Das Phänomen des Fahrermangels ist in der EU schon seit vielen Jahren bekannt. Im Jahr 2008 schätzte die Europäische Kommission den Mangel an Fahrern in den EU-Mitgliedstaaten auf 74.000. Der aktuelle Mangel in der Industrie liegt jedoch bereits bei 400.000 Fahrern. Das bedeutet, dass der Mangel an Arbeitskräften im Transportgewerbe in den letzten 15 Jahren innerhalb der Europäischen Gemeinschaft um mehr als 440 Prozent zugenommen hat.
Allein in Deutschland fehlten im Jahr 2008 etwas mehr als 7.000 Fahrer, heute fehlen verschiedenen Schätzungen zufolge zwischen 80.000 und 100.000. In 2027 werden in der Bundesrepublik 185.000 Lkw-Fahrer fehlen, prognostiziert die International Road Transport Union (IRU). – Setzt sich dieser Trend fort, fehlen in zehn Jahren mehr als 230.000 LKW-Fahrer, rechnet Prof. Dirk Engelhardt, Vorstandssprecher von BGL, vor.
Die Transportindustrie befindet sich an einem Scheideweg. Die Gründe für den Personalmangel in den Unternehmen sind bekannt, aber die Maßnahmen zur Verbesserung der Marktsituation kommen so langsam voran, dass sie für die Wirtschaft kaum bemerkbar sind. Es ist nicht einfach, neue Mitarbeiter für die Branche zu gewinnen, besonders, weil der Beruf des LKW-Fahrers ein sehr schlechtes Image hat. Aus diesem Grund müssen Unternehmen auf Maßnahmen zurückgreifen, die für die Entscheidung der Fahrer über die Wahl des Arbeitsplatzes gar nicht im Mittelpunkt stehen: die Erhöhung der Löhne.
Löhne der Fahrer und Personalkosten
Das Gehalt von LKW-Fahrern variiert in der EU sehr stark und hängt von vielen Faktoren (Größe des Transportunternehmens, Betriebszugehörigkeit und Arbeitssystem, zusätzliche Qualifikationen der Arbeitnehmer) und Komponenten (Grundgehalt, Zuschläge für Bereitschaftsdienst, Überstunden, Nachtarbeit, Reisekostenerstattung) ab. Der wichtigste Faktor ist jedoch der unterschiedliche wirtschaftliche Entwicklungsstand in den Mitgliedstaaten. In den Peripherieländern sind die Löhne viel niedriger als in den Ländern, die vor dem Beitritt der neuen Mitglieder im Jahr 2004 zur Europäischen Union gehörten.
Nach Angaben des französischen Comité National Routier (CNR) verdienten Fahrer aus Luxemburg vor der Pandemie die höchsten Gehälter in Europa (unter Berücksichtigung von Zulagen und Grundgehalt, aber ohne andere Gehaltsbestandteile). Ihr Jahresgehalt erreichte in diesem Zeitraum 43.958 €. Es folgten Fahrer aus Italien (40.700 €) und Belgien (39.589 €). Am wenigsten verdienten Arbeitnehmer in Bulgarien (15.186 € pro Jahr), Litauen (16.130 €) und Rumänien (16.693 €). Die westlichen Bundesländer liegen an fünfter Stelle (37.264 € pro Jahr), die östlichen Bundesländer an sechster Stelle (33.393 €).
Betrachtet man hingegen die Personalkosten, so sind diese für Arbeitgeber in Belgien am höchsten. Hier betragen die Kosten für die Beschäftigung eines Arbeitnehmers (Gehalt und Sozialversicherungsbeiträge des Arbeitnehmers, arbeitgeberfinanzierte Sozialversicherungskomponenten und andere Gehaltsbestandteile) 55.810 € pro Jahr. Die geringsten Kosten haben Arbeitgeber in Mittel- und Osteuropa (Bulgarien, Rumänien, Litauen, Ungarn, Tschechische Republik, Polen) zu tragen.
Schwankungen der Fahrerlöhne in Deutschland
Deutschland gehört zu den Mitgliedstaaten, in denen die Fahrerlöhne zu den höchsten in Europa zählen und regelmäßig steigen, obwohl das Problem der Unterbezahlung auf dem Markt seit langem besteht. Im Jahr 2020 verdienten die Fahrer durchschnittlich 14,21 € pro Stunde. Im Vergleich dazu lag der durchschnittliche Bruttostundenlohn für Facharbeiter auf dem Markt bei 19,97 € und für angelernte Arbeiter bei 16,02 €. LKW-Fahrer verdienten im Durchschnitt 2.623 € brutto im Monat, während Arbeitnehmer mit vergleichbarer Ausbildung und Erfahrung 3.286 € erhielten. Frauen, die nach Ansicht vieler Verkehrsverbände eine der Lösungen für den Arbeitskräftemangel in der Industrie sind, verdienen weniger. Laut dem Bericht “Fahrerlöhne” von 2020 erhielten Fahrerinnen damals 91,72 Prozent des Gehalts ihrer männlichen Kollegen.
