Vor einem Jahr sorgte das Start-up Roatel für Aufsehen in der europäischen Speditionsbranche, als es sein erstes “Roatel”-Überseecontainer-Hotel in Cloppenburg vorstellte. Seitdem hat das Unternehmen drei weitere eröffnet, zuletzt in Bremen, und plant, in diesem Jahr weitere 26 Standorte in Betrieb zu nehmen. Obwohl die Reaktionen in den sozialen Medien auf die Idee der Roatels unterschiedlich ausfielen, war das Feedback der Fahrer bisher durchweg positiv, was auch durch die guten Bewertungen der Nutzer auf Booking.com und anderen Websites belegt wird.
In Anbetracht der Tatsache, dass das Mobilitätspaket von den LKW-Fahrern verlangt, die obligatorische wöchentliche Ruhezeit außerhalb der Kabine in einer angemessenen Unterkunft zu verbringen, ist Roatel der Meinung, dass ihre Einrichtungen in Autobahnnähe den Fahrern alles bieten, was sie zum Ausruhen brauchen, und gleichzeitig praktische Orte für die Reiseplanung darstellen.
Doch woher stammt die Idee? Wie sieht das Geschäftsmodell von Roatel aus, welchen Nutzen bietet es und welche Expansionspläne hat es? Um Antworten auf diese und weitere Fragen zu erhalten, haben wir uns mit dem Mitgründer Christian Theisen in Verbindung gesetzt.
Hallo Christian, vielen Dank für das Gespräch mit uns bei Trans.INFO. Wie ist das Roatel-Konzept entstanden und welche Geschichte steckt hinter dem Unternehmen?
Meine Mitgründer kommen aus der Logistikbranche und kennen die Probleme der Lkw-Fahrer seit vielen Jahren. Und als 2018 auf EU-Ebene der Gesetzgebungsprozess eingeleitet wurde, dass Lkw-Fahrer bestimmte Ruhezeiten nicht mehr in der Fahrerkabine verbringen dürfen, haben wir zu diesem Thema recherchiert. Unsere erste Idee, Mikro-Hotels zu kaufen, mussten wir aufgeben, weil es keine gab. Deshalb haben wir das Roatel selbst entwickelt, zusammen mit Architekten und Ingenieuren.
Das Problem ist sehr komplex. Das Mobilitätspaket ist ein schwieriger Kompromiss. Die Fahrergewerkschaften fordern, dass die Transportunternehmen die Arbeit ihrer Fahrer so einplanen, dass sie an den Wochenenden zu Hause bei ihren Familien sind. Dies ist jedoch nicht immer möglich, und viele Transportunternehmen sind wirtschaftlich auf längere Fahrten ins Ausland angewiesen.
Es fehlt an allen Raststätten und Autohöfen an ausreichenden Übernachtungsmöglichkeiten. Nicht jeder Betreiber eines Standortes kann auf die Schnelle ein Hotel errichten, ohne zu wissen, wie hoch die Auslastung sein wird. Die Genehmigungsverfahren sind langwierig und der Betrieb ist kostenintensiv. Die Transportunternehmen wiederum müssen hohe Geldstrafen zahlen, wenn sie ihre Mitarbeiter nicht gesetzeskonform unterbringen können.
Das Konzept von Roatel ist einzigartig: Wir bauen die Mikro-Hotels selbst, stellen sie z. B. auf einem Autohof auf und betreiben sie auch. Der Besitzer der Rastanlage muss sich um nichts kümmern und erhält sogar eine Pacht. Gleichzeitig steigert er die Attraktivität seines Standortes und kann im besten Fall zusätzliche Umsätze, z.B. in der Gastronomie, generieren.
Welche Rückmeldungen haben Sie von Fahrern erhalten, die bei Roatels übernachtet haben?
Eigentlich durchweg positiv. Es fängt schon damit an, dass die meisten Leute vom Umbau eines Containers begeistert sind. Jeder hat schon die sehr coolen Nutzungsvarianten gesehen, ob als Mini-Apartment auf dem Land oder als Cocktailbar am Strand.
Unsere Gäste sind von der Qualität begeistert. Die Materialien sind hochwertig und langlebig. Wir haben viel Wert auf die Technik gelegt. Es gibt ein Belüftungssystem, um die Räume frisch zu halten. Alle Wände, Decken und Böden sind stark gegen Kälte und Hitze isoliert. Und wenn es doch einmal extrem wird, können die Zimmer im Winter beheizt und im Sommer mit der Klimaanlage gekühlt werden.
Am besten gefällt den Gästen jedoch, dass es eine eigene Dusche und Toilette gibt. Das fehlt den Fahrern üblicherweise am meisten.
Die Zimmer sind klein, fühlen sich aber dank der hohen Decke (wir verwenden die High Cube Container) und des großen Fensters überhaupt nicht eng an. In der ersten Version hatten wir keine Tische, aber wir haben vor, diese in die neuen Roatels einzubauen.
