Natalia Jakubowska, Trans.iNFO: Die Preise für Elektroautos sind in letzter Zeit um 30 Prozent gefallen. Sollte man sich jetzt schnellstens ein Elektroauto zulegen?
Jan Sieper, Partner Strategy & Transactions, EY Strategy & Transactions GmbH: Tatsächlich ist der Markt momentan aus reiner Kundensicht durchaus interessant. Auf der einen Seite haben wir ein wachsendes Angebot an öffentlicher Ladeinfrastruktur sowie ein wachsendes Produktangebot über alle OEMS hinweg; Kunden lernen auch immer mehr, dass sich einige der gefühlten Barrieren aus der E-Mobilität im Praxisgebrauch nicht bewahrheiten, z.B. mit Blick auf die verfügbare Reichweite. Zudem sind die Preise, die die Hersteller momentan anbieten, zum Teil sehr attraktiv.
Die andere Seite der Medaille ist der Wegfall der Förderung, was sich je nach Produkt und Segment unterschiedlich stark auswirkt und die Euphorie doch ein wenig bremst – und was zudem die Frage aufwirft, wie ernst es der Politik ist mit der ausgegebenen Zielmarke von 15 Millionen BEVs in Deutschland im Jahr 2030.
Eine große Rolle spielt auch das Thema Restwerte und Gebrauchtmarkt. Für viele Kunden ist es nicht nur wichtig, wie viel das Auto beim Kauf kostet, sondern vor allem, wie wertstabil das Fahrzeug ist, da der Kunde am Ende immer die Differenz finanzieren muss. Egal ob es sich um Leasing, Finanzierung oder Kauf handelt – der Wertverlust einiger Elektroautos fällt größer ausfällt als erwartet, und das führt sicherlich auch zu einer Zurückhaltung – gerade bei den gewerblichen Kunden.
Sie haben den Markt als durchaus attraktiv bezeichnet, aber würden Sie ihn auch als konsumentenfreundlich bezeichnen?
Hersteller sind momentan in manchen Segmenten gezwungen, Kunden zu suchen, insofern sind dort typische Phänomene eines konsumentenfreundlichen Marktes zu beobachten.
Woraus resultieren die sinkenden Preise für Elektroautos?
Sie resultieren auf der einen Seite daraus, dass sich Lieferengpässe, die wir in den vergangenen Jahren hatten, sukzessive auflösen. Gerade bei den Elektrofahrzeugen haben sich viele Hersteller auf steigende Stückzahlen eingestellt und entsprechend auch Volumina zum Beispiel bei den Batterien eingekauft, die sie jetzt abnehmen müssen. Entsprechend haben die Hersteller jetzt ein Interesse die Fahrzeuge an den Markt zu bringen.
Darüber hinaus haben wir immer mehr Marken in Deutschland, die Elektrofahrzeuge anbieten, und auch bei den etablierten Herstellern wächst das Produktangebot.
Zudem werden die Exportmöglichkeiten der in Europa produzierten Fahrzeuge immer weiter eingeschränkt. In Summe haben wir mehr Autos in Europa. Auf der Gegenseite haben wir aber keinen signifikant wachsenden Gesamtmarkt. Dies führt zu Überkapazitäten, die den Markt konsumentenfreundlicher machen.
Werden chinesische Hersteller auch in Europa immer präsenter?
Diese Tendenz ist zu beobachten. Wobei man bei den chinesischen Herstellern zwischen denen, die von der Eigentümerseite sozusagen „in chinesischer Hand“ sind, und denen, die tatsächlich chinesische Marken sind, unterscheiden muss. Wenn man sich den Elektroautomarkt genauer anschaut und die Marken zusammenzieht, die chinesische Eigentümer haben, dann sind wir in Deutschland Ende 2023 bei einem Marktanteil im hohen einstelligen Prozentbereich nahe der 10%- Marke angekommen.
Es gibt auch immer mehr Überlegungen bei chinesischen Herstellern, nicht nur den Export aus China zu forcieren, sondern über Partnerschaften oder andere Vehikel auch eine Wertschöpfung in Europa zu etablieren, da eine Skalierung hier in Europa über ein reines Importmodell zumindest auf Dauer nicht wirtschaftlich sinnvoll sein wird.
Sollte man chinesischen Herstellern den Zugang zum europäischen Markt verweigern?
Man muss sich der Konsequenzen bewusst sein. Wenn wir die letzten Jahre Revue passieren lassen, welche Gewinne von den deutschen Herstellern auf dem chinesischen Markt erwirtschaftet wurden, dann stellt sich die Frage: Was hätten die Unternehmen denn gemacht, wenn der chinesische Markt den ausländischen OEMs komplett verschlossen gewesen wäre?
