Der Mangel an Halbleitern lähmt erneut die europäische Automobilindustrie. Volkswagen setzt die Produktion in Wolfsburg und Zwickau aus, und die Probleme könnten bald die gesamte Branche betreffen. Der Streit zwischen China, den Niederlanden und den USA um den Halbleiterhersteller Nexperia trifft das Herzstück der europäischen Lieferketten.
In deutschen Autofabriken wird es still: Ab dem 29. Oktober setzt Volkswagen die Produktion der Modelle Golf und Tiguan in Wolfsburg sowie der elektrischen ID.3, ID.4 und ID.5 in Zwickau aus – dort arbeiten etwa 9.200 Menschen. Dort werden kürzere Schichten eingeführt, und Tausende Mitarbeitende könnten bald mit verkürzten Arbeitszeiten konfrontiert sein.
Der Produktionsstopp beruht auf dem plötzlichen Abbruch der Chip-Lieferungen von Nexperia – einem wichtigen Lieferanten von Halbleitern für die Automobilindustrie. Diese kleinen Komponenten sind entscheidend für zentrale Steuer‑ und Sicherheitssysteme in Fahrzeugen.
Die Krise brach aus, nachdem die niederländische Regierung die Kontrolle über Nexperia übernahm, weil Bedenken bestanden, Technologie an das chinesische Mutterunternehmen Wingtech Technology Co., Ltd. weiterzugeben. Als Reaktion darauf verbot China den Export bestimmter Halbleiterkomponenten – mit sofortiger Wirkung für europäische Lieferketten.
Deutsche Medien betonen, dass dies ein klassisches Beispiel dafür sei, wie Geopolitik in Echtzeit die Industrie trifft.
Die Auswirkungen der Entscheidungen in Den Haag und Peking
Laut Dokumenten, auf die die Nachrichtenagentur Reuters sich stützt, erfolgten die Maßnahmen der niederländischen Regierung nach monatelangem US‑Druck, die Chinas Zugang zu westlicher Technologie begrenzen wollten.
Nexperia, ehemals Teil der niederländischen Gruppe Philips, wurde 2018 für rund 3,63 Milliarden US‑Dollar vom chinesischen Unternehmen Wingtech übernommen. Das Unternehmen hält derzeit etwa 40 Prozent des Weltmarktes für einfache Halbleiter – und zählt damit zu einer tragenden Säule der europäischen Elektronikindustrie.
In einer Erklärung des European Automobile Manufacturers’ Association (ACEA) heißt es, Nexperia habe den Automobilherstellern mitgeteilt, dass unter den gegenwärtigen Umständen keine Chip‑Lieferungen garantiert werden könnten.
„Ohne diese Chips sind europäische Zulieferer nicht in der Lage, die für die Automobilproduktion benötigten Komponenten herzustellen – Produktionsunterbrechungen drohen“, heißt es dort.
Domino‑Effekt auf dem europäischen Markt
Erste Auswirkungen sind bereits in deutschen Volkswagen‑Werken spürbar. Werke in Emden, Hannover und Dresden haben laut Medienberichten Notfallpläne aktiviert – nur in Osnabrück wird voraussichtlich ohne Unterbrechung weiterproduziert.
Die Bundesregierung organisierte eine dringende Telefonkonferenz mit Vertretern der Automobil‑ und Elektronikindustrie, um das Ausmaß der Bedrohung zu bewerten. Ein Sprecher des Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz äußerte, „die Lage ist ernst und erfordert eine Zusammenarbeit mit europäischen und niederländischen Partnern“.
In der Praxis bedeutet dies, dass Zehntausende Volkswagen‑Mitarbeitende von Kurzarbeit betroffen sein könnten – mit Folgen, die sich auf den gesamten Kontinent ausweiten könnten.
Industrie in Alarmbereitschaft
Während Wettbewerber wie BMW AG und Daimler AG ihre Produktion derzeit noch aufrechterhalten, warnte der Verband der Automobilindustrie (VDA):
„Anhaltende Exportbeschränkungen aus China könnten erneut einen Dominoeffekt in der gesamten Branche auslösen“, heißt es in einer Mitteilung.
Die VDA‑Präsidentin Hildegard Müller ergänzte:
„Für Europa ist es eine schmerzhafte Erinnerung daran, dass wir trotz der Erklärungen zu ‚technologischer Souveränität‘ immer noch stark abhängig von asiatischen Lieferketten sind, über die wir kaum politische oder produktive Kontrolle haben.“
Globalisierung in der Krise
Dass der Mangel an Komponenten wie denen von Nexperia nicht nur Volkswagen trifft, zeigt die Grundstruktur der Branche: In einem modernen Fahrzeug sind bis zu 1.400 elektronische Komponenten verbaut, der Großteil stammt aus Asien. Im Jahr 2025 wird der Weltmarkt für Autohalbleiter auf über 67 Milliarden US‑Dollar geschätzt – etwa 70 Prozent davon werden von asiatischen Lieferanten kontrolliert.
Wenn der Konflikt über Nexperia nicht schnell gelöst wird, könnte Europa erneut von einer Welle von Stillständen, Produktionsverlusten und Verzögerungen getroffen werden, die die industrielle Grundlage der Automobilbranche langfristig erschüttern.
Mitarbeit: Sabina Koll