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Der Krieg in der Ukraine hat das bestehende Problem des Fahrermangels weiter verschärft

Das Problem des Fahrermangels spitzt sich in Deutschland immer mehr zu. In weniger als fünf Jahren könnten sogar bis zu 185.000 Fahrer*innen fehlen. Und das kann schlimme Folgen haben.

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Deutschland ist eines der Länder, das am stärksten vom Fahrermangel betroffen ist. Es handelt sich jedoch um ein europaweites Problem.

Nach jüngsten Berichten der Internationalen Straßentransport-Union (IRU) über den Fahrermangel in Europa sind 425.000 Stellen unbesetzt. Dies entspricht fast 10 Prozent des gesamten Fahrer-Personals auf dem Alten Kontinent. Auch die Prognose der IRU ist nicht optimistisch – es wird erwartet, dass diese Zahl in diesem Jahr auf 14 Prozent steigt.

Schätzungen der IRU zufolge fehlten in Deutschland zwischen 57.000 und 80.000 Fahrer*innen. Damit lag Deutschland in Europa auf Platz 3-4. Schlechter war die Situation Ende 2021 im Vereinigten Königreich (80-100.000) und in Polen (80.000) sowie in Rumänien (71.000). Der Prozentsatz der unbesetzten Stellen im Verhältnis zur Gesamtzahl der beschäftigten Fahrer*innen liegt in Deutschland bei 9 Prozent und damit leicht unter dem europäischen Durchschnitt. Dies ist deutlich besser als in Rumänien (19 Prozent), Polen (11 Prozent) und dem Vereinigten Königreich (9,7 Prozent).

Das Problem verschärft sich

Zum Vergleich: vor zwei Jahren fehlten in Deutschland zwischen 45.000 und 60.000 Fahrer*innen. Eine Verschärfung des Problems ist offensichtlich. Angesichts der Anzahl der Fahrer*innen, die jährlich in den Ruhestand gehen, prognostiziert die IRU, dass in Deutschland bis zum Jahr 2027 bis zu 185.000 Fahrer*innen fehlen könnten!

Dies ist auf die Altersstruktur der im Fahrerberuf tätigen Personen zurückzuführen. Diese Alterspyramide ist definitiv nicht günstig und verheißt nichts Gutes für die nahe Zukunft. Der Bundesverband Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen (BGA) schätzt, dass in Deutschland jedes Jahr rund 30.000 Kraftfahrer*innen in den Ruhestand gehen. Viel schlimmer noch, ein Drittel aller Kraftfahrer*innen sind über 55 Jahre alt, was bedeutet, dass innerhalb von 10 Jahren mehr als 30 Prozent der heute aktiven Fahrer*innen aus dem Markt ausscheiden. Und es sind keine Nachfolger in Sicht. Ende 2020 waren nach Angaben des Statistischen Bundesamtes nur 3 Prozent aller beschäftigten LKW-Fahrer*innen Fahrer*innen unter 25 Jahren.

Mangelnde Attraktivität des Berufs

Für diesen geringen Zustrom an Nachwuchs werden schlechte Arbeitsbedingungen, niedrige Löhne und ein schlechtes Image der Branche verantwortlich gemacht. Was erstere betrifft, so werden junge Menschen von langen Zeiten, die sie unterwegs sind, dem Arbeiten fern von zu Hause und ihrem Wohnort, ständigem Stress und Zeitdruck abgeschreckt.

Was die Löhne anbelangt, so liegt das Gehalt der Fahrer*innen leider unter dem Durchschnitt der Gesamtbevölkerung. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes verdienten vollzeitbeschäftigte Fachkräfte im Güterverkehr im Jahr 2020 durchschnittlich 14,21 Euro brutto pro Stunde, während angelernte Kräfte ohne entsprechende Ausbildung 12,91 Euro erhielten. Das ist deutlich weniger als z. B. bei Facharbeitern. Tatsächlich lag der durchschnittliche Bruttostundenlohn für sie in diesem Zeitraum bei 19,97 Euro und für Geringqualifizierte bei 16,02 Euro – und damit höher als für Arbeitskräfte im Transportwesen. Umgerechnet auf den Monatsverdienst kann ein Kraftfahrer*innen rund 2.600 Euro pro Monat verdienen, während Arbeitnehmer in anderen Branchen mit ähnlicher Erfahrung und Betriebszugehörigkeit bis zu 600 Euro bekommen. Und das bei einem viel weniger stressigen und anspruchsvollen Job.

