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Foto: Dmitry Terekhov/Flickr CC BY-SA 2.0

Der Krieg in der Ukraine bringt neue Probleme in den Lieferketten mit sich. Wer wird am meisten betroffen sein?

Am Mittwochabend kündigte Wladimir Putin in einer Fernsehansprache den Start der „Sonderoperation im Donbass“ in der Ukraine an. Das wird nicht ohne Bedeutung für die globale Lieferketten bleiben. Diese werden nicht nur durch konventionelle Militäraktionen beschädigt werden können, auch russische Cyberangriffe können nicht weniger Schaden anrichten. Unabhängig von der Form des Vorgehens Russlands werden sich die Verluste auf Milliarden Dollar belaufen. Der Krieg im Osten bedeutet auch einen Anstieg der Rohstoffpreise und eine Abschottung von östlichen Märkten und Lieferanten.

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Vor kurzem haben wir über eine mögliche Seeblockade der Ukraine im Falle eines Krieges geschrieben. Die russische Flotte, die das Schwarze Meer beherrscht, ist in der Lage, den Zugang zu ukrainischen Häfen zu versperren, über die bis zu 70 % der Ein- und Ausfuhren unseres östlichen Nachbarn laufen. Das Zentrum für Oststudien kommt in seiner Analyse der möglichen wirtschaftlichen Auswirkungen des Krieges zu dem Schluss, dass eine vollständige Seeblockade der Ukraine Verluste in Höhe von rund 180 Millionen Dollar täglich bescheren würde.

Lieferketten sind der Cyber-Kriegsführung ausgesetzt

Ein bewaffneter Konflikt in der Ukraine dürfte die Lieferketten nicht dramatisch erschüttern oder behindern, da die wichtigsten Seewege (über die mehr als 90 Prozent des Welthandels transportiert werden) weit von einem möglichen Kriegsschauplatz entfernt sind.

Wie jedoch der Konflikt in der Ukraine vor einigen Jahren gezeigt hat, können die Lieferketten trotzdem erheblich leiden. Dabei sind vor allem russische Hacker zu fürchten. Solche Angriffe haben die Stromversorgung der Ukraine in den Jahren 2015 und 2016 destabilisiert.

2017 verbreitete sich ein Cyberangriff auf das ukrainische Steuersystem weltweit und führte zu Unterbrechungen in Häfen und Produktionsstätten auf der ganzen Welt. Zu den Unternehmen, die damals von dem Virus NotPetya betroffen waren, gehörten die Logistikriesen Maersk und Fedex. Der Schaden für die angegriffenen Unternehmen belief sich auf insgesamt mehr als 7 Milliarden US-Dollar. Maersk allein verlor damals rund 300 Millionen Dollar.

Wenn Unternehmen solche Verluste durch die Nebenwirkungen eines Cyberangriffs erlitten haben, dessen Ziel sie gar nicht waren, dann ist nicht auszudenken, was im Falle eines vorsätzlichen Angriffs passieren könnte. Und dies sollte auch im sehr wahrscheinlichen Fall von Vergeltungsmaßnahmen, z. B. bei der Verhängung von Sanktionen gegen Russland durch westliche Länder, nicht ausgeschlossen werden.

Die US-Behörde für Infrastruktur und Cybersicherheit (CISA) warnt US-Unternehmen vor möglichen Cyberangriffen von russischer Seite.

Rohstoffpreise steigen

Die Auswirkungen des in der Luft hängenden Konflikts werden aufgrund des Preisanstiegs bei vielen Rohstoffen definitiv für alle spürbar sein. Öl wird mit Sicherheit teurer werden. Eine von Reuters zitierte Analyse von JP Morgan geht davon aus, dass der Preis für ein Barrel Öl auf bis zu 150 Dollar steigen könnte, was das weltweite BIP-Wachstum in der ersten Jahreshälfte auf nur 0,9 Prozent abbremsen könnte. Zudem würde dies die durchschnittliche Inflation weltweit auf 7,2 Prozent steigern.

