Der Konflikt in der Ukraine hat das chinesische Projekt er Neuen Seidenstraße schwer getroffen. In den ersten Wochen des Krieges kam der Verkehr auf der Strecke praktisch vollständig zum Erliegen. Seitdem hat sich der Schienenverkehr zwischen der EU und dem Reich der Mitte zwar wieder erholt, liegt aber immer noch auf einem viel niedrigeren Niveau als vor dem Krieg. Die beförderte Menge war in den ersten neun Monaten des Jahres 2022 um 35 Prozent geringer als im gleichen Zeitraum des Vorjahres.
Dies scheint eine schlechte Nachricht für den Terminal in Małaszewicze zu sein, über den der Großteil der aus China kommenden Fracht abgewickelt wird. Sollte sich der milliardenschwere Ausbau des Terminals aufgrund des rückläufigen Verkehrsaufkommens auf dieser Strecke als Verlustgeschäft erweisen? Nun – ganz im Gegenteil.
Małaszewicze an der polnisch-belarussischen Grenze hat nicht nur seine beherrschende Stellung beibehalten, sondern ist auch praktisch zum einzigen Eingangspunkt für Waren in die EU geworden” – schreibt der Autor des Kommentars Jakub Jakóbowski von Zentrum für Oststudien.
Während in den letzten Jahren mit Małaszewicze konkurrierende Routen in die EU auftauchten, z. B. über ein Terminal in Kaliningrad, ein Verteilungszentrum der Postsendungen aus China in Litauen oder eine Route über die Ukraine nach Ungarn, wurden alle diese Optionen nach dem Ausbruch des Krieges de facto eliminiert. Und Małaszewicze hat die Abwicklung dieser Waren übernommen, wenn auch bei einem insgesamt geringerem Volumen auf der Strecke aus China.
Deutschland verliert
Der Mengenrückgang traf die deutschen Logistikzentren, die auf den Handel mit hochwertigen Produkten ausgerichtet sind, deutlich härter. Jakóbowski erklärt, dass die deutschen Drehkreuze in Duisburg und Hamburg vom Export von Industriegütern (vor allem der Automobilindustrie) nach China und Russland lebten. Der russische Fall ist allgemein bekannt, aber, so Jakóbowski, auch das Volumen der Exporte aus der EU nach China auf der Schiene ging insgesamt um 65 Prozent zurück, bei den Fahrzeugexporten waren es sogar 95 Prozent. Dies ist unter anderem darauf zurückzuführen, dass die Automobilunternehmen den Transport durch russisches Gebiet fürchten. Die Exporteure suchen nach alternativen Routen, unter anderem über den so genannten Zentralkorridor.
Małaszewicze, wo weniger wertvolle Waren nach China exportiert werden, verliert dagegen nicht so stark, da diese Produkte nach wie vor ins Reich der Mitte geliefert werden. Darüber hinaus hat das Volumen der Ausfuhren aus China in die EU nicht so stark gelitten wie bei den in die umgekehrte Richtung gesandten Waren. Die Exporte aus China auf den Alten Kontinent, die über Małaszewicze abgewickelt werden, lagen nach neun Monaten 2022 um 17 Prozent unter dem Vorjahreswert.
Aus den Daten des polnischen Eisenbahnverkehrsamtes geht hervor, dass von Januar bis August 2022 in Małaszewicze 20 Prozent weniger Züge abgefertigt wurden als im Jahr zuvor.
Jakóbowski warnt jedoch davor, sich zu sehr über die Probleme der deutschen Hubs zu freuen. Denn eine solche Situation könnte langfristig zu einer Schwächung des Austauschs zwischen Deutschland und China und zu einer Schwächung der deutschen Lobby für den Handel mit Peking führen. Und dies wiederum würde alle europäischen Länder treffen, auch Polen und das Drehkreuz in Małaszewicze.
Das russische Zünglein an der Waage
Jakóbowski weist noch auf ein weiteres Problem hin. Der Rückgang des Schienenverkehrs zwischen China und der Europäischen Union wird nämlich durch den Anstieg des chinesischen Handels mit Russland ausgeglichen (Volumenwachstum von 18 % im Zeitraum Januar – September 2022). Infolgedessen wird der Verkehr auf den russischen Eisenbahnstrecken immer stärker – und Russland räumt seinen eigenen Transporten Vorrang ein. Der Austausch zwischen Europa und China über die Neue Seidenstraße hängt stark von den Beziehungen der Gemeinschaft zu Russland ab. Die alternativen Routen von China nach Europa (insbesondere der Zentralkorridor) sind noch nicht in der Lage, diejenigen Frachtmengen zu übernehmen, die aus dem durch Russland und Weißrussland nach Małaszewicze verlaufenden nördlichen Korridor herausfallen.
Der Experte des Zentrums für Oststudien kommt zu dem Schluss, dass sich die nächste Gelegenheit für ein deutliches Wachstum im Verkehr zwischen der EU und China erst nach dem Ende des Krieges in der Ukraine und sogar erst nach einem Regimewechsel im Kreml ergeben wird.
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