Im vergangenen März sagten Sie in einem Interview mit der Bild-Zeitung, dass Sie hoffen, in den nächsten drei oder vier Jahren 600 weitere Standorte zu bauen. Haben Sie 9 Monate später das Gefühl, dass Sie mit diesem Ziel Schritt halten?
Wir haben unseren Prototyp gerade im März letzten Jahres fertiggestellt und planen die Serienproduktion. Inzwischen sind 4 Roatels in Betrieb genommen worden und wir wollen bis Ende des Jahres mindestens 30 Standorte fertig haben. In Löningen hat unser Hersteller nun eine eigene Produktionsstätte gebaut, in der ab 2023 bis zu 15 Roatels “Made in Germany” pro Monat fertiggestellt werden können. Unsere Ziele sind ehrgeizig, aber durchaus realisierbar. Wir planen für Europa sogar 2.500 Roatels, dann natürlich mit weiteren Produktionsstandorten. Der Engpassfaktor ist eher das Genehmigungsverfahren, das von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich ist.
Man könnte meinen, dass 49 Euro für ein recht kompaktes Zimmer in einem Überseecontainer nicht gerade das beste Preis-Leistungs-Verhältnis sind. Aber natürlich müssen Sie davon überzeugt sein, dass es einen Mehrwert gibt. Was ist also der Hauptvorteil eines Roatels – könnten es zum Beispiel die Lage und der Komfort sein?
Unsere Betriebskosten sind höher als die eines typischen 50-Zimmer-Hotelbetriebs in einer Stadt. Unser Reinigungspersonal muss täglich für nur 4 Zimmer kommen. Der Wäscheservice kostet mehr. Auch die Baukosten sind höher als bei einem herkömmlichen Bauprojekt. Wir verwenden keine fossilen Brennstoffe, sondern Ökostrom. Und in Zukunft werden wir die Roatels auch mit Solarzellen ausstatten, was die Investitionskosten zunächst erhöhen wird.
Als Start-up in einem völlig neuen Marktsegment bekommen wir keine günstigen Baukredite, sondern müssen alle Investitionen selbst tätigen. Das Konzept zahlt sich also nur aus, wenn es viele Einheiten gibt.
Das interessiert unseren Gast natürlich nicht. Allerdings muss nicht er für das Zimmer bezahlen, sondern sein Arbeitgeber. So steht es im Mobilitätspaket. Das Transportunternehmen wird die Kosten auf den Frachtpreis aufschlagen, ähnlich wie bei Erhöhungen der Kraftstoffpreise. Das Argument, der Fahrer könne sich unser Zimmer nicht leisten, ist also irrelevant.
Tatsächlich sehen wir gerade unseren Standort als großes Plus. Der Fahrer bleibt in der Nähe seines Fahrzeugs. Er hat auch seinen Lkw-Parkplatz am Standort, welches Hotel oder welche Pension hat das schon? Und der Lkw muss keine Umwege fahren. Er bleibt in der Nähe der Autobahn.
Wir haben es ausgerechnet: Wenn jeder Gast nur 1 km weniger zu seiner Unterkunft fährt, weil er sein Zimmer direkt an der Autobahn vorfindet, kann das künftige Netz mit insgesamt 600 Roatels in Deutschland 1,8 Millionen Lkw-Kilometer oder 700.000 Liter Kraftstoff pro Jahr einsparen.
Vor diesem Hintergrund sind die 49 Euro – für den Unternehmer netto nur etwa 45 Euro – gar nicht so teuer.
Zum jetzigen Zeitpunkt, da das EU-Mobilitätspaket in Kraft treten soll, erwägen einige große Straßentransportunternehmen die Einrichtung von Unterkünften an den Rändern Westeuropas, zum Beispiel an der polnisch-deutschen Grenze. Wären Sie daher offen für die Idee, Ihr Know-how bei der Einrichtung von Überseecontainer-Hotels zu nutzen und diese dann für Kunden zusätzlich zu Ihrem bestehenden Geschäftsmodell zu errichten?
Wir bevorzugen eher eine Lösung, indem wir dezentrale Unterkünfte an vielen Orten anbieten. Neben Raststätten und Autohöfen sind auch andere Gewerbegebiete oder kommunale Liegenschaften in Autobahnnähe denkbar. Das ermöglicht den Transportunternehmen eine viel flexiblere Planung. Und die Realisierung solcher kleinerer Projekte kann auch viel schneller erfolgen.
Bis große Stützpunkte geplant, genehmigt, gebaut und in Betrieb genommen werden, vergeht viel Zeit. Denken Sie auch an den Widerstand der Anwohner, den wir bei solchen Megaprojekten immer häufiger erleben. Es ist fraglich, ob die großen Stützpunkte dann auch ausgelastet sind. Da der Staat diese Projekte nicht finanzieren wird, müssen Investoren gefunden werden, die das Risiko übernehmen.
