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Bremsklotz Infrastruktur: Warum E-LKW in Europa nicht vom Fleck kommen

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Obwohl fast 50 batterieelektrische LKW-Modelle in Europa verfügbar sind, fehlen flächendeckende Lademöglichkeiten. Eine neue McKinsey-Studie zeigt: Ohne massiven Infrastrukturausbau und bessere Betriebskosten droht die Transformation zu scheitern, mit Milliardenfolgen für die Branche.

Die europäische LKW-Industrie steht vor einer historischen Aufgabe: dem Umstieg auf emissionsfreie Antriebe. Doch trotz technologischem Fortschritt droht der Wandel an der Realität zu scheitern – vor allem am schleppenden Ausbau der Ladeinfrastruktur. Laut der aktuellen McKinsey-Studie „Europe’s ZE truck transition“ sind europaweit erst rund 2.000 öffentliche Ladepunkte für Nutzfahrzeuge verfügbar. Notwendig wären jedoch 50.000 bis 2030, ein Ausbau um den Faktor 25.

„Die europäische Nutzfahrzeugindustrie kann den Übergang in Richtung Nullemissionen schaffen und damit nicht nur die regulatorischen Vorgaben erfüllen, sondern auch ihre Wettbewerbsfähigkeit stärken“, erklärt Matthias Kässer, Partner bei McKinsey und Leiter der Nutzfahrzeugberatung in EMEA. Doch der Markt hinkt hinterher. Die Ladeinfrastruktur sei „ein zentraler Engpass“, so Kässer.

TCO – der entscheidende Hebel

Ob Spediteur oder Flottenbetreiber: In der Praxis zählt vor allem die Wirtschaftlichkeit, konkret die Gesamtbetriebskosten (Total Cost of Ownership, TCO). Doch nur rund 30 Prozent der derzeit verkauften E-LKW bewegen sich laut Studie in Segmenten, in denen sie mit Diesel-LKW kostenmäßig mithalten können.

„Ein großer Teil der Spediteure würde erst dann auf einen batterieelektrischen LKW umsteigen, wenn die Betriebskosten mindestens auf dem Niveau eines Dieselmodells liegen“, heißt es in der Analyse.

Nur sieben Prozent der befragten Logistikunternehmen wären bereit, einen Nullemissions-LKW zu kaufen, wenn die TCO 20 Prozent höher sind. Bei Kostengleichheit steigt die Bereitschaft jedoch auf 50 Prozent.

Das Problem: Je nach Land und Einsatzzweck schwanken die Betriebskosten massiv, von 20 Prozent Vorteil bis 50 Prozent Nachteil gegenüber Diesel. Besonders beim grenzüberschreitenden Verkehr führt dies zu Unsicherheiten. In Deutschland liegt der TCO-Nachteil für elektrische Langstrecken-LKW laut Studie bei lediglich zwei Prozent, in Polen dagegen bei 23 Prozent.

Depot statt Schnelllader, reicht das?

McKinsey erwartet, dass bis 2030 der Großteil der Ladevorgänge in privaten Depots erfolgen wird, vor allem für Verteilerfahrzeuge mit klar definierten Routen. Rund 90 Prozent der Ladepunkte könnten laut Prognose an solchen Standorten entstehen. Doch das allein genügt nicht: 50 Prozent der BEV-LKW werden auf öffentliche Schnellladeinfrastruktur angewiesen sein.

Nur zwei bis drei Prozent der heutigen rund 50.000 Ladepunkte über 300 kW in Europa sind derzeit überhaupt für große LKW geeignet. Bis 2030 sind allein 3,5 Milliarden Euro an Investitionen für öffentliche Ladepunkte notwendig, um eine flächendeckende Versorgung sicherzustellen und das ohne eingerechnete Netzupgrades.

„Dies zeigt, dass die Kunden in der täglichen Nutzung von batterieelektrischen LKW noch Herausforderungen sehen – etwa bei der Verfügbarkeit von Ladepunkten, die für große LKW zugänglich sind“, betont Kässer.

Gleichzeitig warnt die Studie, dass die Branche ohne zusätzliche Maßnahmen das CO₂-Reduktionsziel von 43 Prozent bis 2030 um mindestens drei Prozentpunkte verfehlen könnte. Die Folge wären Strafzahlungen von über 2,2 Milliarden Euro.

Kostendruck eröffnet Chancen für China

Während europäische Hersteller ihre F&E-Ausgaben seit 2020 um mehr als 50 Prozent auf über 7 Milliarden Euro erhöht haben, droht neue Konkurrenz aus Fernost. 41 Prozent der befragten Spediteure sind laut Studie grundsätzlich bereit, bei gleichen Betriebskosten auf chinesische Anbieter umzusteigen.

Ein in Europa produzierter E-LKW eines chinesischen Herstellers könnte theoretisch bis zu 36 Prozent günstiger sein als ein europäisches Modell. Die Hauptgründe: Skaleneffekte, kosteneffiziente Batterielieferketten und ein starker Heimatmarkt.

Schon heute verfügen chinesische Anbieter wie BYD oder FAW über eine beachtliche Markenbekanntheit in Europa, selbst ohne große Marktpräsenz. Das Beispiel des Bus- und Gabelstaplersegments, in dem chinesische OEMs inzwischen bis zu 30 Prozent Marktanteil erreicht haben, zeigt: Der Durchbruch ist möglich.

Netzausbau als Flaschenhals

Auch auf technischer Ebene hakt es: Laut Studie erfordern Ladehubs oft mehr als ein Jahr Vorlaufzeit für Netzanschlüsse. Komplexe Genehmigungsverfahren, hohe Anfangsinvestitionen und unklare Nachfrageprognosen erschweren insbesondere den Ausbau öffentlicher Ladeinfrastruktur. Mikrogrid-Lösungen, also lokale Stromerzeugung und Batteriespeicher könnten hier Abhilfe schaffen, erfordern aber eigenes Know-how und Kapital seitens der Betreiber.

Fazit der Studienautoren: „Jetzt handeln“

Die Studie ruft Industrie, Politik und Infrastrukturbetreiber zum gemeinsamen Handeln auf. Nur durch koordinierten Ausbau, klare regulatorische Rahmenbedingungen und wirtschaftlich tragfähige Lösungen lässt sich die E-Mobilität im Schwerlastverkehr auf Kurs bringen.

„Der Markt steht an einem Wendepunkt“, betont Kässer. „Ein erfolgreicher Hochlauf der Nullemissionsmobilität entscheidet nicht nur über das Erreichen der Klimaziele, sondern über die zukünftige Wettbewerbsfähigkeit Europas im globalen Nutzfahrzeugmarkt.“

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