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Kurzinterview: Der Abschwung wird die Lieferketten beeinträchtigen

Was lief gut und was lief schief im Jahr 2022 in der Transport- und Logistikbranche? Und was wird das Jahr 2023 mit sich bringen? Heute gibt Wolfgang Lehmacher seine Einschätzung ab.

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Natalia Jakubowska, Trans. iNFO: Wie blicken Sie auf das Jahr 2022 zurück?

Wolfgang Lehmacher, Supply Chain and Technology Strategist: Das Jahr 2022 war anstrengend. Zusätzlich zu den zwei doch recht schwierigen Jahren mit Corona-bedingten Beschränkungen, machen sich nun in den globalem Lieferketten auch die Folgen des Ukraine-Krieges bemerkbar. Aber wem sage ich das?

Aber neben der Tatsache, dass die bewährten Hände in der Supply Chain und Logistikbranche die Welt der Waren trotz aller Widrigkeiten in Bewegung hielten, gab es noch andere, für mich sehr wichtige Höhepunkte im Jahr 2022. Damit meine ich den Bereich Dekarbonisierung. Im ersten Halbjahr 2022 haben Mikael Lind und ich zusammen mit Experten aus aller Welt am «Practical Playbook for Maritime Decarbonisation» gearbeitet. Dem Playbook folgten dann im zweiten Halbjahr eine Reihe von Artikeln.

Parallel zu unserer Arbeit sahen wir mit Freude, dass in Europa weitere positive Ergebnisse bei der Dekarbonisierung der Lieferketten erzielt wurden. Konkret meine ich die verstärkten Bestrebungen einiger Pioniere, wie Maersk und Lufthansa, in diesem Bereich, aber insbesondere begrüße ich die Einbeziehung von Schifffahrt und Straßentransport in das EU-Emissionshandelssystem. Nach einem 10 Jahre langen Kampf werden Emittenten auf See durch den EU-Beschluss nun doch zur Kasse gebeten. Zwei Wochen zuvor hatte das Europaparlament für eine Überarbeitung des EHS für den Luftverkehr gestimmt. EU-Flughäfen sollen einen Mindestanteil an nachhaltigen Flugkraftstoffen verwenden: zwei Prozent ab 2025, 37 Prozent bis 2040 und 85 Prozent bis 2050.

Was ist Ihr persönliches Branchenwort des Jahres?

Freefall. Damit meine ich den Ratenverfall in der Containerschifffahrt. Das sind die Folgen der Covid-Politik in China, der vollen Warenlager und des wirtschaftlichen Abschwungs. Der Freefall hat ja für viel Furore gesorgt und wird mit seinen Folgen auch im neuen Jahr nachwirken. Denn dann werden die Frachtverträge mit den Schifffahrtslinien neu verhandelt.

Was erwarten Sie mit Blick auf die Transport- und Logistikbranche für 2023?

Der Abschwung wird die Lieferketten beeinträchtigen und somit auch die Transport- und Logistikbranche. Aber Disruptionen sind ja mittlerweile Tagesgeschäft. Somit erwarte ich auch in 2023 gute Fahrt für gute Waren. Allerdings schaue ich mit Sorge auf die geopolitische Entwicklung. Und dies nicht nur aus der Perspektive der Branche, sondern aus der Perspektive der Menschheit. Die Welt braucht Konsens und Koordination, nicht Zersplitterung. Nur so können wir die enormen Herausforderungen meistern. Das ist mein Appell an die Politik, sich trotz der schwierigen Lage auf Diplomatie zu besinnen.

In puncto Nachhaltigkeit erwarte ich im nächsten Jahr Fortschritte, denn was beschlossen wurde, muss jetzt umgesetzt werden.

Digitalisierung ist heute ebenfalls Tagesgeschäft. In diesem Bereich werden wir bei den LogTech-Startups weitere Konsolidierung sehen. Obwohl die Unternehmen Innovationen in schwierigen wirtschaftlichen Zeiten eher zurückstellen, wird der Druck seitens der neuen Umweltvorschriften bewirken, dass sich bei KlimaTech doch einiges bewegen wird.

Welche Aktivitäten und Projekte stehen bei Ihnen für das Jahr 2023 auf der Agenda?

Ich werde auch weiterhin Menschen und Unternehmen unterstützen, die bei Digitalisierung und Nachhaltigkeit weiterkommen möchten. Dazu ist zusätzliche Forschung gefordert und natürlich auch Praxisarbeit, die hilft die Hypothesen mittels Echtdaten zu validieren.

2023 werde ich zudem zwei Buchprojekte finalisieren. Eines zum Thema Circular Economy, das ich in deutscher Sprache zusammen mit Johann Bödecker schreibe. Und eines in englischer Sprache über die maritime Dekarbonisierung, welches mich und meine Co-Editoren Mikael Lind und Robert Ward derzeit in Bewegung hält. Bei dem letztgenannten Buch werden wir von einer langen Liste von Co-Autoren unterstützt.

Mikael und ich arbeiten auch noch an einem Projekt, das zum Ziel hat, die Visibility und Nachhaltigkeit entlang maritimer Korridore zu erhöhen. Dieses Projekt wird voraussichtlich über zwei Jahre laufen, was viel Zeit für zusätzliche Berichterstattung bieten wird. Und um Nachhaltigkeit geht es dabei natürlich auch.

Welche Tipps würden Sie Unternehmen für ein erfolgreiches Geschäftsjahr 2023 geben?

Die neuen Zeiten gehören den agilen Unternehmen. Digitalisierung spielt dabei eine entscheidende Rolle. Denn ohne die Kombination von Mensch und Maschine sind Agilität und Resilienz kaum zu erreichen. Von Hochleistungen gar nicht zu sprechen. Daher sollte dieses Thema zusammen mit der Qualifizierung von Mitarbeitern, einschließlich der Führungskräfte, im Vordergrund stehen.
Darüber hinaus wird Nachhaltigkeit zum Muss – und nicht nur Compliance wegen. Ich bin davon überzeugt, dass sich durch die Fokussierung auf Nachhaltigkeit, d. h. auf Bestleistungen in den Bereichen Ökologie, Soziales und Ökonomie, Wettbewerbs- und Leistungsvorteile erreichen lassen und sich mittelfristig ohne diese erweiterte und ausgeglichene Orientierung kaum ein Unternehmen über Wasser halten kann. Ich würde mich freuen, wenn dies zum Trend würde, und wünsche den Menschen in der Transport- und Logistikbranche ein erfolgreiches Jahr 2023!

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