In einem von Eurowag erstellten Index der Bereitschaft der europäischen Länder für die Elektrifizierung des Schwerverkehrs dominieren die skandinavischen Länder und die reichen Länder Westeuropas. Am besten vorbereitet ist nach Ansicht von Experten Norwegen. Auf den nächsten Plätzen folgen die Niederlande und die Schweiz. Schweden, Deutschland, Dänemark, Österreich, Belgien, Italien und Portugal befinden sich ebenfalls unter den Top Ten.
Der Index basiert auf einer Bewertung mehrerer Parameter, wie z. B.:
• die Anzahl der Ladestationen für Fahrzeuge, einschließlich solcher mit mehr als 350 kW
• der Anteil der Elektroautos an der gesamten Fahrzeugflotte in einem bestimmten Land
• der entsprechende Prozentsatz von Elektro-LKW in einem bestimmten Land
• die Gesetzgebung für die Elektrifizierung.
Die Fortschritte bei den einzelnen Parametern wurden mit gut, mäßig oder begrenzt bewertet.
Mittel- und Osteuropa hinken leider bei der Vorbereitung auf die Elektrifizierung des Straßenverkehrs weit hinterher. Die Bereitschaft Ungarns wurde hier am höchsten bewertet (Platz 16). In der zweiten Zehnergruppe liegen auf den Plätzen 19 und 20 Litauen und die Slowakei. Polen belegte Platz 22. Das Land wurde bei der Umsetzung der Rechtsvorschriften zur Erleichterung der Elektrifizierung sehr niedrig bewertet. Außerdem wurde es beim Anteil der Elektro-LKW an der gesamten LKW-Flotte (die die größte in Europa ist) überhaupt nicht eingestuft. Bei den Ladestationen (einschließlich derjenigen mit mehr als 350 kW) und der Anzahl der Elektro-LKW wurden die Fortschritte als durchschnittlich eingestuft.
Deutschland erhielt 57 Punkte und schaffte es damit unter die Top 5. An der Spitze platzierte sich Norwegen mit 68 Punkten.
Trotz der relativ guten Bewertung der Länder an der Spitze der Rangliste scheint die Elektrifizierung des Güterverkehrs in ganz Europa noch in den Kinderschuhen zu stecken. Vor allem – wie bereits erwähnt – im östlichen Teil Europas.
Probleme mit der Infrastruktur
Eines der Haupthindernisse für die Elektrifizierung des Schwerverkehrs in der EU ist das Fehlen einer ausreichenden Anzahl von Ladepunkten für Elektrofahrzeuge. Wie die Experten von Eurowag schreiben, entspricht der heutige Zustand der Infrastruktur nicht den Bedürfnissen und Erwartungen der Unternehmen, die mehr Elektrofahrzeuge in ihre Flotten aufnehmen wollen.
Im Jahr 2022 gab es in Europa fast eine halbe Million öffentlich zugänglicher Ladestationen für Elektroautos. Fast die Hälfte davon befindet sich in drei westeuropäischen Ländern – den Niederlanden (114.000 Punkte), Deutschland (84.000) und Frankreich (81.000). Dennoch ist die überwiegende Mehrheit dieser Ladestationen aus Sicht der LKW-Bedürfnisse ineffizient.
Bei der Elektrifizierung des Schwerverkehrs ist nicht nur die Anzahl der Ladestationen entscheidend, sondern auch deren Leistung und Qualität. Damit ein Fahrer beispielsweise die Batterie eines Elektro-LKW mit einer durchschnittlichen Kapazität von 400 kWh während der regulären 45-minütigen Zwangspause vollständig aufladen kann, müsste das Ladegerät eine Leistung von 750 kW oder mehr haben. Ist die Ladekapazität geringer, führt das Aufladen von Elektro-Lkw auf der Straße zu erheblichen Verzögerungen, unterstreicht Tomasz Góralewicz, Sales Excellence Manager bei Eurowag Polen.
Nicht nur eine Frage der Anzahl
Das Problem mit den Ladepunkten liegt nicht nur an ihrer Anzahl in Europa. Experten argumentieren, dass eine bloße Erhöhung ihrer Anzahl die Elektrifizierung des Schwerverkehrs weder beschleunigen noch erleichtern wird.
Zwar gibt es in Europa eine halbe Million Ladestationen für Elektrofahrzeuge, aber nur 3 600 davon verfügen über eine Leistung von mehr als 350 kW, die für ein schnelles und effektives Aufladen der Lkw-Batterien erforderlich ist. Außerdem sind diese sehr ungleichmäßig über den Kontinent verteilt – die meisten befinden sich in den Benelux-Staaten. Mittel- und Osteuropa ist ein weißer Fleck. In dieser Kategorie ist übrigens nicht nur unsere Region auf das Laden zahlreicher LKW schlecht vorbereitet. Selbst Deutschland, Frankreich oder die iberische Halbinsel, die über relativ viele Ladestationen der niedrigsten Leistung bis 40 kW verfügen, können kein dichtes Netz der leistungsstärksten Ladestationen vorweisen.