Inzwischen hat sich die Situation im Jahr 2022 geändert. Laut einer Studie der Personalvermittlungsplattform Jobmatch.me stiegen die Gehälter von Kraftfahrern im ersten Quartal dieses Jahres um durchschnittlich 100 € im Vergleich zum letzten Quartal 2021. Die größten Steigerungen gab es im Saarland (um 125 €) und in Berlin (um 100 €). In Brandenburg, Hamburg und Niedersachsen fielen die Gehaltssteigerungen mit 75 € etwas geringer aus. Erwähnenswert ist, dass die Gehälter in Baden-Württemberg im ersten Quartal 2022 die Grenze von 3.000 € brutto überschritten haben. Im vergangenen Jahr schwankten die Fahrerlöhne zwischen 2.650 € (in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern) und 2.975 € (in Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen).
Beobachtet man die Stellenanzeigen auf den Jobbörsen, so liegen die Gehälter für LKW-Fahrer in Deutschland derzeit bei durchschnittlich 3.000 bis 4.000 € brutto im Monat, wobei Fahranfänger laut dem Portal Stern selten mehr als 1.800 € verdienen. Erfahrene Fahrer, die lange Strecken fahren oder gefährliche Güter transportieren, können mit einem höheren Verdienst rechnen. Ihre Gehälter können monatlich bis zu 5.000 € betragen. Bemerkenswert ist auch, dass ein Alleinstehender (Steuerklasse I) im Durchschnitt 100-250 € weniger verdient als ein verheirateter Arbeitnehmer (Steuerklasse III).
Die Unterbezahlung ist seit vielen Jahren ein Thema in der öffentlichen Diskussion. Frank Huster, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands Spedition und Logistik (DSLV), hat noch im vergangenen Jahr die niedrigen Löhne in der Branche kritisiert. “Die Lohnentwicklungen kommen der allgemeinen Preisentwicklungen nicht nach”, wird Huster von n-tv zitiert. Grund dafür ist seiner Meinung nach der hohe Wettbewerbsdruck, insbesondere durch Transportunternehmen aus Osteuropa, die noch ein anderes Sozial- und Lohngefüge haben. Nach Ansicht von Experten ist die Unterbezahlung einer der Hauptgründe für den Fahrermangel. Auf Anfrage des Bundestags-Verkehrsausschusses erklärte Ronny Keller von der Bundesfachgruppe Speditions-, Logistik-, Kurier-, Express- und Paketdienste im Namen der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft, dass das fehlende Interesse an diesem Beruf auf “niedrige Löhne, schlechte Arbeitsbedingungen, zu wenig Respekt gegenüber den Fahrern und die schwierige Vereinbarkeit von Beruf und Familie” zurückzuführen sei.
Die Antwort darauf ist der Beschluss des Bundestages, der den Mindestlohn in Deutschland ab dem 1. Oktober auf 12 € pro Stunde erhöht hat. Dies ist die dritte Mindestlohnerhöhung in diesem Jahr. Ab 1. Januar stiegen die Löhne von 9,60 € auf 9,82 € pro Stunde. Am 1. Juli erfolgte eine weitere Erhöhung auf 10,45 €. Der vom Bundestag beschlossene neue Satz entspricht einer Erhöhung von 22 Prozent gegenüber dem Satz zu Beginn dieses Jahres.
Erhöhungen von Fahrerlöhnen in Europa
Auch in anderen Ländern steigen die Löhne auf dem Arbeitsmarkt im Transport- und Logistiksektor. In Polen, das die größte LKW-Flotte in der EU betreibt, stiegen die Fahrergehälter 2021 im Vergleich zum Vorjahr um ein Drittel. Der Bericht “Einkommen von Berufskraftfahrern in Polen 2021” zeigt, dass ein Berufskraftfahrer im vergangenen Jahr in Polen durchschnittlich 6.300 PLN (1.320 € nach dem Wechselkurs von Ende September) verdiente. Einer neueren Studie zufolge (“Straßenverkehr in Polen 2021+”) liegt das Durchschnittsgehalt eines Fahrers derzeit bei 7.200 PLN netto. Auf internationalen Strecken zahlen die polnischen Unternehmen zwischen 7.000 und 11.000 PLN (2.400 €), wobei in Zeiten des Fahrermangels teilweise schon 3.200 bis 3.500 € netto monatlich geboten werden. Darüber hinaus hat Polen beschlossen, den Mindestlohn anzuheben – ab dem 1. Januar 2023 wird der Mindestlohn 3.490 PLN brutto (rund 730 €) betragen, ab dem 1. Juli 2023 – 3.600 PLN brutto (ca. 750 €), was einem Anstieg von 16 bzw. 19 Prozent entspricht.
