Die Herausforderungen im Welthandel bleiben 2023 groß: Die Mehrheit der deutschen Exporteure (74 Prozent) stufen Lieferkettenschwierigkeiten und logistische Hürden weiterhin als Top-Risiko ein. Zu diesem Ergebnis kommt die zweite Auflage der „Allianz Trade Global Survey“ , eine Umfrage des weltweit führenden Kreditversicherers Allianz Trade unter knapp 3.000 Exporteuren in Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien, Polen, Großbritannien und den USA. 2022 hatte Allianz Trade die große Exportumfrage erstmals veröffentlicht.
Bei fast drei Vierteln (73 Prozent) der befragten deutschen Unternehmen wächst vor allem die Sorge vor Protektionismus wie zum Beispiel in Form von steigenden Einfuhrzöllen. Vor dem Ukraine-Krieg 2022 sorgten sich nur rund 20 Prozent der Exporteure um Handelsbarrieren, nach Kriegsbeginn waren dies rund 35 Prozent. Große Risiken sehen die deutschen Exporteure zudem im Fachkräftemangel, in fehlender oder teurer Finanzierung, beim Mangel an benötigten Produktionsmaterialien sowie in Reputationsrisiken (jeweils 71 Prozent), dicht gefolgt von politischen Risiken und hohen Energiekosten (jeweils 70 Prozent). Aber auch die Angst vor Zahlungsausfällen sowie rechtliche, regulatorische und ESG-Anforderungen und hohe Transportkosten treiben deutsche Exportunternehmen um (jeweils 68 Prozent).
Neben Schatten gibt es aber auch Licht, und es tun sich für die deutschen Exporteure neben zahlreichen Risiken auch Chancen auf. Während die deutsche Wirtschaft seit Anfang 2023 in einer Rezession steckt, wächst der Welthandel mit +0,7 Prozent beim Volumen immerhin noch (+3,8 Prozent im Jahr 2022) – wenngleich der Wert der weltweit gehandelten Waren und Dienstleistungen trotz Inflation mit -0,1 Prozent leicht schrumpfen dürfte (2022: +9,7 Prozent).
Welthandel: Achterbahnfahrt statt Höhenflug – viele Herausforderungen zu meistern
Der Welthandel gleicht weiterhin einer Achterbahnfahrt. Als exportstarke Nation ist Deutschland besonders abhängig von der Entwicklung am Weltmarkt sowie von internationalen Lieferketten. Insofern bereiten die wirtschaftlichen und geopolitischen Unsicherheiten den hiesigen Unternehmen Sorgen, und sie müssen aktuell viele Bälle in der Luft halten. Die gute Nachricht ist: Die deutschen Exporteure haben schon in der Vergangenheit gezeigt, dass sie sich auf neue Herausforderungen und rasche Veränderungen einstellen können – auch wenn diese nicht spurlos an ihnen vorbeigehen, sagt Milo Bogaerts, CEO von Allianz Trade in Deutschland, Österreich und der Schweiz.
So haben sich die Umsatzerwartungen im Vergleich zum Vorjahr deutlich eingetrübt: Während 2022 noch 84 Prozent der befragten deutschen Exporteure relativ optimistisch waren und einen Umsatzanstieg erwarteten, sind es 2023 nur noch etwas mehr als die Hälfte der Exporteure (54 Prozent). Auch global haben sich die Umsatzerwartungen verschlechtert. So sehen noch 70 Prozent der weltweit befragten Unternehmen steigende Umsätze im Jahr 2023. 2022 waren es noch 80 Prozent.
Risiko gestiegen: Fast die Hälfte der deutschen Exporteure rechnet mit mehr Zahlungsausfällen
92 Prozent der befragten deutschen Exporteure sehen Zahlungsausfälle insgesamt als Herausforderung (2022: 93 Prozent), rund sieben von zehn Unternehmen (68 Prozent) erwarten, dass dies ihr Geschäft moderat bis erheblich beeinträchtigen dürfte.
Fast die Hälfte der deutschen Exporteure (46 Prozent) rechnet 2023 mit zunehmenden Zahlungsausfällen – in der ersten Befragungswelle vor dem Ukraine Krieg waren dies Anfang 2022 noch 30 Prozent. Weltweit sorgen sich rund 40 Prozent der befragten Unternehmen um mehr Zahlungsausfälle (Anfang 2022: 29 Prozent). Damit sind die Erwartungen deutscher Unternehmen diesbezüglich pessimistischer als die ihrer internationalen Pendants – wohl auch aufgrund der starken Exportabhängigkeit und der weltweit zuletzt sehr deutlich verschlechterten Zahlungsmoral.
