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Foto: Port of Los Angeles

Ist die Normalisierung der Lieferketten bereits in Sicht? Nicht wirklich – ein schreckliches Szenario immer noch möglich

Wie die Ergebnisse einer Analyse des Beratungsunternehmens McKinsey zeigen, werden Lieferketten bestenfalls bis Ende des laufenden Jahres zur Normalität vor der Pandemie zurückkehren. Im schlimmsten Fall könnte dies aber erst 2024 der Fall sein. Bis dahin werden die Preise auf ihrem derzeit überhöhten Niveau verharren.

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Wann können wir ein Zurück zu einer Vor-Corona-Normalität erwarten? Um diese schwierige Frage beantworten zu können, haben die Unternehmensberater von McKinsey die Situation der globalen Lieferketten seit dem Ausbruch der Pandemie analysiert und vier Szenarien für die Entwicklung möglicher Ereignisse in den kommenden Jahren vorbereitet.

Gemäß dem ersten Szenario wird eine schnelle Rückkehr zu dem Vor-Pandemie-Niveau aus dem Jahr 2019 angenommen. Sollte dies der Fall sein, so könnten wir von einem Beginn der Rückkehr zur Normalität in der Logistik bereits in den ersten Monaten des laufenden Jahres sprechen. Bis zum Ende des dritten Quartals könnte die globale Supply Chain wieder ein Gleichgewicht erreichen.

Damit sich dieses Szenario verwirklichen kann, werden folgende Faktoren als unerlässlich genannt:

  • Eine Verlangsamung der Verbrauchernachfrage und kein plötzlicher Bedarf an Waren – dies wird den Lieferketten Ruhe verschaffen;
  • Logistikunternehmen werden die Nachfragelücke nutzen, um Staus und verspätete Container zu beseitigen;
  • Es wird zu keinen externen unerwarteten Phänomenen (wie Pandemie, klimatische Faktoren, Blockade des Suezkanals usw.) kommen.

Laut diesem Szenario werden die Containerraten auf den Spot- und Vertragsmärkten für den größten Teil des Jahres 2022 auf dem aktuellen Niveau bleiben. Sie werden nach dem dritten Quartal dieses Jahres deutlich sinken – auf ähnliche Niveaus wie vor der Pandemie.

Die Normalität könnte etwas teurer werden

Gemäß dem zweiten Szenario würde sich die Transportkapazität im dritten Quartal 2023 normalisieren. In diesem Fall könnten aber die Frachtraten ca. 25 Prozent höher als im Jahr 2019 sein.

Laut dieser Vorhersage würden die Eingriffe von Regulierungsbehörden, Häfen, Bahn und Frachtführern die Überlastung in den Häfen durch die Freisetzung von Containern (Kapazität) etwas verringern. Darüber hinaus werden die Transportkapazitäten im Jahr 2023 durch den Einsatz der neuen, im letzten Jahr bestellten Schiffe zunehmen.

Gleichzeitig würde aber die Verbrauchernachfrage, im Unterschied zum Szenario Nr. 1 weiter ansteigen, wodurch sich die Situation der Lieferketten langsamer entspannen könnte. Bei dieser Prognose wurde auch von unerwarteten externen Phänomenen wie Wettereinflüssen oder arbeitsmarktbezogenen Herausforderungen (Personalmangel, Streiks), zu denen es gelegentlich kommen könnte, ausgegangen.

Die Preise werden nicht mehr sinken

In dem dritten Szenario (langsamer Wiederaufbau der Transportkapazität) wurde angenommen, dass sich das Angebot an Transportkapazitäten erst im ersten Quartal 2024 normalisieren wird. Dann würden aber die Frachtraten ca. 50 Prozent höher als vor der Pandemie 2019.

In diesem Fall würden die Containerraten sowohl im ganzen Jahr 2022 als auch im größten Teil des Jahres 2023 auf hohem Niveau bleiben.

Eventuelle Eingriffe von Regulierungsbehörden und Marktteilnehmern würden keine größere Wirkung zeigen, und der Einsatz neuer Schiffe in der Seeschifffahrt würde die Situation nicht wesentlich verbessern. Zudem würde die Nachfrage nach asiatischen Produkten in Europa und Nordamerika weiter steigen, wodurch die Logistik keine Ruhepause erleben könnte. Bei dieser Version von Ereignissen wird auch mit kleinen, kurzfristigen Unterbrechungen der Lieferketten aufgrund unerwarteter Ereignisse gerechnet.

Version wie aus einem Albtraum

Das letzte und zugleich schrecklichste Szenario geht davon aus, dass sich die Situation in den globalen Lieferketten bis Ende 2024 nicht normalisiert und die Transportkapazität nicht wieder auf das vorherige Niveau zurückkehrt. Externe Interventionen und Handlungen der Marktteilnehmer würden keine Wirkung zeigen, Häfen würden immer noch überfüllt sein und die Frachtführer wären nicht in der Lage, Häfen von überfälligen Containern zu befreien, was sich negativ auf die Belastbarkeit auswirken würde. Darüber hinaus würde die Verbrauchernachfrage weiter ansteigen, und es würde zusätzlich zu gelegentlichen Nachfragespitzen in einigen Sektoren kommen.

All dies würde verursachen, dass Wartschlangen auf Reeden und Containerstaus in Häfen eine neue Normalität bedeuten könnten. Zudem könnte das Angebot an Transportkapazitäten wegen des Ausstiegs einiger Eigner von Schiffen mit traditionellem Antrieb schrumpfen. Dazu würden noch unerwartete externe Faktoren regelmäßig auftreten.

Was können Verlader tun?

Realistisch gesehen sollten sich die Verlader darauf vorbereiten, dass hohe Frachtpreise, Probleme beim Zugang zu Schiffsladeräumen und überfüllte Häfen ein Jahr oder sogar anderthalb Jahre anhalten werden. Importeure und Exporteure gehen auf unterschiedliche Art und Weise mit den heutigen Herausforderungen um. Viele entscheiden sich dafür, ihre Sendungen zu kleineren Häfen zu verschiffen, die zwar weiter von ihrem Ziel entfernt sind, aber aufgrund guter Kommunikation Zeit sparen lassen. Andere hingegen chartern ihre eigenen Schiffe (keine Containerschiffe, die nicht verfügbar sind), sondern auf den Transport von Stückgut spezialisierte Einheiten, die für den Transport von Containern umgerüstet werden können.

Zum interessanten Thema wurde die diesjährige Vertragssaison. Die Reeder bieten Verträge an, die nicht nur höhere Preise als in den Vorjahren enthalten, sondern auch langfristiger sind. Die Verlader stehen also vor dem Dilemma, welches der oben beschriebenen Szenarien sich verwirklichen wird. Die Analysten von McKinsey raten einen gemischten Ansatz, bei dem nur ein Teil des Volumens sofort vergeben werden sollte. Mit dem Rest der Verträge sollte man bis Mai warten (um zu sehen, ob die Preise weiter sinken werden) und wenn nötig, den Spotmarkt nutzen

Die Autoren des Berichts (der sich hauptsächlich auf den amerikanischen Markt konzentriert) schlagen Importeuren vor, ihre Bezugsquellen zu diversifizieren – auch durch Nearshoring, also die Verlagerung von Produktion und Lieferungen in geografisch näher gelegene Regionen.

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