Die Arbeit der Zusteller*innen ist körperlich oft sehr anstrengend. Viele und auch schwere Sendungen müssen täglich zugestellt werden. Zusätzlich stehen Zusteller*innen oft wegen fehlender legaler Haltemöglichkeiten in der Nähe der Zustelladressen unter Druck. Schwer nachzuvollziehen ist auch die immer wieder geringe Wertschätzung der Leistung der Mitarbeiter*innen durch Kunden, Empfänger und manche Beteiligte im Straßenverkehr.
Zur KEP Branche zählen ca. 18.000 Unternehmen. 80 Prozent der Wertschöpfung konzentrieren sich jedoch auf nur ca. 20 Unternehmen. Dazu gehören beispielsweise DPD, GLS, Hermes, UPS, Deutsche Post, DHL. Diese Unternehmen stehen besonders im Brief- und Paketgeschäft in einem erbittert geführten Preiswettbewerb. Die Erlöse pro Sendung sind deshalb für die meisten Anbieter wenig auskömmlich. Den Erlös- und Kostendruck geben die meisten dieser 20 Unternehmen an oft kleine Subunternehmer weiter. Sie erhalten in der Regel eine kaum auskömmliche Vergütung für die Beförderung von Sendungen. Deshalb machen fehlende Deckungsbeiträge Investitionen beispielsweise in bessere Arbeitsbedingungen sehr schwierig bis unmöglich. Viele Beschäftigte arbeiten deshalb im Niedriglohnbereich.
Schon die Entwicklungen der letzten Jahre hat den Druck auf die Unternehmen der KEP-Branche beispielsweise im Hinblick auf Kostensteigerungen, Bewältigung der Folgen der Corona-Pandemie, Personalmangel, Verlagerung erheblicher Anteile der Sendungsmengen in das B2C-Geschäft erheblich vergrößert. Der aktuell dramatische Anstieg der Kosten für Energie, Fahrzeuge und andere Betriebsmittel in Kombination mit Personalmangel, dem Anstieg des Mindestlohns in 2022 um über 22 Prozent auf 12 Euro pro Stunde, der zunehmende Verkehr sowie die anstehenden Investitionen in klimafreundliche Transportmittel und Arbeitsabläufe stellen die Branche vor extreme Herausforderungen. Noch zeichnet sich nicht ab, wie dieser gordische Knoten gelöst wird und sich dabei die Arbeitsbedingungen verbessern, anstatt sich weiter zu verschlechtern.
Wichtige Voraussetzungen für bessere Arbeitsbedingungen in der KEP Branche sind
- Verbesserung der Ertragslage der KEP-Unternehmen,
- Rechtsrahmen und Verwaltungshandeln spiegeln das ausgewogene Interesse aller Beteiligten wider,
- Wirksame Rechtsdurchsetzung gegenüber allen Marktteilnehmern.
Verbesserung der Ertragslage der KEP-Unternehmen
Bei einer besseren Ertragslage der KEP Unternehmen stehen zusätzliche Mittel für Investitionen in Arbeitsmittel, Weiterbildung, Lohnzusatzleistung oder höhere Lohnzahlungen bereit. Die Ertragslage kann sich durch Kostensenkung und/oder Steigerung der Einnahmen verbessern. Geschäftsmodelle, die darauf basieren, dass sich genügend selbstausbeuterisch tätige Subunternehmen sowie am absolut unteren Ende der Lohnskala entlohnte Beschäftigte finden, sollten so modifiziert werden, dass sie betriebswirtschaftlich sinnvoll zu akzeptablen Arbeitsbedingungen fortgeführt werden können oder aber eingestellt werden.
Dabei müssen auch „heilige Kühe“ geschlachtet werden. Beispielsweise rechnet sich die exklusive Zustellung von Tageszeitungen bis 7 Uhr bei sinkender Abonnentenzahl betriebswirtschaftlich immer weniger. Spätere Verbundzustellung in Kombination mit anderen Sendungen oder der Umstieg auf digitale Abos können hier Lösungen darstellen. Die Einnahmeseite besonders bei Subunternehmen lässt sich durch den Ausbau von Fachkenntnissen bei der Kalkulation von Leistungen sowie in der Verhandlungsführung mit Auftraggebern verbessern. Die gebündelte Zustellung von Sendungen kann die Effizienz und damit die Ertragslage auf der letzten Meile steigern. Aktuell lässt jeder Dienstleister einzeln seine wenigen Sendungen zu inzwischen meistens unauskömmlichen Vergütungen zu.
Rechtsrahmen und Verwaltungshandeln müssen das ausgewogene Interesse aller Beteiligten widerspiegeln
Der Rechtsrahmen für den KEP-Markt spiegelt derzeit nicht die ausgewogenen Interessen aller Beteiligten wider. Die wettbewerbsgerechte Überarbeitung des Postgesetzes muss nach Jahren der Verzögerung endlich umgesetzt werden. Aktuell schützt es zu Lasten der Wettbewerber die Privilegien der Deutschen Post AG. Der Staat handelt hier als wichtiger Aktionär der Deutschen Post AG einseitig im eigenen Interesse und nicht im Interesse des Marktes und der Gesellschaft.
