Die Leistungskraft maritimer Lieferketten ist entscheidend für die globale Wettbewerbsfähigkeit des Industrie-, Handels- und Logistikstandortes. Hierfür brauchen sämtliche Akteure einen ausbalancierten Rechtsrahmen, der horizontale und vertikale Wettbewerbsgleichheit für Reedereien, Häfen, Seehafenbetriebe, Speditionen und die verladende Wirtschaft herstellt, mahnt der DSLV Bundesverband Spedition und Logistik aus Anlass der Nationalen Maritimen Konferenz (10. und 11. Mai 2021).
„Die aktuellen rechtlichen Rahmenbedingungen sind nicht ausgewogen. Sie tragen zu Wettbewerbsverzerrungen bei“, bemängelt Willem van der Schalk, Vorsitzer des Komitee Deutscher Seehafenspediteure im DSLV, und verweist auf das geltende System der Schiffstonnagesteuer und die EU-Gruppenfreistellungsverordnung für Seeschifffahrtskonsortien.
Nicht hinnehmbar ist, dass steuerliche Erleichterungen, die eigentlich zur Stabilisierung der Marktstellung europäischer Seeschifffahrtslinien im internationalen Wettbewerb gedacht sind, jetzt von großen Container-Reedereien dazu genutzt werden, Speditionen gezielt aus den Hinterlandmärkten zu verdrängen. In immer mehr EU-Staaten organisieren Reedereien auch die Hinterland-Lieferketten inklusive Terminaldienstleistung, Landtransport und Lagerung als so genannte Haus-Haus-Verkehre selbst – bei einem Tonnagesteuersatz von lediglich sieben Prozent. Damit treten sie als Lieferkettenorganisatoren in unmittelbare Konkurrenz zu Speditionen, die einem effektiven Körperschaftssteuersatz von 27 Prozent unterliegen. Auf diese Wettbewerbsverzerrung hat auch bereits die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) hingewiesen. Hierzu van der Schalk:
Die Europäische Kommission muss sicherstellen, dass der geringe Tonnagesteuersatz auf den Betrieb eines Seeschiffes beschränkt bleibt und nicht auf reedereifremde Dienstleistungen ausgedehnt werden kann.“
Verstärkt wird die wettbewerbliche Unwucht durch die Konzentration der Angebotsseite. Europäisches Wettbewerbsrecht schränkt die herrschende Marktmacht der Reederei-Allianzen nicht ein – im Gegenteil: die Europäische Kommission hat noch im März 2020 die Gruppenfreistellungsverordnung (GVO) EG 906/2009 für Seeschifffahrtskonsortien um weitere vier Jahre verlängert. Dadurch bleiben Container-Linienreedereien vom grundsätzlichen Verbot unternehmensübergreifender und wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen und Verhaltensweisen weiterhin ausgenommen. Das Angebot der Containerschifffahrt hat sich inzwischen auf neun Linienreedereien verengt, die sich in drei global agierende Allianzen zusammengeschlossen haben und derzeit zusammen etwa 86 Prozent des weltweiten Containervolumens kontrollieren. Diesem Angebotsoligopol steht eine wachsende Nachfrage gegenüber und die Seefrachtraten bleiben auf exorbitant hohem Niveau.
Dass sich Märkte verschieben und Preise bei Nachfragesprüngen steigen, ist nicht ungewöhnlich“, so van der Schalk. „Ich bezweifle allerdings, dass der Seefrachtmarkt insgesamt noch funktioniert.“ Der maritime Sektor wird von der Politik zu einseitig durch die Brille der Schifffahrtsbranche betrachtet, die übersieht, dass Speditionshäuser und Seehafenbetriebe einen erheblichen Anteil der maritimen Logistikprozesse steuern. Aus EU-Sicht ist es richtig, maritimes Know-how durch vorteilhafte Rahmenbedingungen in Europa zu halten. Inakzeptabel ist es allerdings, wenn einseitige Privilegien zu Wettbewerbsverzerrungen im gesamten europäischen Gütertransportsektor führen. Van der Schalk: „Deutschland und die EU müssen handeln. Es bleibt zu hoffen, dass die Nationale Maritime Konferenz hierfür noch Impulse liefert.“
Foto: HHLA / Thies Rätzke