Ein Mittel gegen die Krise?

Hinzu kommt, dass der Beruf des Berufskraftfahrer*innen stark männerdominiert ist und für die Hälfte der beruflich aktiven Bevölkerung praktisch unzugänglich bleibt. Während der Frauenanteil auf dem Arbeitsmarkt in Deutschland insgesamt 47 Prozent beträgt, liegt er im Verkehrssektor bei nur 3 Prozent, was die Zahl der potenziellen neuen Mitarbeiter, die die wachsende Lücke füllen könnten, erheblich einschränkt.

Die Arbeitgeber versuchen daher, sich durch die Anwerbung von Fahrer*innen aus dem Ausland zu retten. Schätzungen zufolge fahren rund 120.000 ausländische Fahrer*innen, hauptsächlich aus Osteuropa, für deutsche Frachtführer. Das Problem bei der Rekrutierung neuer Fahrer*innen ist jedoch, dass die meisten europäischen Länder ebenfalls unter einem Mangel an LKW-Fahrer*innen leiden. Dazu gehört auch Osteuropa, das üblicherweise ein Reservoir für Deutschland und andere westliche Länder ist. Wie aus den IRU-Daten hervorgeht, gehören Polen und Rumänien jedoch zu den Ländern, in denen dieses Problem am akutesten ist. Normalerweise wurden auch Arbeitskräfte aus der noch weiter östlich gelegenen Ukraine, eingesetzt. Die Situation dort hat sich aber im Februar dieses Jahres dramatisch verändert.

Und wer glaubt, dass osteuropäische LKW-Fahrer*innen von der Arbeit in Deutschland träumen und mit Blick auf ein besseres Leben an den Rhein strömen, der irrt. Nach Daten, die im März dieses Jahres von der polnischen Organisation Transport und Logistik Polen (TLP) veröffentlicht wurden, unterscheidet sich der Verdienst von Fahrer*innen in Polen, die auf internationalen Strecken unterwegs sind, nicht mehr wesentlich von dem in Deutschland, wenn sie in Europa fahren. Ein polnischer Fahrer, der solche Transporte durchführt, kann 12.000 – 15.000 polnischer Zloty (umgerechnet etwa 2466 – 3084 Euro) pro Monat verdienen. Das ist minimal weniger als im Westen, aber Faktoren wie die Trennung von der Familie, die Arbeit in einem fremden Land, die Notwendigkeit der Umstellung – all dies zusammen macht die westlichen Gehälter nicht mehr so attraktiv, wie sie es einmal waren.

Negative Folgen der Entscheidungen in der EU

Die Verfügbarkeit von Fahrer*innen auf dem deutschen Markt wird auch von EU-Entscheidungsträgern beeinflusst. Ihre Entscheidungen machen die Situation nicht leichter. Neue Vorschriften, die im Februar dieses Jahres als Teil des so genannten Mobilitätspakets eingeführt wurden, beeinträchtigen die Verfügbarkeit von Fahrer*innen auf dem deutschen Markt durch neue Kabotageregeln. Nach den neuesten Vorschriften darf ein Frachtführer im Anschluss an eine grenzüberschreitende Beförderung innerhalb von sieben Tagen drei Kabotagebeförderungen in dem Land durchführen, in das er eine Ladung gebracht hat. Danach muss er eine „Abkühl-Phase/Cooling-Off-Phase“ von vier Tagen einhalten.

