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Hat das Mobilitätspaket dem Sozialdumping in der Transportbranche ein Ende gesetzt ?

Das Mobilitätspaket sollte primär die Arbeitsbedingungen und die Arbeitssicherheit von LKW-Fahrern verbessern. Haben die Regelungen ihre Wirkung tatsächlich erzielt oder sich doch als ineffizient erwiesen?

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Faire Mobilität, ein gewerkschaftsnahes Beratungsnetzwerk, startete 2011 mit dem Ziel, gerechte Löhne und faire Arbeitsbedingungen für Beschäftigte aus mittel- und osteuropäischen EU-Staaten auf dem deutschen Arbeitsmarkt durchzusetzen – mitunter im Güterverkehr. Trotz vieler gesetzlicher Maßnahmen bleibt die Lage vieler Berufsfahrer laut der Organisation jedoch weiterhin prekär. Ein im Juli 2022 veröffentlichtes Dossier weist auf lange Arbeitszeiten, unzureichende Entlohnung und mangelnde soziale Absicherung hin. Betroffen sind vor allem Fahrer aus Osteuropa und Asien, Indien oder den Philippinen.

Grundsätzlich ist zu begrüßen, dass mit dem Mobilitätspaket mehr Transparenz hinsichtlich der Entlohnung im internationalen Straßentransport geschaffen werden und die sozialen Bedingungen verbessert werden sollten,sagt Anna Weirich, die die Aktivitäten des Beratungsnetzwerks im Bereich Internationaler Straßentransport koordiniert.

Spesenmodell und Briefkastenfirmen

Ein zentraler Kritikpunkt ist aber die Komplexität der Entsenderegeln – sowohl für die Fahrer als auch für die Rechtsdurchsetzung, die dazu führt, dass viele Missstände in der Branche weiterhin bestehen.

In der Praxis beobachten wir, dass Speditionen weiterhin mündlich Tagessätze vereinbaren, die häufig zum Großteil aus Spesen bestehen. Die Lohnzusammensetzung hat sich vielleicht in Einzelfällen geändert, jedoch nicht merklich in der gesamten Branche, so Weirich.

Bei dem sogenannten Spesenmodell nutzen Logistikunternehmen das Lohngefälle innerhalb der EU aus und bezahlen LKW-Fahrer aus osteuropäischen Ländern nach den niedrigeren Löhnen ihrer Herkunftsländer anstatt gemäß Mindestlohngesetz und Entsenderichtlinie den Mindestlohnsatz des jeweiligen Einsatzlandes zu zahlen.Die höheren Mindestlöhne der Einsatzländer werden umgangen, indem Spesen angerechnet werden, obwohl diese zweckgebunden sein sollten und nicht mit dem Bruttomindestlohn verrechnet werden dürfen. Unternehmen sparen damit Steuern und zahlen nur geringe Sozialversicherungsbeiträge. Faire Mobilität beziffert unter Berufung auf eine Studie des belgischen christlichen Gewerkschaftsbunds CSC, dass damit jährlich im Schnitt pro Fahrer etwa 5.000 Euro eingespart werden können.

Auch Briefkastenfirmen stellen nach wie vor ein Problem dar. Da im internationalen Straßentransport Aufträge sehr oft an Subunternehmer vergeben werden, entstehen ganze Unternehmerketten aus Versendern, Speditionen und Frachtführern. Der Frachtführer ist in den meisten Fällen der Arbeitgeber der LKW-Fahrer. Nicht selten bevorzugen westeuropäische Firmen Frachtführer mit Niederlassungen in osteuropäischen Ländern oder gründen selbst Filialen in Osteuropa, um über diese internationale Transporte abzuwickeln. Bei Letzteren handelt es sich nicht selten um Briefkastenfirmen.

Was sich in Deutschland verbessern müsste, ist, dass die großen Kunden, in deren Auftrag gefahren wird, Verantwortung für die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Fahrenden übernehmen, wozu sie ja auch qua LKSG verpflichtet sind, betont Weirich.


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Preiskampf oder Sozialdumping

Die Vorwürfe wegen Sozialdumping richten sich sehr oft an osteuropäische Länder wie Polen oder Litauen. So soll sich Polen in letzter Zeit zu einer regelrechten Drehscheibe für ausländische Logistikunternehmen entwickelt haben, die angezogen werden durch liberales Arbeitsrecht und eine schnelle Visavergabe, heißt es in einer von Deutschlandfunk veröffentlichten Reportage über das Transportgewerbe in Polen. Ihren Sitz in Polen sollen mittlerweile auch viele Unternehmen aus Litauen haben, nachdem dortzulande im Jahr 2021 eine Beschäftigungsquote für Arbeitnehmer aus Drittstaaten eingeführt wurde.Ist das aber bereits Sozialdumping oder nur ein Preiskampf zwischen Unternehmen aus dem Transportgewerbe?

