Unter anderem will die EU den Herstellern mehr Zeit geben, um die strengeren CO2-Emissionsgrenzwerte einzuhalten.
Da sich die europäische Automobil- und Transportindustrie in einem tiefgreifenden Wandel befindet, sieht die Kommission dringenden Handlungsbedarf, um sowohl die europäische Automobilindustrie zu schützen als auch sicherzustellen, dass die Bedingungen für die Europäische Union richtig sind.
Die europäische Automobilindustrie befindet sich an einem Wendepunkt, und wir sind uns der Herausforderungen bewusst, vor denen sie steht. Deshalb gehen wir sie auch zügig an. Die grundlegende Frage, die wir gemeinsam beantworten müssen, ist, was noch fehlt, um die Innovationskraft unserer Unternehmen freizusetzen und einen starken und nachhaltigen Automobilsektor zu gewährleisten“, erklärte Ursula von der Leyen, Präsidentin der Europäischen Kommission.
Ende Januar traf sich Ursula von der Leyen mit führenden Vertretern der europäischen Automobilindustrie von Unternehmen wie Renault, Volvo und Volkswagen, Sozialpartnern und Interessenverbänden, um einen strategischen Dialog über die Zukunft des europäischen Automobilsektors einzuleiten.
Dieser Dialog war der Beginn eines gemeinsamen Prozesses zur Bewältigung der wichtigsten Herausforderungen, denen sich der (Automobil-, Anm. d. Red.) Sektor gegenübersieht, und zur Sicherstellung seines Erfolgs als wichtiger Motor der europäischen Wirtschaft“ – betonte die Europäische Kommission.
Das Ergebnis dieses Dialogs ist ein umfassender Aktionsplan, der gestern von Apostolos Tzitzikostas, EU-Kommissar für nachhaltigen Verkehr und Tourismus, vorgestellt wurde.
Gefahr für die Branche
Wenige Stunden vor der Vorstellung des genannten Aktionsplans sprach Stéphane Séjourné, einer der an dem Dialog beteiligten Kommissare (Vizepräsident der Kommission für Wohlstand und Industriestrategie), in einem Interview mit der französischen Nachrichtenagentur AFP. „Die Europäische Kommission lässt ihre Naivität hinter sich, schützt und organisiert den Sektor und gibt ihm eine Chance, wettbewerbsfähiger zu werden“ – betonte Séjourné.
Die europäische Automobilindustrie ist in tödlicher Gefahr, weshalb die Europäische Kommission einen integrierten Plan zum Schutz des Sektors vorschlägt (…). Dies ist ein entscheidender Moment für die Branche“ – sagte Séjourné gegenüber der Agentur AFP.
Nach Angaben des Kommissars sinkt der Anteil der noch zu teuren Elektrofahrzeuge am EU-Markt im Jahr 2024 erstmals auf 13,6 Prozent.
Um die Nachfrage anzukurbeln, prüft die Kommission die ‘Verpflichtungen’, die den Unternehmen auferlegt werden, um ihre Flotten umweltfreundlicher zu machen“ – erklärte der EU-Kommissar.
Aktionsplan für die EU-Automobilbranche
Gestern stellte EU-Kommissar Apostolos Tzitzikostas einen Plan zur Unterstützung des Automobilsektors und zur „Entfesselung seiner Innovationskraft“ vor, indem eine starke europäische Produktionsbasis erhalten und strategische Abhängigkeiten vermieden werden. Zu diesem Zweck plant die Kommission unter anderem, 1,8 Milliarden Euro für die Schaffung einer sicheren und wettbewerbsfähigen Lieferkette für Batterierohstoffe bereitzustellen.
Europa will von ausländischen Batterieimporten unabhängig werden und die Ökologisierung der europäischen Automobilindustrie vorantreiben“, so Kommissar Tzitzikostas.
Nach Ansicht der Europäischen Kommission ist es für Europa auch von größter Bedeutung, eine wettbewerbsfähige Produktion von Brennstoffzellen in der EU zu erreichen, die einen großen Teil der Nachfrage nach Batterien decken und einen europäischen Mehrwert entlang der Lieferkette schaffen würde.
