Erstmals in Frankreich sprach ein Gericht geschädigten Frachtführern Entschädigungen im Zusammenhang mit dem europäischen Lkw-Kartell zu. Laut der Kanzlei Lex-Port entschied das Handelsgericht in Bordeaux zugunsten der von ihr vertretenen Unternehmen und verpflichtete Daimler zu Zahlungen von über 7.700 Euro je anspruchsberechtigtem Lkw.
In einer Erklärung auf LinkedIn bezeichnete Lex-Port das Urteil als „erstes positives Urteil in einer französischen Privatklage gegen einen Hersteller im Lkw-Kartellverfahren“.
Die Kanzlei sprach zudem von einem „Doppelsieg“: Neben der Entschädigungsanordnung gegen Daimler gelang auch die erste Übertragung laufender Fälle vom Wirtschaftsgericht in Lyon, das in früheren Entscheidungen tendenziell zu Ungunsten der Kläger entschieden hatte.
Bedeutung für hunderte betroffene Unternehmen
Die Entscheidung ist relevant für zahlreiche Unternehmen, die zwischen 1997 und 2011 Lkw gekauft haben – den Zeitraum, der von den Verstößen der Europäischen Kommission abgedeckt wird.
2016 verhängte die Kommission gegen DAF, Daimler, MAN, Volvo/Renault und Iveco Geldbußen in Höhe von insgesamt 2,93 Milliarden Euro wegen illegaler Preisabsprachen und abgestimmter Technologieaufschläge für Emissionssysteme.
Scania, das die Vorwürfe angefochten hatte, wurde 2017 separat mit 880,5 Millionen Euro bestraft; der Einspruch wurde am 1. Februar 2024 endgültig vom Europäischen Gerichtshof abgewiesen.
Lex-Port – Teil des Netzwerks Simon Avocats – erklärte, das Urteil zeige, dass preisbezogene Aufschläge von rund 9 % durch französische Handelsgerichte als erstattungsfähig anerkannt werden können. Die Kanzlei lobte zudem die ökonomische Analyse des Beratungsunternehmens OCA Economics und kündigte neue Klagen gegen Scania an.
Vergleich: Wie andere Länder urteilen
Während Frankreich nun sein erstes positives Urteil zugunsten der Frachtführer erzielt hat, existieren in anderen europäischen Ländern bereits eine Reihe von Entscheidungen mit sehr unterschiedlichen Ergebnissen.
Spanien gilt als besonders klägerfreundlich:
Ein Gericht in Cáceres erkannte 2020 eine Preisüberhöhung von 16,35 % an und wies Argumente der Hersteller zurück, Frachtführer könnten die Kosten an Verlader weitergeben oder über Wiederverkaufswerte kompensieren.
Frühere Urteile legten ähnliche Maßstäbe an:
- In Pontevedra wurde Iveco zur Zahlung von knapp 40.000 Euro an Kartín SL (für drei Lkw, etwa 9 %) verurteilt.
- In Murcia musste die Volvo Group Spain 128.757 Euro für fünf Fahrzeuge (20,7 %) zahlen.
Deutschland verfolgt bislang einen deutlich vorsichtigeren Ansatz. Obwohl zahlreiche Klagen eingereicht wurden, sind keine bestätigten Entschädigungszahlungen öffentlich bekannt. Viele Verfahren wurden ausgesetzt oder abgewiesen, meist aufgrund hoher Beweisanforderungen – insbesondere zum konkreten Preisaufschlag je Fahrzeug.
Polen beteiligt sich über die Kanzlei Iuridica an einer Sammelklage in den Niederlanden, um eine mögliche Voreingenommenheit nationaler Gerichte zu vermeiden.
Auch im Vereinigten Königreich laufen Sammelklagen, eingereicht von der Road Haulage Association (RHA) und UK Truck Claim, die bereits vom Competition Appeal Tribunal zugelassen wurden. Die Schadensbewertung steht dort allerdings noch aus.
Entschädigungen in Europa im Überblick
Land | Typische Entschädigung pro Lkw | Beispiel / Quelle | Rechtliche Einschätzung |
---|---|---|---|
Frankreich | ca. 7.700 € + | Lex-Port / Bordeaux | Erstes positives Urteil in Frankreich; Präzedenzfall |
Spanien | 13.000 – 26.000 € (9 – 20 %) | Cáceres, Pontevedra, Murcia | Klägerfreundlich; Marktanalysen anerkannt |
Deutschland | – | Diverse Kommentare | Strenge Beweislast; keine Entschädigungen bekannt |
Polen (via NL) | laufend | Iuridica Sammelklage | Verfahren in neutralem Gericht; offen |
Vereinigtes Königreich | ausstehend | RHA & UK Truck Claim | Schadensphase noch nicht abgeschlossen |
Mitarbeit: Agnieszka Kulikowska-Wielgus