Sich Wettbewerbsvorteile durch niedrigere Transportpreise, die auf niedrigere Personalkosten zurückzuführen sind, zu verschaffen, ruft seit eh und je starke Reaktionen unter Unternehmern hervor. Die Personalkosten der polnischen Transportunternehmen resultierten aus dem in unserem Land geltenden Vergütungssystem, im Rahmen dessen Gehaltkomponenten ausgezahlt wurden, die steuer- und beitragsfrei waren. Es sei daran erinnert, dass das Missverhältnis zwischen den nicht steuerpflichtigen und den steuerpflichtigen Lohnbestandteilen ein Zankapfel zwischen den polnischen Fahrergewerkschaften und den Arbeitgebern war. Es wurde auch vom Verfassungsgerichtshof und zuvor vom Obersten Gerichtshof angefochten, erläutert die Branchenorganisation ZMPD.

Und auch das Vergütungsmodell für LKW-Fahrer soll sich im Zuge der Richtlinie 2018/957 des Europäischen Parlaments und des Rates (EU) zur Änderung der Richtlinie 96/71/EG über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen im Grundlegenden in Polen bereits geändert haben.

Natürlich untersagt die Richtlinie es nicht, dass im Rahmen nationaler Systeme weiterhin die Auszahlung nicht besteuerter Gehaltskomponenten an entsandte Arbeitnehmer vorgesehen wird, sie stellt lediglich klar, dass diese nicht als Teil des ausländischen Gehalts angesehen werden können. Wenn also beispielsweise das rumänische Modell die Auszahlung von Spesen an rumänische Fahrer vorsieht, muss dies nicht geändert werden. Um es in einfachen Worten zu sagen, rumänische Transportunternehmen werden bei der Auszahlung des beispielsweise in Deutschland geltenden Mindestsatzes an ihre Fahrer die Spesen nicht miteinbeziehen können und müssen gegebenenfalls den Unterschied ausgleichen, erklärt die Organisation.

Auch Zenonas Buivydas, Generalsekretär des litauischen Branchenverbands Linava hält die Vorwürfe für übertrieben.Dafür beschuldigt er die EU mit der Einführung des Mobilitätspakets die Wettbewerbsfähigkeit litauischer Transportunternehmen beeinträchtigt zu haben.

Bei den Vorwürfen des Sozialdumpings durch westosteuropäische Unternehmen handelt es sich um übertriebene Behauptungen, die völlig unbegründet sind. Diese Vorwürfe sind vorrangig politisch motiviert, da westeuropäische Firmen intensiv Lobbyarbeit für das Mobilitätspaket betreiben. Das Mobilitätspaket hat die Situation unserer nationalen Speditionsunternehmen nicht verbessert, sondern lediglich zusätzliche finanzielle und administrative Lasten verursacht. Zudem wurden neue Beschränkungen und Verpflichtungen eingeführt, die die Rechte der Länder am EU-Rand, einschließlich Litauens, auf faire Wettbewerbsbedingungen im europäischen Straßengüterverkehr missachten, wie hervorgehoben wird, betont er.

Kritik am Mobilitätspaket übt auch Povilas Drižas, Generalsekretär der International Transport and Logistics Alliance (TTLA) aus.

Mehr als drei Jahre nach der Einführung des Mobilitätspakets gibt es noch immer erhebliche Unterschiede in der Auslegung und Anwendung seiner Vorschriften durch die Verkehrsinspektoren der verschiedenen EU-Mitgliedstaaten. Fahrer müssen unterschiedliche Dokumente vorlegen, und die im Gesetz vorgesehenen akzeptablen Alternativen werden oft nicht anerkannt. Diese inkonsistente Durchsetzung führt zu einer ungleichen Behandlung von Unternehmen und Fahrern bei Straßenkontrollen. Fahrzeuge und Fahrer sind häufig stundenlangen Kontrollen von zehn Stunden oder mehr ausgesetzt, und die Fahrer werden oft von den Kontrolleuren unter Druck gesetzt, was zu einem erhöhten Stressniveau führt, sagt er.

Gleichzeitig weist er darauf hin, dass westeuropäische Unternehmen ebenfalls für das System des Sozialdumpings verantwortlich sind.

Wenn ein Unternehmen Transportdienstleistungen gemäß den Vorschriften des Landes, in dem es registriert ist, sowie des Ziellandes und den EU-Vorschriften anbietet, gibt es keinen Grund für Anschuldigungen. Jedoch sollte das Problem von Scheinfirmen in Westeuropa, die nicht den Niederlassungskriterien des EU-Rechts entsprechen und billige Arbeitskräfte aus anderen Ländern nutzen, intensiver behandelt werden. Tatsächlich gibt es zahlreiche Beispiele für Sozialdumping durch Unternehmen aus westeuropäischen Ländern,  so Drižas abschließend.

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