Aktuell ist die Flotte der Elektrofahrzeuge in Europa noch relativ klein. Im Jahr 2021 waren auf dem Alten Kontinent weniger als 1.000 Elektro-LKW zugelassen. Zu diesem Zeitpunkt bestanden nur 0,24 Prozent der EU-LKW-Flotte aus Elektrofahrzeugen. Dennoch schätzt die Unternehmensberatung McKinsey, dass ihr Anteil an allen Lkw-Zulassungen in der EU im Jahr 2025 bei 4 Prozent liegen wird. Bis 2030 könnte diese Zahl auf 37 Prozent steigen.Eurowag schätzt, dass ein solcher Ausbau bedeutet, dass im Jahr 2025 bis zu 8.000 leistungsstarke Ladestationen speziell für Lkw gebaut werden müssen. Im Jahr 2030 wären dies bereits 20.000 Punkte.
Der Aufbau der Ladeinfrastruktur für Elektro-LKW ist mit erheblichen Kosten verbunden. Nach den von Eurowag zitierten Zahlen von McKinsey liegen die Kosten für eine solche Station zwischen 200.000 und 350.000 Euro. Trotz dieser hohen Kosten nehmen die Fahrzeughersteller den Aufbau der Ladeinfrastruktur zunehmend selbst in die Hand. Daimler Truck, Traton und Volvo haben erklärt, dass sie gemeinsam ein Netz von 1.700 Punkten aufbauen wollen, was sie bis zu 500 Millionen Euro kosten dürfte.
Noch ein „aber“
Die Herausforderungen und Probleme beschränken sich jedoch nicht nur auf die Anzahl der Ladepunkte und die Leistung der Ladegeräte selbst. Auch die Größe und Zuverlässigkeit der Ladestationen ist ein wichtiges Thema. Es ist zu bedenken, dass große Fahrzeuge in vielen Fällen nicht neben die Ladestationen an Tankstellen passen. Infolgedessen ist die Zahl der tatsächlich für den Schwerlastverkehr geeigneten Ladestationen deutlich geringer als die oben genannten 3600, so dass die Ziele der EU zur Verringerung der Emissionen und zur Förderung des emissionsfreien Verkehrs nur schwer zu erreichen sein dürften.Hinzu kommt, dass bis heute keine Datenbank mit Ladestationen für Elektro-LKW eingerichtet wurde.
Und das ist noch nicht alles. Ein weiterer problematischer Faktor ist die Frage der Zuverlässigkeit. Zeit spielt beim Transport eine äußerst wichtige Rolle, und Verspätungen können sehr kostspielig sein (auch für den Ruf des Transportunternehmens). Die Transportunternehmen können es sich nicht leisten, lange Stopps an Ladestationen einzulegen. Daher könnte die Buchung von Ladepunkten im Voraus bald zum Standard werden.
Eine 2021 von Shell und Deloitte durchgeführte Umfrage unter 150 Führungskräften des Transportsektors ergab, dass 80 Prozent der Befragten den fehlenden Zugang zu Ladestationen für Elektrofahrzeuge als Haupthindernis für die Dekarbonisierung des Straßengüterverkehrs nannten, betonen die Autoren des Eurowag-Berichts.
Tomasz Góralewicz betont, dass Spediteure keine Investitionen in ein Fahrzeug riskieren werden, wenn sie nicht sicher sein können, dass sie es auftanken oder aufladen können. Seiner Meinung nach wird die Umstellung des Verkehrs auf emissionsfreie Fahrzeuge nicht ohne massive und milliardenschwere Investitionen erfolgen.
Und die Dekarbonisierung des Schwerverkehrs ist angesichts der bestehenden CO2-Reduktionsziele der EU notwendig. Der Straßenverkehr ist heute für 53 Prozent der Kohlendioxidemissionen im Welthandel verantwortlich, und allein die Lkw verursachen 70 Prozent der CO2-Emissionen im europäischen Verkehr.
Der Rückstand bei der Elektrifizierung im östlichen Teil des Kontinents ist ebenfalls ein großes Problem für den EU-Verkehr. Dieses Problem ist umso dringlicher, als dass die polnischen Spediteure im Straßenverkehr in Europa führend sind. Sie befördern ebenfalls einen beträchtlichen Anteil der Ladungen zwischen den westlichen Ländern. Hinzu kommt, dass Spediteure aus Rumänien, Litauen oder der Tschechischen Republik ebenfalls einen beachtlichen Anteil am grenzüberschreitenden Verkehr innerhalb der EU haben.