Eine Abschottung ist aus meiner Sicht nicht zielführend. Stattdessen sollte man dafür sorgen, dass der Wettbewerb zu fairen Konditionen stattfindet. Aus reiner Konsumentensicht ist es durchaus besser, ein breites Angebot zu haben, und die neuen Marken sind auch ein Treiber für Innovationen. Natürlich spielen aber auch industriepolitische Themen eine Rolle, da der Automobilsektor in Deutschland eine wichtige Säule der Volkswirtschaft ist. Insofern glaube ich eher, dass es mehr und mehr Tendenzen geben wird, nicht bestimmte Hersteller oder Marken auszuschließen, aber sicherzustellen, dass die Förderung, wenn sie erfolgt, immer in Verbindung steht mit Wertschöpfung in Europa. Erste Ansätze gibt es z.B. in Frankreich, wo die Förderung der Fahrzeuge an bestimmte Local Content-Vorgaben gekoppelt ist.
Es ist dem Wettbewerb definitiv nicht dienlich, spannende Produktkonzepte auszuschließen, die ja auch die deutschen und europäischen Hersteller wieder anspornen würden. Außerdem werden nicht alle chinesischen Marken, die wir heute auf dem Markt sehen, in 10 Jahren noch präsent sein. Einige werden verschwinden, andere sind gekommen um zu bleiben.
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Wir haben in China geschätzt um die 100 Elektroautomarken. Herrscht hier in Europa vielleicht zu wenig Wettbewerb unter den europäischen Herstellern?
Das würde ich nicht sagen. Wir haben hier in Europa eine ausgeprägtere emotionale Bindung mit Automobilmarken, als wir das in China beobachten. Das liegt einfach an der Historie der Industrie und der Verwurzelung der Autoindustrie in den Ländern. Das ist vor allem in Deutschland und Frankreich zu beobachten, wo eine starke Konzentration der Marktanteile auf die lokalen Marken vorliegt.
In Norwegen oder in den Niederlanden ist die Lage wiederum anders. Deswegen werden diese Märkte gerne von neuen Marken als Startpunkt genutzt, weil die Konsumenten viel offener sind. Verkürzt könnte man sagen: Je stärker die Volkswirtschaft an der Automobilindustrie hängt, desto stärker ist die Bindung an die lokalen Marken, was in diesen Märkten oft auch durch die sehr stark ausgebreiteten Händler- und Servicenetzwerke unterstützt wird.
Woran könnten chinesische Hersteller in Europa scheitern?
Einige neigen dazu, die Vielfalt des europäischen Marktes zu unterschätzen. Europa ist kein einheitlicher Markt und hat starke lokale Wettbewerber. Das heißt, man braucht eine Strategie, die Markt für Markt angeht und auch lokale Organisationen aufbaut. Hinzu kommen Sprachbarrieren, weil viele Aktivitäten in mehreren Sprachen ausgeführt werden müssen.
Außerdem sind chinesische Marken weniger mit Mechanismen des gewerblichen Marktes vertraut, wo es nicht unbedingt nur darauf ankommt, das attraktivste Produkt anzubieten, sondern auch das Thema Total Cost of Operations im Auge zu behalten. Zudem sind Produkte, die aus China kommen, teilweise fast überladen mit Funktionen und Spielereien, wie das vielzitierte Karaoke-System. Für viele europäische Konsumenten ist aber bereits der Umstieg auf ein E-Fahrzeug eigentlich schon Innovation und Veränderung genug.
Ein weiterer Faktor sind die politischen Strömungen. Aktuell herrscht in Europa nicht gerade eine chinafreundliche Stimmung. Und wie schon erwähnt, ist das Auto ein sehr emotionales und auch politisches Wirtschaftsgut.
Andererseits haben die chinesischen Hersteller interessante Verkaufskonzepte. Die Anzahl der Besuche, die ein Kunde im Rahmen des Verkaufsprozesses macht, geht aktuell zurück. Deshalb sind innovative Konzepte gefragt mit weniger Fläche und weniger Standorten. In China gibt es viele spannende Ansätze zwischen digitalen und physischen Konzepten, die man gut miteinander kombinieren kann. Und es ist sicherlich nicht schädlich, wenn auch frische Ideen aus anderen Regionen nach Europa rüberkommen.
Also kann man sich so einiges abgucken?
Das schadet nicht. China hat eine komplette Generation von Technologien übersprungen. Man ist sofort auf Mobile gegangen und insofern sind die chinesischen Hersteller sehr bewandert in solchen Mobile First Strategien.
Wird das Verbrennerverbot den E-Automarkt gravierend ändern? Erwarten Sie einen Umschwung?
Wir erwarten eine nichtlineare Entwicklung, die bis 2035 in Wellen verlaufen wird, da wir nicht nur das 2035-Ziel haben, sondern auch Zwischenziele. Für das Jahr 2025 ist beispielsweise eine Verschärfung der Flottengrenzwerte vorgesehen, so dass die OEMS aus Eigeninteresse eine zusätzliche Motivation haben werden, den Anteil der E-Fahrzeuge in der Flotte zu erhöhen, um im Mix auf ihre Zielwerte zu kommen. Deswegen wird das Jahr 2024, vor allem hier in Deutschland, ein schwieriges Jahr werden aufgrund des unsicheren Umfelds und hoher Zinsen, die vor allem die Finanzierung erschweren werden.