Die Automobilunternehmen in der EU hinken bei Schlüsseltechnologien hinterher. Um die Branche auf dem Weg zu KI-basierten, vernetzten und automatisierten Fahrzeugen zu unterstützen, sieht der Aktionsplan Investitionen in Höhe von 1 Milliarde Euro in Innovationen vor.
Unser Ziel ist klar: Wir wollen sicherstellen, dass die nächste Generation von Fahrzeugen nicht nur in Europa produziert wird, sondern dass Innovationen in Europa entstehen, angetrieben durch europäische Technologie“, sagte Tzitzikostas.
Da die Ladeinfrastruktur für Elektrofahrzeuge in Europa unzureichend ist, plant die Kommission außerdem, deren Ausbau zu beschleunigen, und wird dafür zwischen 2025 und 2026 570 Millionen Euro bereitstellen.
Ein sehr wichtiges Element des in Brüssel vorgestellten Plans ist eine größere Flexibilität bei der Einhaltung der CO2-Emissionsnormen.
Die EU-Emissionsnormen für neue PKW und Transporter bieten langfristige Sicherheit für Investoren und werden beibehalten. Allerdings müssen wir auch pragmatisch sein. Anstatt eine jährliche Einhaltung zu verlangen, werden wir den Unternehmen gestatten, ihre Ziele über drei Jahre hinweg zu erfüllen – 2025, 2026 und 2027. Wenn ein Unternehmen in einem Jahr seine Ziele nicht erreicht, muss es dies durch bessere Leistungen in den Folgejahren ausgleichen. Übertrifft ein Unternehmen hingegen seine Ziele im Jahr 2025, so hat es in den Jahren 2026 und 2027 mehr Spielraum. Wir beschleunigen auch die Überprüfung der Rechtsvorschriften über CO2-Emissionsnormen, indem wir sie von 2026 auf das dritte und vierte Quartal 2025 verschieben” – erklärte Apostolos Tzitzikostas auf der gestrigen Pressekonferenz.
Parallel dazu arbeitet die Europäische Kommission an Möglichkeiten, die Nachfrage nach emissionsfreien Fahrzeugen in Europa zu steigern. Der Fahrplan umfasst Maßnahmen, die Anreize für den Umstieg auf emissionsfreie Fahrzeuge schaffen und das Vertrauen der Verbraucher durch konkrete Maßnahmen wie die Verbesserung von Batterien und Reparaturmöglichkeiten stärken sollen.
“Um diesen Wandel zu unterstützen, werden die Mitgliedstaaten ermutigt, Steuervergünstigungen für emissionsfreie Fahrzeuge anzubieten“ – fügte Tzitzikostas hinzu.
Es gibt so viel ungenutztes Potenzial auf dem globalen Markt, wenn es um Innovation und saubere Lösungen geht. Ich möchte, dass unsere europäische Automobilindustrie eine Führungsposition einnimmt. Wir werden die heimische Produktion fördern, um strategische Abhängigkeiten zu vermeiden, insbesondere bei der Batterieproduktion. Wir werden an unseren vereinbarten Emissionszielen festhalten, aber mit einem pragmatischen und flexiblen Ansatz. Unser gemeinsames Ziel ist eine nachhaltige, wettbewerbsfähige und innovative Automobilindustrie in Europa, von der unsere Bürger, unsere Wirtschaft und unsere Umwelt profitieren“ – kommentiert Ursula Von der Leyen den Plan.
Nicht nur „Elektro-Fahrzeuge“
Der Speditions- und Logistikverband DSLV begrüßt und unterstützt die Neuausrichtung der Automobilindustrie auf andere technologische Pfade. Nach Ansicht des Verbandes bremst der „Well-to-Wheel“-Ansatz im europäischen Recht die schnellen Erfolge bei der Reduzierung der CO2-Emissionen im Straßengüterverkehr. Deshalb hat sich der Verband gemeinsam mit mehr als 80 weiteren Verbänden und Unternehmen bereits für die Einführung eines Kohlenstoff-Korrekturfaktors (CCF) in der europäischen Verordnung über CO2-Emissionen für Nutzfahrzeugflotten im Jahr 2023 stark gemacht, durch den das Minderungspotenzial von erneuerbaren Biokraftstoffen wie HVO100 oder Bio-LNG berücksichtigt werden kann.