Auch in anderen osteuropäischen Ländern verändern sich die Bedingungen auf dem Arbeitsmarkt. Zu Beginn des Jahres 2020 wurde der Lohn für internationale Fahrer in Litauen von 130 Prozent auf 165 Prozent des Mindestlohns angehoben (Litauen ist das einzige Land in Europa, das eine sogenannte Lohnquote für Fahrer anwendet). Ab dem 1. Januar 2022, mit der Erhöhung des Mindestlohns auf 730 €, stieg das Grundgehalt der Fahrer auf 1.204 € brutto. Im nächsten Jahr wird der Mindestlohn um weitere 110 € netto steigen. Derzeit beträgt die Tagespauschale auf europäischen Strecken in Litauen durchschnittlich 70 €, wobei der Betrag je nach Region und Unternehmen zwischen 60 € und 90 € pro Tag schwankt. Bei einem durchschnittlichen Tagessatz von 70 € liegt das Monatsgehalt für Fahrer in Litauen derzeit bei 1.633 € netto (zum Vergleich: laut CNR European Studies lag dieses 2019 bei 1.344,16 € einschließlich Zulagen).
Vieles hängt aber auch vom jeweiligen Unternehmen ab. Europas größtes Transportunternehmen Girteka hat die Gehälter der Fahrer in diesem Jahr bereits dreimal erhöht und kündigt für das kommende Jahr weitere Änderungen der Arbeitsbedingungen an. – Die Tatsache, dass die Gehälter jetzt mehrmals im Jahr revidiert werden, zeigt, wie wichtig dieses Element ist und wie sehr es an Bedeutung gewonnen hat. Die Gesamtsteigerung der Fahrergehälter in der Organisation im Jahr 2022 beträgt 30-40 Prozent (…). Wir möchten viele Arbeitssuchende oder diejenigen, die sich umschulen lassen wollen, ermutigen, Kraftfahrer zu werden. Wir planen mehrere Projekte, aber dazu bald mehr”, sagte Tomasz Weber, Leiter der Kommunikationsabteilung von Girteka, gegenüber Trans.INFO.
Ein anderer großer osteuropäischer Frachtführer, Waberer’s, hat das Vergütungssystem für seine Mitarbeiter vollständig geändert. Im August dieses Jahres gab das Unternehmen bekannt, dass seine Fahrer zwischen 1.900 und 2.500 € verdienen können, je nach Land, in das sie fahren, und je nach zusätzlich gefahrenen Kilometern sowie ihren Fähigkeiten. Seit dem 1. August zahlt Waberer’s den Fahrers einen einheitlichen Tagessatz, unabhängig vom Wochentag (bisher zahlte das Unternehmen an Sonn- und Feiertagen weniger). Der neue Tagessatz beträgt mehr als 73 € für Fahrer, die im grenzüberschreitenden Verkehr tätig sind, aber nicht ins Vereinigte Königreich fahren und keine ADR-Transporte durchführen.
Auch Frachtführer aus westlichen Ländern entscheiden sich für Lohnänderungen. Das monatliche Gehalt in Italien beträgt ab dem 1. Oktober 2021 für die Kategorie III Super 1.750,37 €. Fahrer in niedrigeren Kategorien verdienen weniger – 1.703,51 €. Fahrer auf internationalen Strecken erhalten am meisten – durchschnittlich 2.100-2.500 € pro Monat. In der Praxis haben die Unternehmen jedoch viel höhere Kosten zu tragen. Ein Unternehmen im norditalienischen Brescia, das 50 neue Fahrer einstellen wollte, hat beispielsweise allen neuen Mitarbeitern eine hohe Prämie angeboten, die je nach Qualifikation zwischen 5.000 und 6.000 € liegt. Was die sonstigen Arbeitsbedingungen anbelangt, so wurde ein Nettogehalt von 3.500 €, ein 13. und 14. Monatsgehalt und das Fahren neuer LKW angeboten. Dem Frachtführer gelang es, innerhalb weniger Wochen alle Fahrer zu finden.
