Ausbildung investieren und den Arbeitsalltag und die Arbeitsbedingungen der vorhandenen Kraftfahrer verbessern. Nur wenn gute Arbeitsbedingungen herrschen und auskömmliche Löhne gezahlt werden, werden sich junge Menschen für das Leben im LKW entscheiden, Fernfahrerromantik gibt es nicht.
Und wie beurteilen Sie das politische Handeln?
Wir erwarten von der Politik, dass konsequent und nachhaltig gegen Verstöße bei Entsenderichtlinie und Lenk- und Ruhezeiten sowie gegen unzulässige Kabotage vorgegangen wird. Das gilt auch im Interesse aller anderen Verkehrsteilnehmer. Öffentliche Aufträge sollten nur noch an tarifgebundene Unternehmen vergeben werden, gegen Lohndumping und illegale Beschäftigung muss vom Gesetzgeber konsequent vorgegangen werden.
Laut Angaben des BGL (Bundesverband Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung ) scheiden jährlich rund 30.000 LKW-Fahrer altersbedingt aus. Kraftfahrer-Nachwuchs ist nicht in Aussicht. Unter anderem sind die Kosten für die Ausbildung ein Problem. Wenn man alles zusammen rechnet, kommt man locker auf 6000 Euro. Wo sehen Sie hier Verbesserungsbedarf?
Die Branche hat früher von der Bundeswehr als Hauptausbilder von Berufskraftfahrern im Rahmen der Wehrpflicht profitiert. Nunmehr müssen die Betriebe selbst ausbilden. Ausbildung ist eine notwendige Investition in die Zukunft der Unternehmen und auch ein gesellschaftlicher Auftrag für Unternehmen, das gilt nicht nur für die Transportbranche, sondern auch für Dienstleistung, Handwerk und Industrie.
Was haben die Gewerkschaften innerhalb der letzten 6 Jahren getan, um die Situation von LKW-Fahrern zu ändern?
Wir haben durch überdurchschnittlich gute Tarifabschlüsse dafür gesorgt, dass die tarifgebundenen Fahrer an der wirtschaftlichen Entwicklung teilhaben konnten. 2. Im Bereich der Ordnungspolitik sind wir sowohl national als auch auf Ebene der EU ständig im Austausch mit der Bundesregierung oder der EU-Kommission sowie den Parlamenten (Bundestag/ EUParlament) um die Bedingungen der Berufskraftfahrer zu verbessern oder Verschlechterungen zu verhindern. 3. Im Bereich der Sozialpartnerschaft mit den Arbeitgebern unserer Branche treffen wir uns regelmäßig zum Branchen-Dialog Logistik. Hier ist unsere Erwartung, dass es gelingt, gemeinsame Initiativen gegen Fachkräftemangel, gegen sinkende Tarifbindung und für die Steigerung der Attraktivität des Berufs zu ergreifen.
Wie kann man die Rahmenbedingungen heute verbessern?
Es gibt drei wesentliche Punkte für uns. 1. Die verstärkte Kontrolle zur Umsetzung der Entsende-Richtlinie der EU, um dem Unterbietungswettbewerb mit unzulässigen Mitteln zu begegnen. 2. Die Erhöhung der Tarifbindung in der Branche, dazu müssen die Arbeitgeberverbände auch die Mitgliedschaft ohne Tarifbindung abschaffen. 3. Die Planung von Transporten muss mit einem realistischen Zeitansatz erfolgen. Wer Touren plant und dabei jedes Mal an die Grenze des gesetzlich Zulässigen geht und darüber hinaus Zeiten ohne Verkehrsbehinderungen plant, der geht an den Realitäten komplett vorbei und nimmt schlechte und gefährliche Arbeitsbedingungen der Kraftfahrer in Kauf.
Foto: Kay Herschelmann