Der Verband ist der Ansicht, dass die Schwerpunktsetzung auf elektrische Nutzfahrzeuge in der EU-Gesetzgebung zu kurzsichtig ist, um eine rasche Dekarbonisierung des Straßengüterverkehrs zu ermöglichen.
Nicht der Verbrennungsmotor ist das Problem, sondern die Emissionen aus fossilen Kraftstoffen. Deshalb ist entscheidend, dass die eingesetzte Energie zur CO2-Reduktion beiträgt. Das trifft bei alternativen Kraftstoffen ebenso zu, wie bei grün produziertem Strom für den Batteriebetrieb“, so DSLV-Vizepräsident Micha Lege.
Nach Angaben des Verbandes sind die bisherigen EU-Ziele noch weit davon entfernt, erreicht zu werden.
In den meisten EU-Mitgliedstaaten hält der Netzausbau nicht mit der Nachfrage Schritt und es fehlt an Ladeinfrastruktur für schwere elektrische Nutzfahrzeuge.
Angesichts des prognostizierten Güterverkehrswachstums auf Europas Straßen sind die Klimaziele ohne erneuerbare, alternative Kraftstoffe nicht fristgerecht zu erreichen. Im Mittelpunkt muss das Ergebnis – eine CO2-freie Supply Chain – und nicht eine einzelne Technologie stehen“, warnt Lege.
Sobald die Ladeinfrastruktur in den EU-Mitgliedstaaten fertiggestellt ist und mit preiswertem grünem Strom gespeist werden kann, werden laut DSLV Elektro- LKW für ausgewählte Logistikanwendungen wirtschaftlich machbar sein. “Doch bis dahin ist es noch ein weiter Weg”, betont DSLV.
Wer den LKW-Verbrenner schon jetzt mit einem Enddatum versieht, schadet dem Klimaschutz mehr, als dass er ihm nützt“, fügt Lege hinzu.
VDA zur EU-Strategie für Schwerlastverkehr: Erste Impulse, aber weitere Anpassungen nötig
Der Verband der Automobilindustrie (VDA) begrüßt, dass die EU-Kommission in ihrem neuen Aktionsplan für die Automobilindustrie erstmals die besonderen Herausforderungen des Schwerlastverkehrs stärker in den Fokus rückt.
Besonders positiv bewertet der VDA die geplante Anerkennung der LKW-Ladeinfrastruktur als kritische Infrastruktur sowie die beschleunigten Genehmigungsverfahren im Rahmen der „European Clean Transport Corridor Initiative“. Dies seien wichtige Schritte, um die Transformation im Nutzfahrzeugbereich zu erleichtern. Positiv ist auch die geplante Überarbeitung der Eurovignetten-Richtlinie, um emissionsfreie LKW weiter von der Maut zu befreien.
Allerdings fordert der VDA weitergehende Maßnahmen, insbesondere eine Senkung der drohenden Strafzahlungen für die CO₂-Flottenregulierung schwerer Nutzfahrzeuge. Diese sollten sich stärker an den Regelungen für PKW und Transporter orientieren und die hohen Transformationskosten der Branche berücksichtigen. Zudem müsse die Differenzierung der Strafzahlungen für verschiedene Fahrzeuggruppen wie Anhänger und Omnibusse überarbeitet werden, um den spezifischen Anforderungen dieser Segmente gerecht zu werden.
Der Verband kritisiert außerdem die unzureichende Berücksichtigung des Mittelstands in der bisherigen Strategie der EU-Kommission. Gerade mittelständische Unternehmen seien essenziell für die Transformation der Nutzfahrzeugbranche und müssten stärker in politische Entscheidungsprozesse eingebunden werden.
Insgesamt sieht der VDA im EU-Aktionsplan zwar erste richtige Schritte, bemängelt jedoch das Fehlen einer langfristigen Strategie sowie grundlegender Reformen zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit und der Rahmenbedingungen für die Branche.
Mitarbeit: Sabina Koll