Darüber hinaus sieht das Mobilitätspaket vor, dass das Fahrzeug alle acht Wochen zur Niederlassung zurückkehren muss. Diese Vorschriften, die ursprünglich dazu gedacht waren, Frachtführer aus Westeuropa vor der billigeren Konkurrenz aus dem Osten zu schützen, könnten sich nun als Schuss ins eigene Knie erweisen, da sie den Pool an Fahrer*innen einschränken, die zu einem gegebenen Zeitpunkt Ladungen in Europa befördern können.

Die Folgen des Krieges in der Ukraine

Allerdings spiegeln die Statistiken über den Fahrermangel den Ernst der Lage nicht vollständig wider. Dies liegt daran, dass sie die Auswirkungen des Krieges in der Ukraine nicht berücksichtigen. Und dieser hat das Verkehrs- und Transportwesen sehr stark beeinflusst, unter anderem im Hinblick auf die Verfügbarkeit von Fahrer*innen. Mit dem Ausbruch des Krieges sind Tausende von Ukrainern zurückgekehrt, um ihr Heimatland zu verteidigen. Darunter waren viele LKW-Fahrer*innen. Das bedeutet eine zusätzliche Abwanderung von Fahrer*innen aus dem Markt und eine Verschärfung des Personalmangels..

Im April dieses Jahres schätzte Dirk Engelhardt, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes Güterkraftverkehr, Logistik und Entsorgung (BGL), dass ukrainische Fahrer*innen 7 Prozent aller Fahrer*innen in Deutschland ausmachen.

Darüber hinaus hat die Abwanderung der ukrainischen Fahrer*innen den polnischen Transportmarkt, der stark mit Westeuropa verbunden ist, besonders hart getroffen. Nach Schätzungen der Branchenorganisation Transport und Logistik Polen (TLP) waren vor dem Ausbruch des Kriegs rund 110.000 Fahrer*innen aus der Ukraine für polnische Frachtführer im internationalen Verkehr tätig. Die Organisation schätzt, dass 30 Prozent von ihnen das Land verlassen haben könnten.

Und was hat das mit dem Mangel an Fahrer*innen in Deutschland zu tun? Polen ist der größte Exporteur von Verkehrsdienstleistungen in Europa. Nach Angaben der IRU entfallen rund 20 Prozent der auf dem Alten Kontinent durchgeführten Transporte auf polnische Frachtführer. Polnische Transportunternehmen sind die mit Abstand größte ausländische Gruppe, die auf deutschen Straßen unterwegs ist. In der ersten Hälfte dieses Jahres entfielen 18,7 Prozent des LKW-Verkehrs auf deutschen Mautstraßen auf polnische Frachtführer. Dabei ist zu berücksichtigen, dass Zehntausende von ukrainischen Fahrer*innen für polnische Frachtführer im internationalen Verkehr fahren. Das bedeutet, dass viele der Fahrer*innen, die im Auftrag polnischer Transportunternehmen in Deutschland unterwegs waren, wahrscheinlich auch Ukrainer waren. Ihre Abwanderung bedeutet ein geringeres Verkehrsangebot auf der Strecke von Polen nach Deutschland sowie möglicherweise weniger Kabotagefahrten polnischer Güterkraftverkehrsunternehmen in Deutschland.

Was bedeutet das?

Ein Mangel an Fahrer*innen könnte schwerwiegende Folgen für die Wirtschaft haben. Einen Vorgeschmack dessen, was passieren könnte, haben wir Ende letzten Jahres im Vereinigten Königreich beobachtet. Kilometerlange Warteschlangen an den Tankstellen, da diese aufgrund des Fahrermangels nicht mit Kraftstoffen versorgt werden konnten. Oder leere Regale in den Geschäften zur Weihnachtszeit. Das sind natürlich extreme Situationen, aber verzögerte Lieferzeiten könnten schon normal werden. Darüber hinaus macht sich der Fahrermangel auch in der Bauindustrie bemerkbar. Lieferverzögerungen bedeuten z. B. längere Bauzeiten, was z. B. bei Straßenbauarbeiten oder Fahrbahnerneuerungen zu häufigeren Staus führt, die von allen Bürgern wahrgenommen werden.

Magazin zum Thema Fachkräftemangel

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