Die Situation im Vereinigten Königreich ist in vielerlei Hinsicht einzigartig. Die Krise, die durch den Fahrermangel, den Brexit und die Pandemie verursacht wurde, hat einige Arbeitgeber dazu veranlasst, neuen Mitarbeitern bis zu 350 € Tageslohn anzubieten. Darüber hinaus bieten die Unternehmen Prämien für neue Fahrer an (z. B. Tesco 1.180 €, DHL 1.760 €). Es gibt auch Fälle,, in denen Fahrern Gehälter von bis zu 82.000 € pro Jahr oder 31,39 € pro Stunde angeboten werden. Es sei daran erinnert, dass der Mindestlohn im Jahr 2020, also vor der Krise, je nach Dienstalter zwischen 6,45 und 8,72 Pfund (7,58-10,25 € zum Wechselkurs vom Oktober 2021) lag. Damals lag das Durchschnittseinkommen von Berufskraftfahrern – je nach Fahrzeugtyp – zwischen 1.600 und 2.400 Pfund (1.880-2800 €) pro Monat. Unterdessen stiegen die Gehälter der Fahrer im Vereinigten Königreich im ersten Quartal des vergangenen Jahres um 5,7 Prozent.
In Frankreich sind die Gehälter im Transportsektor in diesem Jahr zweimal gestiegen – im Februar um 5 Prozent und im Mai um 1 Prozent. Frankreich stellt in dieser Hinsicht eine Ausnahme dar, denn zum einen ist die Lohnerhöhung vor allem auf zahlreiche Proteste der Beschäftigten im Transportgewerbe zurückzuführen und zum anderen ist die regelmäßige Erhöhung der Löhne in diesem Land gesetzlich festgelegt. Das bedeutet, dass die Gehälter in Frankreich unabhängig von der Marktlage schwanken. Zum Vergleich: Ein Vollzeit-Fernfahrer erhielt in 2018 durchschnittlich 2.443 € brutto, also um 2,9 Prozent mehr als in 2017. Die Fahrer im Regionalverkehr erhielten im Durchschnitt 2.339 € brutto, d.h. um 4,9 Prozent mehr als im Vorjahr. Derzeit beträgt der Stundensatz 10,85 € für Fahrer von Fahrzeugen mit einer zGM bis zu 19 Tonnen, 10,87 € für Fahrer von Fahrzeugen mit einer zGM über 19 Tonnen und 11,12 € für hochqualifizierte Arbeitnehmer. Noch im Januar 2022 lag der Satz bei 10,57 €.
Auch in anderen europäischen Ländern steigen die Fahrerlöhne. Das Grundgehalt für LKW-Fahrer in Spanien ist in den letzten fünf Jahren von 960 € auf 1.400 € pro Monat gestiegen. Zusammen mit Prämien, die von der Art des Auftrags abhängen, können die Fahrer in diesem Land nun mit einem Verdienst von mehr als 2.000 € rechnen. Auch in Skandinavien sollen die Löhne im Transportgewerbe steigen. Allein in Schweden werden die Löhne der Fahrer in den nächsten fünf Jahren schätzungsweise um 15 Prozent steigen. Im Jahr 2020 konnten die Fahrer in diesem Land 2.800 € verdienen. Zum Vergleich: In Norwegen verdienen Fahrer derzeit rund 3.780 € brutto (37 540 Kronen), in Finnland 4.500 € pro Monat und in Dänemark können sie bis zu 5.300 € (40 000 dänische Kronen) erwarten.
Die letzten Jahre stellten für die Transportindustrie eine große Herausforderung dar. Der Verkehrsmarkt musste lernen, mit Krisensituationen umzugehen. Wir haben den durch die Pandemie verursachten wirtschaftlichen Zusammenbruch überstanden, aber es liegen noch viele andere Herausforderungen vor uns. Eine davon – neben der Energiekrise in der EU und der politischen Krise in Osteuropa – ist der Mangel an Fahrern und die Verhinderung einer Situation, wie sie im vergangenen Jahr auf dem britischen Markt eingetreten ist, als die Waren in den Geschäften knapp wurden und das Militär in die Lieferkette eingebunden werden musste. Dies liegt nicht nur in der Verantwortung der Politik, sondern auch der Unternehmen, von denen es abhängt, ob sie den Arbeitsmarkt arbeitnehmerfreundlich gestalten oder ob neue Wellen der Abwanderung von Arbeitskräften ausgelöst werden.