Mit dem Anstieg der Ölpreise dürften auch die Gaspreise steigen, was viele europäische Verbraucher treffen wird, die von russischen Lieferungen dieses Brennstoffs abhängig sind. Obwohl die Heizsaison zu Ende geht, ist Gas der wichtigste Brennstoff für die Industrie. Die möglichen Folgen eines Krieges in der Ukraine könnten in vielen Ländern, die Gas aus Russland importieren, zu Problemen bei der Deckung der industriellen Nachfrage nach Gas führen.

Doch nicht nur Kohlenwasserstoffe würden im Falle eines russisch-ukrainischen Krieges teurer werden. Die Ukraine ist weltweit der drittgrößte Exporteur von Mais und der viertgrößte Verkäufer von Weizen.

Russland dagegen ist der größte Exporteur dieses Getreides. Beide Länder exportieren Getreide über die Schwarzmeerhäfen, ebenso wie Kasachstan und Rumänien, zwei weitere große Getreideexporteure. Der Krieg wird wahrscheinlich zu Versorgungsengpässen führen, die die Lebensmittelpreise in die Höhe treiben könnten.

Ein erheblicher Teil des ukrainischen Getreides wird zudem von afrikanischen und asiatischen Ländern importiert. Die Beschränkungen und daraus folgend ein Anstieg der Lebensmittelpreise auf diesen Märkten kann zu sozialen Unruhen in Regionen führen, die scheinbar nichts mit dem osteuropäischen Kriegsschauplatz zu tun haben.

Der Krieg wird sich zweifelsohne auch auf die Metallpreise auswirken. Russland verfügt über etwa 10 % der weltweiten Kupferreserven und ist zudem ein wichtiger Produzent von Nickel und Platin. Die Nickelpreise sind mit rund 25.000 $ pro Tonne bereits heute auf dem höchsten Stand seit mehr als einem Jahrzehnt. Auch der Palladiumpreis ist nach mehreren Monaten des Rückgangs in letzter Zeit wieder gestiegen.

Bezeichnenderweise machen die russischen Exporte dieses Metalls bis zu 45 Prozent der Weltproduktion aus. Dieses Metall wird unter anderem in der Automobilindustrie für die Herstellung von Katalysatoren und in der Elektronikbranche für die Herstellung von integrierten Schaltkreisen verwendet. Ein Exportstopp würde die Chip-Krise verschärfen, was weitere Folgen für den Automobilsektor und die Verfügbarkeit von Fahrzeugen hätte.

Gefahr des Abbruchs der wirtschaftlichen Beziehungen

Es sollte auch nicht vergessen werden, dass viele europäische und amerikanische Unternehmen auf Zulieferer aus der Ukraine und Russland angewiesen sind – und dies keineswegs nur in der Frage der Rohstoffe. Daten der Plattform Interos, die sich mit der Untersuchung von Lieferketten befasst, zeigen, dass rund 1100 US-amerikanische und 1300 europäische Unternehmen mindestens einen Direktlieferanten in Russland haben, jeweils rund 400 Unternehmen haben wichtige Lieferanten in der Ukraine.

Interessanterweise sind nur 6 % der aufgeführten Verknüpfungen mit Öl und Gas verbunden. IT und Software sind das wichtigste Segment dieser Ost-West-Kooperationen (12 Prozent der Verknüpfungen).

Gemessen an der Größe der US-amerikanischen und europäischen Volkswirtschaften machen die Lieferketten, an denen wichtige Lieferanten aus der Ukraine und Russland beteiligt sind, zwar nur 0,75 Prozent der gesamten Handelsbeziehungen westlicher Unternehmen aus. Berücksichtigt man jedoch auch die zweit- und drittrangigen Lieferanten, so ist der Prozentsatz höher. Mehr als 5000 Unternehmen in den Vereinigten Staaten und Europa haben Zulieferer der dritten Ebene auf beiden Seiten des Konflikts, was bereits 2,8 % bzw. 2,4 % entspricht.

In den USA und in Europa gibt es jeweils nur knapp 1000 Unternehmen, die Zulieferer zweiter Ebene aus der Ukraine und aus Russland nutzen, aber diese Zulieferer sind dennoch von mehr als 1200 Zulieferern aus den Konfliktstaaten abhängig.

Jegliche gegen Russland verhängten Sanktionen sowie eine Unterbrechung der Lieferungen aus beiden Ländern aufgrund des Krieges werden also Tausende westliche Unternehmen von der Versorgung abschneiden.

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