Der Fall: Ein LKW-Fahrer eines Sattelzugs mit Auflieger (zulässige Gesamtmasse über 3,5 Tonnen) befuhr die Bundesautobahn A 94 und überholte zwei vor ihm fahrende Fahrzeuge. Für den Überholvorgang benötigte er insgesamt eine Zeitspanne von mehr als 1 Minute, wodurch es zu einem „Rückstau“ mehrerer Fahrzeuge kam. Nach dem Einscheren auf die rechte Spur betrug der Abstand zu dem vor ihm fahrenden Fahrzeug bei einer Geschwindigkeit von mehr als 50 km/h weniger als zehn Meter. Dazu, an welchem Tag und zu welcher Uhrzeit sich der Vorfall ereignete, verhält sich das Urteil nicht.
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Das Amtsgericht Mühldorf a. Inn hat den Betroffenen LKW-Fahrer am 10. Juli 2023 wegen fahrlässig begangenen Ordnungswidrigkeit des Nichteinhaltens des Mindestabstands von 50 m zum vorausfahrenden Fahrzeug gemäß § 4 Abs. 3 StVO „und“ des Überholens, obwohl die gefahrene Geschwindigkeit nicht wesentlich höher war als die des überholten Fahrzeugs, gemäß § 5 Abs. 2 Satz 2 StVO zur Geldbuße von 200 Euro verurteilt und gegen ihn ein einmonatiges Fahrverbot nach Maßgabe des § 25 Abs. 2a StVG verhängt. Mit seiner gegen diese Verurteilung gerichteten Rechtsbeschwerde rügt der Betroffene die Verletzung materiellen Rechts.
Einschätzung nach Gefühl reicht nicht
Das Bayerische Oberlandesgericht (BayObLG) gab dieser Rechtsbeschwerde statt, mit der Begründung, dass einerseits die Tatzeit nicht ausreichend konkretisiert ist, was bereits materiell-rechtlich fehlerhaf ist.
Darüber hinaus ist die Beweiswürdigung in mehrfacher Hinsicht rechtsfehlerhaft, u.a. sei unklar, wie der Polizeibeamte zu der Feststellung gekommen sei, der Überholvorgang habe zu lange gedauert und eine rein gefühlsmäßig geschätzte Zeitdauer wegen der damit verbundenen Unsicherheiten nicht ausreichend ist. Demgemäß hätte es näherer Feststellungen dazu bedurft, wie der Polizeibeamte zu der zeitlichen Einschätzung, etwa durch „Mitzählen“, die Zuhilfenahme einer Uhr oder dergleichen, gelangt ist.
Der Gerichtsbeschluss zeigt damit, dass der Vorwurf genau erörtert werden muss, auf welcher Grundlage der Zeuge die Überholzeit eingeschätzt hat. Ein Gefühl allein reicht nicht aus.
Überholmanöver sind auf Bundesautobahnen nur dann erlaubt, wenn der Überholende mit wesentlich höherer Geschwindigkeit unterwegs ist als der Überholte.