Die Inhalte des Paketbotenschutzgesetzes wurden im Interesse der marktbeherrschenden Systemanbieter so weit zurechtgestutzt, dass es sich auf reine Symbolpolitik ohne tatsächliche Wirkung für bessere Arbeitsbedingungen von Zusteller*innen reduziert. Gesetze, deren Kern bessere Arbeitsbedingungen für Zusteller sind, müssen an diesen Interessen und nicht an den Interessen beispielsweise der Systemgeber ausgerichtet sein.
Kommunen müssen Verkehrsflächen viel mehr als bisher unter Berücksichtigung der KEP- bzw. aller Wirtschaftsverkehre umverteilen. Dazu braucht es mehr fachkundige Spezialisten, eine schlüssige Gesamtstrategie, Mut und Durchsetzungsstärke. Derzeit erfolgt die Umverteilung von Verkehrsflächen zu oft ohne Berücksichtigung des Wirtschaftsverkehrs. Beispielsweise entfallen Haltmöglichkeiten für die Zustellung und Abholung von Sendungen. Die Verwaltung scheut zu oft nötige Einschränkungen des zunehmenden Individualverkehrs.
Analog dazu muss auch die Straßenverkehrsordnung legalen Wirtschaftsverkehr ermöglichen. Aktuell sind weder Ladezonen, noch andere Möglichkeiten für den kurzzeitigen Halt bei der Zustellung oder Abholung von Sendungen geregelt. Wirtschaftlich sinnvolle Aktivitäten von KEP-Diensten sind oft nicht ohne Verstoß gegen die STVO umsetzbar. Der Gesetzgeber verschärft Regelungen und Strafmaß, ohne Möglichkeiten zum rechtskonformen Handeln zu eröffnen. Strafzahlungen für Verstöße durch Zusteller*innen können ohne weiteres die Höhe eines Tageslohns erreichen. Das erzeugt zusätzlichen Druck auf die Zusteller und verschlechtert die Arbeitsbedingungen erheblich.
Die Systematik von Ausschreibungen muss dahingehend weiterentwickelt werden, dass nicht das billigste, sondern das Angebot den Zuschlag erhält, welches nachhaltig und unter kaufmännischen Gesichtspunkten gesetzestreu realisierbar ist.
Wirksamere Rechtsdurchsetzung gegenüber allen Marktteilnehmern
Die wirksamere Umsetzung und Durchsetzung bestehender und durchaus sinnvoller Regelwerke durch die Behörden gegenüber allen Marktteilnehmern ist eine wichtige Voraussetzung für bessere Arbeitsbedingungen. Behörden und Politik sind gefordert, mehr Ressourcen dafür bereit zu stellen. So werden Verstöße entdeckt, konsequent und nachhaltig geahndet. Verloren gegangenes Vertrauen in das Rechtssystem muss wieder hergestellt werden.
Fehlende oder lasche Kontrollen und Konsequenzen beispielweise im Kontext der europaweiten Entsendung und dem Marktzugang ausländischer Unternehmen begünstigen die Wahrnehmung, dass „der Ehrliche der Dumme“ ist. Unternehmen mit Fokus auf bessere Arbeitsbedingungen verlieren so im Wettbewerb gegen Unternehmen mit schlechten Arbeitsbedingungen.
Wirksame Meldewege mit Quellenschutz für Verstöße gegen nationales und EU Recht sind nicht ausreichend vorhanden. Das in der Umsetzung befindliche Hinweisgeberschutzgesetz läuft in der KEP-Branche ins Leere. Systemgeber, die zur Leistungserbringung Subunternehmen einsetzen, beauftragen i.d.R. Unternehmen mit weniger als 50 Mitarbeiter*innen. Das Hinweisgeberschutzgesetz, eigentlich gedacht für einen besseren Schutz hinweisgebender Personen, greift erst ab einer Unternehmensgröße von 50 Beschäftigten. Eine ganze Branche mit verbesserungswürdigen Arbeitsbedingungen bleibt damit außen vor.
Viele gordische Knoten gilt es zu lösen
Die aktuellen Arbeitsbedingungen in der KEP-Branche haben sich über Jahrzehnte hinweg etabliert. Die Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der KEP-Branche ist deshalb ein mühsamer langwieriger Prozess. Bis auf Ausnahmen gibt es keine einfachen und wirksamen Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen. Der Mindestlohn ist eine solche Ausnahme. Jedoch lässt sich inzwischen auch hier beobachten, dass dieses Instrument durch einseitige politische Einflussnahme zugunsten weniger gesellschaftlicher Gruppen entwertet wird.
Die gegenwärtige Krisensituation bietet neben vielen außergewöhnlichen Belastungen und Unsicherheiten neue Chancen, die Arbeitsbedingungen in der KEP-Branche zu verbessern. Alte Zöpfe in Politik, Verwaltung und der Wirtschaft könnten abgeschnitten werden. Der anstehende Generationswechsel besonders in mittelständischen KEP-Unternehmen in Kombination mit der veränderten politischen Landkarte und Verjüngung in Politik und Verwaltung können dafür als Impulse genutzt werden. Leicht wird es nicht, da es nicht nur einen einzigen gordischen Knoten, sondern viele gordische Knoten gibt. Nur mit Geschick, einer durchdachten Strategie und Mut lassen sich diese nach und nach lösen.