Es stellt sich aber auch eine andere Frage: Werden wir vor 2035 nicht eine große Delle erleben, weil die Hersteller alle Verbrennervolumina, die sie noch haben, zu extrem günstigen Konditionen in den Markt bringen werden wollen beziehungsweise auch Kunden noch unbedingt den letzten Verbrenner kaufen werden wollen? Ähnliche Tendenzen hat man bereits bei LKW gesehen im Fall von Umstellungen in Bezug auf die Emissionsklassen.
Aktueller Stand ist, dass der Verkauf von Fahrzeugen mit lokalen Emissionen nach 2035 nicht mehr möglich sein wird. Ob diese Vorschriften noch revidiert werden, ist ein Blick in die Glaskugel. Wichtig wäre, dass diese Ziele verlässlich sind. Auch damit sich die Probleme, die wir momentan im Bereich der Ladeinfrastruktur haben, nicht wiederholen. Im Zuge des Förderprogramms des BMDV ist die Schere zwischen den installierten Ladestationen und Ladeparks und dem Fahrzeugbestand dermaßen auseinandergegangen, dass die Ladeleistung deutlich stärker wächst als die Zahl der Fahrzeuge. Das führt natürlich dazu, dass die Ladepunkte derzeit noch relativ überschaubar ausgelastet sind und deren Profitabilität pro Ladepunkt unter Umständen herausfordernd ist. Das Schlimmste, was jetzt passieren könnte, ist, dass man diese Ziele in Frage stellt und dann aus rein wirtschaftlichen Erwägungen bestimmte Ladepunkte wieder abbauen lässt.
Im Nutzfahrzeugbereich hat man sich vorgenommen, dass bis 2030 ungefähr ein Drittel aller Transportleistungen elektrifiziert wird. Wenn man aber die Zahlen über die Neuzulassungen von E-LKW oder LKW mit alternativen Antrieben betrachtet, dann klafft da eine Lücke, die noch viel, viel größer ist als im PKW-Bereich. Das ist auch darauf zurückzuführen, dass die Förderung aktuell eingestellt wurde. Gleichzeitig sind die Preisunterschiede noch eklatant. Wenn man sich jetzt Gedanken zu Förderungen oder Eingriffen in den Markt macht, dann muss man aber die Gesamtklaviatur ausschöpfen. Anreize sollten nicht nur über Kaufprämien geschaffen werden, sondern gerade im Transportgewerbe sollte man die ganze Kette in Betracht ziehen.
Ein Spediteur wird in der Regel erst dann auf einen E-LKW umsteigen, wenn er nur mit dem E-LKW überhaupt Aufträge bekommt oder günstigere TCOs hat. Den Auftraggeber dagegen interessiert nur, dass die Ware von A nach B befördert wird. Die reine Anschaffung des E-LKW zu fördern, ist zu kurz gesprungen, wenn dieser später nicht zum Einsatz kommen kann.
Bonussysteme, Regulierungen und Förderung sollten daher für die Verbesserung von Straßen- und Schieneninfrastruktur verwendet werden, um bestimmte Routen sinnvoll zu dekarbonisieren. Auf Strecken dagegen, die beispielsweise von der Topographie so anspruchsvoll sind, dass sich die Frage stellt, ob es überhaupt sinnvoll ist, einen E-LKW drüber fahren zu lassen, sollte man solche Maßnahmen sein lassen.
Die Ziele sind sehr ambitioniert, umso mehr ist es überraschend, dass bis heute kein klares Programm erkennbar ist, das kurzfristig wirkende Maßnahmen vorsieht. Denn der Weg bis 2030 ist unter Berücksichtigung der Planungszeiträume der Branche nicht mehr sehr lang und viele ganzheitlicheren Ansätze werden ihre Wirkung erst in mehreren Jahrzehnten entfalten.
Wie werden sich die Preise für E-Autos entwickeln? Rechnen Sie mit weiteren Rückgängen?
Ich gehe nicht davon aus, dass wir jetzt in eine immerwährende Abwärtsspirale reinlaufen werden, auch weil der Restwerte- und Gebrauchtmarkt aktuell eine bremsende Wirkung hat. Andererseits, wenn wir die Volumina betrachten, die aus China sowohl für den Export in Vorbereitung sind als auch die Kapazitäten, die vielleicht weiterhin in Europa entstehen, gehe ich kurzfristig nicht wieder von einer kompletten Gegenbewegung aus.
Zudem werden vor allem die neuen reinen Elektro-Marken weiter aggressiv in den Markt drängen und dabei auch niedrigere Margen in Kauf nehmen werden, um sich Marktanteile zu sichern.
All diese Faktoren zusammen führen dazu, dass wir auch in den nächsten Monaten ein eher geringeres Preisniveau beobachten werden. Es gibt aber auch korrigierende Entwicklungen, die diese Tendenz nicht ins Bodenlose treiben.
Eine konkrete Bezifferung gestaltet sich eher schwierig, weil vieles davon abhängt, ob sich neue Marken auf dem Markt etablieren werden oder nicht. Würde ich jetzt eine Zahl nennen, wäre sie sicherlich in zwei Wochen wieder falsch.