Die Rentabilität der Unternehmen gerät zunehmend unter Druck durch die schwache Nachfrage in Kombination mit steigenden Zinsen und einer restriktiveren Vergabe von Krediten. Die Zentralbanken erhöhen die Zinssätze weiter, um die Inflation zu bekämpfen. In diesem Zusammenhang stellen sich Unternehmen eindeutig auf längere Exportzahlungsfristen und ein höheres Zahlungsausfallrisiko im Jahr 2023 ein. Dies deckt sich mit unserer Prognose, dass die weltweiten Insolvenzen 2023 um 21 Prozent steigen dürften, sagt Aylin Somersan Coqui, CEO der Allianz Trade Gruppe.
Steigende Unsicherheit verdirbt Appetit auf neue Märkte und Nachhaltigkeit
Diese wirtschaftliche Unsicherheit dämpft das Interesse an neuen Märkten. Zwar planen mit 49 Prozent immer noch etwa die Hälfte der befragten Unternehmen, neue Exportmärkte zu erschließen – im Vorjahr waren es mit 73 Prozent aber noch fast drei Viertel von ihnen.
Neue Exportmärkte zu erschließen, liegt zwar in der DNA deutscher Unternehmen, aber angesichts der vielen Unsicherheiten konzentrieren sich die deutschen Unternehmen bei ihren Geschäftsaktivitäten und Investitionen derzeit vor allem auf bestehende Märkte und Produktionsstätten.Der Fokus liegt außerdem ganz klar auf dem eigenen Geschäft, auf finanzieller Stabilität und Risikokontrolle. Themen wie zum Beispiel ESG spielen aktuell – zumindest noch – eine Nebenrolle, sagt Bogaerts.
90 Prozent der deutschen Exporteure davon aus, dass regulatorische Risiken wie ESG-Anforderungen 2023 Auswirkungen auf ihr Geschäft haben werden, 68 Prozent erwarten sogar moderate bis erhebliche Auswirkungen. Trotzdem erwägt nur etwa ein Fünftel der befragten Unternehmen (21 Prozent), ihre Lieferkette auf Basis von ESG-Kriterien zu verändern, und nur rund ein Viertel (24 Prozent) plant, die ESG-Kriterien an Zulieferer zu verschärfen.
ESG: Fokus vor allem auf kurzfristige Aktivitäten – aber grüne Transformation nimmt Fahrt auf
Die Hauptprioritäten bei den ESG-Maßnahmen drehen sich immer noch um kurzfristige Aktivitäten, wie beispielsweise umweltfreundlichere Transportmittel, verschärfte ESG-Standards für Lieferanten oder die Verbesserung der Gesundheits- und Sicherheitsstandards innerhalb der Lieferkette. Aber auch strukturellere Maßnahmen wie die Entwicklung nachhaltiger und innovativer Produkte und Dienstleistungen sowie die Verringerung des eigenen CO2-Fußabdrucks haben Priorität, sagt Somersan Coqui.
Durch die Energiekrise hat allerdings die „grüne Revolution“ deutlich an Fahrt aufgenommen: 82 Prozent der befragten deutschen Unternehmen gab an, dass sie die Energiewende im eigenen Unternehmen vorantreiben und fossile durch grüne Energieträger ersetzen wollen.
Lieferkettenproblematik liegt schwer im Magen – aber Near- und Friendshoring nur Nebenrolle
Lieferkettenschwierigkeiten und logistische Hürden liegen Unternehmen in Deutschland besonders schwer im Magen und stellen erneut das Top-Risiko der Umfrage. Viele der befragten deutschen Unternehmen haben deshalb bereits Maßnahmen ergriffen, um die eigene Lieferkette weiter zu stabilisieren. Neben der Analyse der eigenen Lieferkette und der engen Überwachung der finanziellen Entwicklung der Zulieferer gehört auch die zunehmende Überprüfung auf ESG-Kriterien zu den häufigsten Schritten – aber auch „Hamstern“ gehört weiterhin zu den beliebtesten Risikopräventionsmaßnahmen.
Trotz der Befürchtungen, dass sich überschneidende Krisen eine Deglobalisierung auslösen könnten, sind eine komplette Neuordnung von Lieferketten oder die Verlagerung von Produktionsstandorten die am wenigsten favorisierten Optionen, sagt Ana Boata, weltweite Leiterin Economic Research bei Allianz Trade.
Nur bei 28 Prozent der befragten deutschen Unternehmen stehen Maßnahmen wie eine (teilweise) Verlagerung ihrer Produktionsstätten oder eine Neuordnung der Lieferkette tatsächlich auf der Tagesordnung. Die Veränderungsbereitschaft ist bei denjenigen Unternehmen besonders groß, deren Lieferketten moderat bis erheblich von Auswirkungen der Energiekrise betroffen sind.