Aber wenn es einen Bedarf für unsere Lösung gibt, werden wir natürlich helfen.
Soweit ich weiß, kostet es etwa 120.000 Euro, einen Transportcontainer in ein 3-Zimmer-Hotel zu verwandeln, welche man an den Roatel-Standorten sieht. Wie lange dauert es Ihrer Meinung nach, bis jeder Container einen Gewinn abwirft, und wie hoch müsste die Auslastung sein?
Zunächst einmal hat jedes Roatel 4 Zimmer. Für eine Raststätte mit 100 Lkw kalkulieren wir zum Beispiel eine Auslastung von 80 %. Das mag für ein herkömmliches Hotel viel sein, aber nicht für die Bedingungen eines solchen Truck Stops.
Das Geschäftsmodell lässt sich nicht auf die Rentabilität eines Roatels herunterbrechen. Anders als ein herkömmliches Hotel können wir auch spontan auf Nachfrageänderungen reagieren, indem wir zusätzliche Einheiten an einem Standort hinzufügen oder abbauen. Wenn Sie 2 oder 3 Roatels an einem Standort einrichten, sieht die Rechnung wieder ganz anders aus.
So funktioniert das also nicht. Wir sind kein Hotel, deshalb nennen wir uns ja auch Roatel. Unser Ansatz ist viel breiter und disruptiver. Letztendlich wollen wir DIE Buchungsplattform für Lkw-Fahrer werden.
Die Lkw-Kabinen werden anscheinend jedes Jahr größer, wodurch sich der Komfort für die Fahrer verbessert. Es gibt daher einige Spekulationen, dass dies irgendwann wieder zu einer Gesetzesänderung führen könnte, nach der die wöchentlichen Ruhezeiten nicht zwingend außerhalb der Kabine verbracht werden müssen. Ist dies eine Möglichkeit für die Zukunft, die dem Unternehmen Sorgen bereiten würde?
Wir interpretieren das Mobilitätspaket als einen Kompromiss zwischen west- und osteuropäischen Ländern. Bei den osteuropäischen Verkehrsunternehmen war es nicht möglich, die Verpflichtung zur Rückkehr an jedem Wochenende durchzusetzen. Aber die Auflagen machen es für die Unternehmen teurer, sei es durch die Unterbringungskosten oder durch die Strafen, die in jedem Fall fast 4.000 Euro betragen. Dieser Kostendruck wird sicherlich erhalten bleiben. Das gesamte Gesetzgebungsverfahren hat viele Jahre gedauert. Warum sollte man es jetzt aufgeben?
Ganz im Gegenteil: In Deutschland und anderen Ländern werden die Sozialvorschriften tendenziell weiter verbessert.
Aber es gibt so viele gute Nutzungsalternativen für unsere Mikro-Hotels, die wir noch nicht anbieten können. Wir machen uns also überhaupt keine Sorgen um die Zukunft.
Inwieweit sind Sie der Meinung, dass Roatel und andere konkurrierende Unternehmen angesichts des Bedarfs an besseren Fahrereinrichtungen staatliche Mittel oder zinsgünstige Darlehen erhalten sollten, um den Ausbau zu beschleunigen?
Es gibt staatliche Zuschüsse für den Ausbau von Lkw-Parkplätzen. Das war’s auch. Die Schaffung von Übernachtungsmöglichkeiten wird nicht gefördert. Das ist eine Angelegenheit für die Privatwirtschaft. Das ist auch gut so. So werden sich nur die besten Konzepte durchsetzen, was auch im Interesse der Fahrer ist.
Aber was die Genehmigungsverfahren angeht, sollte sich etwas ändern.
In Deutschland gibt es die besondere Situation, dass alle Bauten entlang der Autobahnen von der Autobahn GmbH genehmigt werden. Für Lkw-Rastanlagen sind die kommunalen Bauämter zuständig. Die Genehmigungsverfahren sind langwierig und müssen deutlich beschleunigt werden. Die neue Bundesregierung hat angekündigt, die Bürokratie abbauen zu wollen.
Schließlich gibt es in ganz Deutschland Roatels, und Bremen ist einer der jüngsten Standorte. Was sind Ihre Pläne für den Rest des Jahres? Haben Sie Pläne für Standorte außerhalb Deutschlands, und wenn ja, in welches Land oder welche Länder würden Sie zuerst expandieren wollen?
Wir planen mindestens 30 Standorte für 2022. Die Nachfrage ist höher, aber die Genehmigungsverfahren, der Bau der neuen Produktionsstätte und die Beschaffung der notwendigen Mittel bremsen uns in diesem Jahr ein wenig aus. Wenn alles gut läuft, können wir 40 schaffen.
Wir haben bereits einige Anfragen aus dem Ausland. Aber wir möchten uns zunächst auf einen sauberen Aufbau in Deutschland konzentrieren. Frankreich ist das erste andere Land, das wir ins Auge fassen, dort laufen bereits Verhandlungen mit einem Großkunden.